Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Thomas Meyer

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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) - Thomas  Meyer

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      Jeder Facharzt für Neurologie ist mit den Diagnosekriterien der ALS vertraut. Bereits in der körperlichen Untersuchung in einer Arztpraxis lassen sich die typischen Merkmale einer beginnenden ALS (Schwäche, Muskelschwund, Steifigkeit, Faszikulationen oder andere Merkmale) erkennen. Aus diesen Verdachtsmomenten ergibt sich die Notwendigkeit einer Zusatzdiagnostik (z. B. mit EMG, Elektroneurografie), die durch Überweisung in Schwerpunktpraxen (mit EMG) oder andere Facharztpraxen (Radiologie mit Magnetresonanztomografie) oder durch eine Einweisung in ein Krankenhaus (mit neurologischer Abteilung) realisiert wird. Insgesamt wird vom ambulanten Neurologen die Verdachtsdiagnose einer ALS gestellt, die durch eine umfangreiche Diagnostik in einer neurologischen Klinik bestätigt oder (in einem geringen Teil) entkräftet wird.

      »Motoneurone« (oder auch »motorische Neurone« genannt) sind Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark, die für die Steuerung der Willkürmuskulatur unseres Körpers verantwortlich sind. Dabei sind grundsätzlich motorische Nervenzellen zu unterscheiden, die sich in der motorischen Hirnrinde (»erstes motorisches Neuron«) oder im Rückenmark (oder dem Hirnstamm) befinden (»zweites motorisches Neuron«). Die Unterscheidung ist relevant, da bei der ALS beide Nervenzellgruppen – das erste und zweite motorische Neuron – betroffen und deren Schädigung mit unterschiedlichen Symptomen verbunden sind. Die Schädigung des ersten motorischen Neurons verursacht typischerweise eine unkontrollierte Muskelanspannung (Steifigkeit der Muskulatur), die als Spastik bezeichnet wird (image Frage 97). Die Degeneration des zweiten motorischen Neurons ist wiederum mit Muskelschwund (Myatrophien image Frage 88), Muskelschwäche (Paresen, image Frage 87) und mit Muskelzuckungen (Faszikulationen, image Frage 95) verbunden.

      23 Welche Tests sind notwendig, um eine ALS zu diagnostizieren?

      Die ALS wird in erster Linie durch körperliche Zeichen (Muskelschwäche, Muskelatrophie, Reflexsteigerung, Spastik) festgestellt. Neben diesen neurologischen Symptomen werden verschiedene Untersuchungsverfahren eingesetzt, um den klinischen Befund zu bestätigen oder den körperlichen Verdacht auf eine ALS abzuschwächen. Der Umfang von »Tests«, die als Zusatzuntersuchung bezeichnet werden, wird maßgeblich von der Eindeutigkeit der neurologischen Symptome bestimmt. Bei Vorliegen eines eindeutigen, ALS-typischen Untersuchungsbefundes ist die Notwendigkeit von zusatzdiagnostischen Verfahren gering. Die Tests dienen der Bestätigung und Sicherung der klinischen Diagnose. In anderen Situationen kann die klinische Diagnose noch unbestimmt oder unsicher sein. In dieser Konstellation besteht eine hohe Notwendigkeit von Zusatzdiagnostik, um neurologische Erkrankungen auszuschließen, die ebenfalls Muskelschwäche (Paresen), Muskelschwund (Myatrophien) oder Muskelsteifigkeit (Spastik) verursachen können. Wichtige neurologische »Tests« sind die Magnetresonanztomografie (MRT, image Frage 35) des Gehirns (zerebrale MRT) und des Rückenmarks (spinale MRT). Weitere Zusatzdiagnostik kann die Elektromyografie (EMG, image Frage 24), Elektroneurografie (image Frage 29) sowie Labordiagnostik (image Frage 31) einschließlich Biomarker (image Frage 33) in Blut und Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) umfassen.

      Elektromyografie ist ein neurologisches Untersuchungsverfahren, mit dem elektrische Signale der Muskelzelle aufgezeichnet werden. Die elektrischen Eigenschaften (Elektrophysiologie) von gesunden und erkrankten Muskelzellen können Unterschiede aufweisen, die durch eine Ableitung von elektrischen Strömen und Spannungen der Muskelzelle nachweisbar sind. Zur Aufzeichnung der elektrischen Signale des Muskelgewebes ist die Einführung einer feinen Nadel (Nadel-EMG) oder von oberflächlichen Elektroden (Oberflächen-EMG) erforderlich. Die Nadel-EMG-Untersuchung wird in der Diagnosestellung der ALS häufig eingesetzt. Eine Oberflächen-EMG wird derzeit überwiegend in wissenschaftlichen Zusammenhängen verwendet. Bei der Nadel-EMG-Untersuchung führt ein elektrophysiologisch erfahrener Arzt eine spezielle EMG-Nadel (Elektrode) in die Muskulatur ein. Die EMG-Nadel steht über ein feines Kabel mit einem Verstärker und einer Auswerteeinheit (EMG-Gerät) in Verbindung. Das EMG-Gerät liefert dem Neurologen einen visuellen Eindruck vom Muster der elektrischen Potenziale im Gewebsverband der Muskelzellen. Zusätzlich werden die elektrischen Signale als akustisches Signal dargestellt, die dem Neurologen weitere wichtige Hinweise über die elektrischen Eigenschaften und ALS-typische Veränderungen liefern. Eine typische EMG-Untersuchung besteht darin, dass der Neurologe während der EMG-Untersuchung die feine EMG-Nadel an verschiedenen Lokalisationen innerhalb eines und mehrerer Muskeln einführt und dabei den Monitor betrachtet (bildhafte Darstellung der elektrischen Potenziale) und zugleich auf das akustische Signal achtet, dass über die Lautsprecher des EMG-Gerätes hörbar sind. Während der EMG-Untersuchung bittet der Neurologen den Patienten die Muskeln zu entspannen oder in bestimmter Art und Weise anzuspannen. Insbesondere die Anspannung von Muskulatur mit der liegenden Nadel kann als unangenehm oder schmerzhaft erlebt werden. Allerdings ist das Empfinden der untersuchten Patienten gegenüber dieser Empfindung sehr unterschiedlich: Ein Großteil der untersuchten Patienten toleriert die Untersuchung ohne Beschwerden, während andere Patienten die Untersuchung, trotz der Feinheit der Elektrode als belastend erleben oder nur bedingt tolerieren. Insgesamt ist die EMG-Untersuchung ein häufiges diagnostisches Verfahren, das zur Zusatz- und Ausschlussdiagnostik bei der ALS eingesetzt wird.

      Die EMG-Untersuchung (image Frage 24) dient der Unterscheidung zwischen dem Vorliegen einer Nervenerkrankung (wie der ALS) und einer Muskelerkrankung (Myopathie). Die elektrischen Potenziale des EMG sind sowohl bei Muskelerkrankungen als auch bei Schädigung motorischer Nerven verändert. In der EMG-Untersuchung kann jedoch das elektrische Signal einer Schädigung motorischer Nerven bei der ALS (»neurogenes Schädigungsmuster) von den Befunden einer Muskelerkrankung (»myogenes« Schädigungsmuster) differenziert werden. Das EMG kann daher in einer frühen Phase der Diagnosestellung zur grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Muskel- (»myogen«) und Nervenerkrankungen (»neurogen«) genutzt werden. Neurologen, die in der EMG-Untersuchung erfahren sind, können anhand der elektrischen Potenziale des EMG zwischen einer aktuellen (»akuten«) Schädigung der Muskulatur und bereits länger bestehender (»chronischen«) Schädigung unterscheiden. Bei der ALS sind typischerweise akute und chronische Veränderungen in kombinierter Weise nachweisbar, da die ALS eine fortschreitende neurologische Erkrankung darstellt. Der EMG-Befund ist je nach Verlaufsform der ALS und in Abhängigkeit von der Erkrankungsphase

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