Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Thomas Meyer

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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) - Thomas  Meyer

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Zusatzdiagnostik führen das Gesamtbild der ALS-Diagnose zusammen. Das Erkennen und die Interpretation der Einzelbefunde setzt eine Spezialisierung und Erfahrungswissen in der ALS-Diagnostik voraus. Trotz der Spezialisierung kann es einer Fehldiagnose kommen. In komplizierten diagnostischen Situationen ist es möglich, dass auch spezialisierte Neurologen mit umfänglicher Erfahrung bei der ALS keine sichere Diagnose stellen können und mehrere Differentialdiagnosen infrage kommen (z. B. Abgrenzung von ALS mit spinaler Muskelatrophie oder Immunneuropathie). In diesem Fall ist eine offene Kommunikation über die diagnostische Unsicherheit (und die damit verbundene Irrtumswahrscheinlichkeit) sinnvoll. Damit wird der Patient über die bestehende Unsicherheit informiert und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bewahrt – trotz der diagnostischen Unklarheit. Insgesamt ist jedoch die Irrtumswahrscheinlichkeit in der Diagnosestellung der ALS, insbesondere bei einer Vorstellung in einer Spezialambulanz, sehr gering.

      Die SMA ist eine Motoneuron-Erkrankung, bei der es zu einer langsamen fortschreitenden Degeneration der motorischen Nervenzellen im Rückenmark (zweites motorisches Neuron) kommt. In der Folge entstehen fortschreitende schlaffe Lähmungen (Paresen) und ein Muskelschwund (Myatrophie). Im Unterschied zur ALS sind bei der SMA die motorischen Symptome auf einzelne Extremitäten begrenzt (segmentale SMA) und die Ausbreitung von Lähmungen und Muskelschwund von der erstbetroffenen Region auf benachbarte Muskelgruppen deutlich eingeschränkt. Auch verläuft die SMA wesentlich langsamer. Die SMA im Erwachsenenalter kann mit fortschreitenden motorischen Defiziten der Extremitäten (im Laufen, Stehen und Hantieren) verbunden sein, während die Schluck- und Atemfunktion nicht (oder sehr spät im Krankheitsverlauf) betroffen ist. Diese Unterscheidung gilt für die SMA im Erwachsenenalter. Bei einem Auftreten der SMA bereits im Kindesalter können motorische Defizite entstehen, die mit einer ALS vergleichbar sind.

      Die SBMA ist eine seltene Motoneuron-Erkrankung, bei der motorische Nervenzellen im Hirnstamm (Bulbärhirn) und im Rückenmark (Myelon) degenerieren. In der Folge entstehen, wie bei der ALS, Lähmungen und Muskelschwund in der Bulbärregion, dem Rumpf und den Extremitäten. Im Unterschied zur ALS verläuft die SBMA wesentlich langsamer und ist zumeist nicht mit einer Einschränkung der Atemfunktion verbunden. Die Einleitung einer Ernährungs- und Beatmungsversorgung ist aufgrund der Langsamkeit des Verlaufes meist nicht erforderlich. Die SBMA ist auch unter der historischen Bezeichnung des Kennedy-Syndroms bekannt.

      62 Was ist eine Immunneuropathie und wie unterscheidet sie sich von der ALS?

      Die Immunneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems (der Nerven und Nervenwurzeln), die durch eine Störung des Immunsystems bedingt ist. Bei Immunneuropathien können – wie bei der ALS – langsam fortschreitende Lähmungen (Paresen) und ein Muskelabbau (Myatrophie) entstehen. Im Unterschied zur ALS sind die Immunneuropathien mit Auffälligkeiten in der Liquordiagnostik verbunden. Weiterhin können bei Immunneuropathien einzelne Erkrankungsschübe und Phasen der Symptomverbesserung auftreten – im Gegensatz zur ALS, die zumeist kontinuierlich verläuft. Immuntherapien sind durch Immuntherapien behandelbar, sodass eine Symptomverbesserung durch die Therapie zu erwarten ist (Kortison-Behandlung, Immunglobulintherapie, immunmodulatorische Medikamente). Im weiteren Unterschied zur ALS sind Immunneuropathien nicht mit Zeichen des ersten motorischen Neurons verbunden (keine Spastik, keine Reflexsteigerung). Das Vorliegen von Reflexsteigerung oder einer Spastik macht eine Immunneuropathie sehr unwahrscheinlich. Die Unterscheidung zwischen einer ALS und einer Immunneuropathie kann mit Schwierigkeiten verbunden sein, wenn eine ALS in der klinischen Verlaufsform der progressiven Muskelatrophie (PMA, image Frage 38) vermutet wird und bestimmte Symptome auftreten, die auch bei Immunneuropathien charakteristisch sind (schubförmiger Verlauf, elektroneurografischer Befund). In dieser Konstellation kann es im Einzelfall sinnvoll sein, eine Immunbehandlung (z. B. mit Immunglobulinen) durchzuführen, um ein Ansprechen der Symptome auf eine Immuntherapie zu untersuchen. Dieses Vorgehen wird als »Differenzialtherapie« bezeichnet, wenn mit diagnostischen Maßnahmen allein keine sichere Unterscheidung zwischen der ALS und einer Immunneuropathie nicht sicher möglich ist.

      Die MMN ist eine sehr seltene Form der Immunneuropathie, die mit Lähmungen (Paresen) isolierter Muskelgruppen (z. B. der Fingerstrecker- oder Fußhebermuskulatur) verbunden ist. Der MMN liegt eine immunologische Erkrankung zugrunde, bei der das Immunsystem eigene Nervenstränge fälschlicherweise als »fremd« erkennt und der körpereigenen Immunabwehr aussetzt (Autoimmunerkrankung). In der Folge kommt es zu einer Schädigung einzelner Nerven und zu einer Schwäche der von diesen motorischen Nerven versorgten Muskeln. Die Erkrankung beginnt zumeist an einer isolierten Lokalisation (»fokal«), um im Verlauf von mehreren Monaten auf mehrere Nerven überzugehen (»multifokal«). Im Unterschied zur ALS verläuft die MMN sehr langsam und bleibt auf ausgewählte Muskelgruppen beschränkt. Eine Beeinträchtigung der Schluck- und Atemfunktion ist nicht vorhanden. In der Elektroneurografie können bei einem Teil der Patienten typische Nervenveränderungen nachgewiesen werden. Auch im Ultraschall der peripheren Nerven können im Einzelfall bestimmte Schwellungen der Nerven nachgewiesen werden. Die Symptome der MMN (insbesondere die Muskelschwäche) sprechen auf die Behandlung mit Immunglobulinen an. Nach der Infusionstherapie zeigt sich zumeist eine Stabilisierung oder Verbesserung der Symptomatik. Auch hier besteht ein Unterschied zur ALS, bei der kein längerfristiges Ansprechen auf eine Immuntherapie vorhanden ist. Die Unterscheidung der ALS gegenüber der MMN ist möglich, da die ALS eine höhere Progressionsrate aufweist und zumeist Symptome des ersten motorischen Neurons (Reflexsteigerung oder Spastik) vorhanden sind, die bei der MMN in keinem Fall vorkommen.

      64 Was ist eine degenerative motorische Neuropathie und wie unterscheidet sie sich von der ALS?

      Degenerative Neuropathien sind Nervenerkrankungen, in der motorische und sensible Nerven ohne erkennbare äußere Faktoren degenerieren. Eine hauptsächliche Gruppe der degenerativen Neuropathien wird als Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung bezeichnet (CMT). Bei der CMT kann es zu fortschreitenden Lähmungen (Paresen) und Muskelschwund (Myatrophie) ohne begleitende Sensibilitätsstörung kommen. In dieser Konstellation kann die Unterscheidung zur ALS, insbesondere zur Progressiven Muskelatrophie, PMA, (image Frage 38) schwierig sein. Die Paresen bei der CMT betreffen – im Gegensatz zur ALS –zumeist beide Beine in symmetrischer Weise und weisen eine sehr geringe Progressionsrate auf. Das Verteilungsmuster der Lähmungen und die geringe Krankheitsdynamik lassen zumeist eine Unterscheidung zwischen ALS und CMT zu. Bei einem Teil der degenerativen Neuropathien sind genetische Faktoren bekannt, während für eine Vielzahl dieser peripheren Nervenerkrankungen die Krankheitsmechanismen noch unbekannt sind.

      Die SSP ist eine seltene Motoneuron-Erkrankung, die durch eine langsam fortschreitende Spastik der Beine gekennzeichnet ist. Ursächlich ist eine Degeneration motorischer Nervenzellen, die sich vom Gehirn bis zum Rückenmark erstrecken (erstes motorisches Neuron). Durch die Degeneration des ersten motorischen Neurons besteht eine Gemeinsamkeit zur ALS: Auch bei der ALS kann es zu einer Schädigung des ersten motorischen Neurons und zum Auftreten einer Spastik kommen. Im Gegensatz zur ALS ist die Spastik bei der SSP weitgehend auf die unteren Extremitäten beschränkt. Motorische Symptome an den Armen treten nicht oder in geringem Maße auf. Weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen SSP und ALS betreffen das symmetrische Auftreten der Spastik und eine sehr geringe Progressionsrate bei der SSP. Die ALS – auch die spezielle

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