In seltenen Konstellationen liegt eine familiäre ALS vor, bei der einige Familienmitglieder mit einer FTD, aber nicht mit einer ALS erkrankt sind. Auch in dieser Konstellation liegt ein erhöhtes Risiko einer ALS vor (allein oder in Kombination mit einer FTD). Patienten mit einem bulbären Erkrankungsbeginn (Beginn der ALS mit einer Sprech- und Schluckstörung) und einer überwiegenden Betroffenheit der motorischen Nervenzellen des Gehirns (erstes motorische Neuron) zeigen ein erhöhtes Risiko einer begleitenden FTD.
54 Wie ist eine FTD erkennbar?
Die FTD (Frage 51) kann sich durch sehr unterschiedliche Symptome darstellen. Im Vordergrund steht eine Wesens- und Verhaltensänderung, die sich zumeist mit einer gewissen Distanzlosigkeit und anderen Enthemmungsphänomen darstellt. So kann eine Person, die zuvor durch Zurückhaltung gekennzeichnet war, zu einer Dominanz und Unangemessenheit im sozialen Kontakt neigen. Regeln der sozialen Rücksichtnahme können gebrochen werden. Weitere Merkmale der FTD beinhalten eine Antriebssteigerung (Unruhe) oder gegenteilige Phänomene eines Antriebs- und Interessenverlustes. Weitere Symptome sind Gereiztheit, Übellaunigkeit und Aggressivität.
55 Gibt es einen Test für die FTD?
Die Diagnosestellung einer FTD (Frage 51) beruht auf dem neurologischen Untersuchungsbefund, der Krankengeschichte (Anamnese) durch die Patienten selbst und Angehörige (Fremdanamnese) sowie auf den Ergebnissen einer neuropsychologischen Testung. In der Neuropsychologie wurden standardisierte Testverfahren etabliert, mit denen typische Symptome der FTD nachgewiesen werden. Der Biomarker NF-L (Frage 33) kann bei Patienten mit ALS in Verbindung mit FTD besonders erhöht sein. In bestimmten Konstellationen kann auch die Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns einen Substanzverlust des Frontal- und Temporalhirns darstellen.
56 Was ist der Unterschied zwischen FTD und Alzheimer-Erkrankung?
Die FTD (Frage 51) ist eine Form der Demenz, bei der eine Verhaltens- und Wesensänderung im Vordergrund steht, während die Gedächtnisfunktionen weitgehend erhalten oder geringer betroffen sind. Im Unterschied zur FTD überwiegt bei der Alzheimer-Demenz eine Einschränkung der Gedächtnisleistungen.
57 Welche Auswirkungen hat die FTD für die ALS-Behandlung?
Die ALS-Behandlung setzt ein Einverständnis und aktives Mitwirken des Patienten voraus. Die aktive Teilnahme betrifft die regelmäßige und korrekte Medikamenteneinnahme, das Mitwirken an Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie und die regelhafte Anwendung von Hilfsmitteln, Kommunikationssystemen und Atemhilfen. Durch die Verhaltensstörung bei der FTD (Frage 51) kann es in den verschiedenen Therapie- und Behandlungsbereichen zu Einschränkungen kommen. So kann das Führen eines Elektrorollstuhls eingeschränkt sein, wenn starke Enthemmungsphänomene im Fahrverhalten die Sicherheit des Patienten (Selbstgefährdung) und anderer Personen (Fremdgefährdung) bedroht. Auch die Anwendung einer Atemmaske oder eines Hustenassistenten (die beide eine gezielte Mitarbeit des Patienten voraussetzen) können bei Vorliegen einer FTD schwierig oder unmöglich sein. Bei einer ausgeprägten Verhaltensstörung ist auch die Anwendung einer Ernährungssonde (perkutane endoskopische Gastrostomie, PEG, Frage 206) eingeschränkt, da durch unkontrollierte Handlungen an der Sonde eine Patientengefährdung entstehen kann. Das Zusammentreten von ALS mit FTD macht eine besondere Entscheidungsfindung zu Behandlungsmaßnahmen der ALS erforderlich.
VI Fragen zu Erkrankungen, die Ähnlichkeiten mit der ALS aufweisen
58 Kann die ALS mit anderen Erkrankungen »verwechselt« werden?
Grundsätzlich ist die Diagnosestellung einer ALS mit einfachen Mitteln möglich. Dazu zählt der Untersuchungsbefund und sowie eine Zusatzdiagnostik (meist mit EMG, Neurografie, MRT, Liquordiagnostik und Labordiagnostik). In bestimmten Konstellationen kann die Abgrenzung der ALS gegenüber anderen neurologischen Erkrankungen schwierig sein, die ebenfalls mit Lähmungen (Paresen, Frage 87), Muskelschwund (Myatrophie, Frage 88) oder Muskelsteifigkeit (Spastik, Frage 97) verbunden sind. Die Schwierigkeiten in der Abgrenzung gegenüber anderen Diagnosen (Differentialdiagnose) kann komplex sein, wenn nicht alle typischen Merkmale einer ALS vorliegen (kombinierter Nachweis von Paresen, Atrophie, Reflexsteigerung und Spastik) und nur einzelne Symptome vorhanden sind (z. B. ausschließlich Myatrophie und Parese). Diagnostische Herausforderungen entstehen ebenfalls, wenn der Krankheitsverlauf (akuter Beginn, hohe Progression oder besonders langsame Progressionsrate) ungewöhnlich sind oder Symptome vorhanden sind, die nicht charakteristisch für eine ALS sind (z. B. Schmerzen oder Sensibilitätsstörungen). In diesen Konstellationen kann die Unterscheidung zu anderen, neurologischen Erkrankungen schwierig sein und besondere diagnostische Maßnahmen erfordern. Erkrankungen, die übereinstimmende Symptome zur ALS aufweisen können, sind die Spinale Muskelatrophie (SMA, Frage 60), die Spastische Spinalparalyse (SSP, Frage 65), motorische Neuropathien (Immunneuropathien einschließlich der multifokalen motorischen Neuropathie, Frage 63), die zervikale Myelopathie (Frage 66) und bestimmte Formen der Multiplen Sklerose (MS, Frage 68).
59 Ist ein Irrtum in der ALS-Diagnose möglich?
Ein Irrtum ist bei jeder menschlichen Handlung, so auch in der Diagnostik der ALS, möglich. Eine Schwierigkeit der ALS-Diagnosestellung besteht darin, dass die Diagnose auf einer bestimmten Symptom- und Befundkombination beruht. Bei der ALS handelt es sich um ein Diagnose-Mosaik, in der sich das diagnostische Bild aus Einzelbestandteilen (Mosaik) zusammensetzt. Verschiedene