Sexuelle Gewalt gegen Frauen. Daniela Pollich
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![Sexuelle Gewalt gegen Frauen - Daniela Pollich Sexuelle Gewalt gegen Frauen - Daniela Pollich Lehr- und Studienbriefe Kriminalistik / Kriminologie](/cover_pre911850.jpg)
Am 11. Mai 2011 wurde in Istanbul das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention) beschlossen.49 Zweck des Übereinkommens ist gemäß Artikel 1 Abs. 1a unter anderem, „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen“. Die Istanbul-Konvention verpflichtet die beteiligten Staaten, Maßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt zu ergreifen. Dazu zählen Prävention, Schutz, Strafverfolgung, organisatorische Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Stellen sowie das Monitoring der Umsetzung. Zudem werden die Staaten verpflichtet, Gesetze zu verabschieden, nach denen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt bestraft wird, entsprechende gesetzliche Vorgaben einzuführen und dafür zu sorgen, dass Strafverfolgung auch tatsächlich stattfindet.
Deutschland unterzeichnete die Konvention als einer der ersten Mitgliedsstaaten im Mai 2011. Eine Ratifizierung fand allerdings zunächst nicht statt. Kritiker bemängelten, dass § 177 StGB in der damaligen Fassung dem Artikel 36 der Konvention nicht genügen könnte; letzterer sieht vor, dass jeglicher nicht einvernehmlicher Sexualverkehr unter Strafe zu stellen ist.
Bedingt durch die mediale und politische Diskussion um den Fall eines aus den Medien bekannten Modells, das nach der widerrechtlichen Veröffentlichung eines Sexvideos mit zwei Männern Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet hat, aber wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde sowie die Übergriffe auf Frauen durch Gruppen junger Männer in der Silvesternacht 2015/2016 zum Beispiel in Köln50, wurde die Kritik am geltenden Strafrecht erneut laut. Mit dem 50. StrÄndG vom 04. November 2016 wurde die neueste Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Umgestaltet wurde insbesondere der § 177 StGB dahingehend, dass sich nicht mehr nur derjenige strafbar macht, der sexuelle Handlungen durch Gewalt, Gewaltandrohung oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage des Opfers erzwingt, sondern auch derjenige, der sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt.
„Durch die Neuregelung wird die Missachtung der Entscheidung gegen einen Sozialkontakt – und nicht erst die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung durch Nötigung – zum Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs und die populäre Forderung ‚Nein heißt Nein‘ zum Leitprinzip des Sexualstrafrechts.“51
Ergänzt wurde das StGB im Zuge des 50. StrÄndG außerdem durch den Straftatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) und die Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) (siehe genauer Abschnitt 2.2.2).
Bundesrat und Bundestag stimmten der Instanbul-Konvention am 17. Juli 2017, somit nach Einführung des neuen Sexualstrafrechts, zu.52 Nach dieser Ratifizierung trat die Instanbul-Konvention am 01. Februar 2018 für Deutschland in Kraft.
2.2.2Aktuelle Straftatbestände
Mit dem 50. StrÄndG wurde das Sexualstrafrecht 2016 grundlegend verändert. In dem folgenden Abschnitt werden die relevanten rechtlichen Bestimmungen zu Sexualdelikten in der aktuellen Fassung ausführlich dargestellt.
Der neue § 177 StGB „Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ ist im Vergleich zum vorhergehenden Straftatbestand deutlich reformiert worden.53 Hierbei hatte die Implementierung der so genannten Nichteinverständnislösung („Neinheißt-Nein“-Lösung) höchste Priorität. Entscheidend für die Strafbarkeit der Handlung ist nun der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers.
Nach § 177 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft,
„wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt“.
Sexuelle Handlungen sind gem. § 184h StGB nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.
Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle auf den Begriff der Nötigung verzichtet. Dieser setzte die Überwindung des entgegenstehenden Willens des Opfers mit Zwangsmitteln voraus. Folglich wird nun kein Finalzusammenhang mehr zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und der sexuellen Handlung verlangt. Ob der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Dafür wird entweder eine ausdrücklich, das heißt verbale Erklärung oder ein konkludentes Verhalten, wie z.B. Weinen, vorausgesetzt.54
Ist der entgegenstehende Wille des Opfers nicht erkennbar, wird der Täter ebenso bestraft, wenn die in § 177 Abs. 2 StGB genannten Umstände vorliegen. Dies trifft zu, wenn
„1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.“
Wurden dem Opfer beispielsweise sog. K.O.-Tropfen beigebracht, sind in der Regel die Voraussetzungen gem. § 177 Abs. 2 StGB erfüllt.55
Waren in der alten Fassung des § 177 StGB sämtliche Tatbestände, mit Ausnahme der minder schweren Fälle gem. Abs. 6 (a.F.), als Verbrechen (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) klassifiziert, so verwirklichen die rechtswidrige Taten nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB in der neuen Fassung Vergehenstatbestände (Freiheitsstrafen von 5 Monaten bis zu fünf Jahren). Der Gesetzgeber trug mit dieser Veränderung des Strafrahmens der Vielzahl an möglichen und erwartbaren Fallkonstellationen Rechnung, denen eben keine Nötigung des Opfers mehr voraus gegangen sein muss.56
Die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 sind nach Abs. 3 StGB im Versuch strafbar. Der Versuch beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Vornahme der sexuellen Handlung bzw. mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Einwirkung auf das Opfer.57
Ist die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf eine Krankheit oder Behinderung des Opfers zurückzuführen, so ist die Freiheitsstrafe gem. der Qualifikation nach § 177 Abs. 4 StGB nicht unter einem Jahr zu erkennen.
Gemäß § 177 Abs. 5 StGB ist ebenfalls auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen, wenn der Täter bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB
„1. gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.“ 58
Regelbeispiele des § 177 Abs. 6 StGB benennen zwei besonders schwere Fälle bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2. Vollzieht der Täter mit dem Opfer den Beischlaf, lässt er diesen vollziehen