Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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196]dieser Prozeß, und schaden mir dadurch auch geschäftlich, so daß ich, ach lieber Gott! den Holländer, den ich bestellt habe, nicht werde bezahlen können.“ Dabei schnitt es ihm kalt durch den Leib, Tränen traten ihm in die Augen, und damit die Mutter, die immer ängstlich nach seiner sorgenvollen Miene schielte, sie nicht sähe, stahl er sich in das dunkle Nebenzimmer. Er stützte die Arme auf das Klavier und schluchzte in die Hände. Draußen stritten Emmi und Magda um ein paar Handschuhe, und die Mutter wagte nicht zu entscheiden, wem sie beschert worden waren. Diederich schluchzte. Alles war fehlgeschlagen, in Politik, Geschäft und Liebe. „Was hab’ ich denn noch?“ Er öffnete das Klavier. Ihn fröstelte, er war so unheimlich allein, daß er Angst hatte, ein Geräusch zu machen. Die Töne kamen von selbst, seine Hände wußten es kaum. Aus Volksliedern, Beethoven und dem Kommersbuch klang es durcheinander in der Dämmerung, die sich traulich davon erwärmte, so daß einem wohlig dumpf im Kopf ward. Einmal meinte er, daß eine Hand ihm über den Scheitel streife. War es nur ein Traum? Nein, denn auf dem Klavier stand plötzlich ein volles Bierglas. Die gute Mutter! Schubert, weiche Biederkeit, Gemüt der Heimat ... Es ward still, und er wußte es nicht – bis die Wanduhr schlug: eine Stunde war vergangen! „Das war meine Weihnacht“, sagte Diederich und ging hinaus zu den anderen. Er fühlte sich getröstet und gekräftigt. Da die Schwestern noch immer wegen der Handschuhe maulten, erklärte er sie für gemütlos und steckte die Handschuhe ein, um sie für sich umzutauschen.

      Die ganze Festzeit ward verdüstert durch die Sorge wegen des Holländers. Sechstausend Mark für einen [pg 197]neuen Patent-Holländer System Maier! Das Geld war nicht da, und wie die Dinge lagen, nicht zu beschaffen. Es war ein unbegreifliches Verhängnis, ein schäbiger Widerstand von Menschen und Dingen, der Diederich erbitterte. Wenn Sötbier nicht dabei war, schlug er mit dem Pultdeckel und schleuderte Briefordner in die Ecken. Für den neuen Herrn, der die Zügel des Betriebes in seine feste Hand genommen hatte, mußten doch ohne weiteres neue Unternehmungen eintreten, die Erfolge warteten auf ihn, die Ereignisse hatten sich seiner Persönlichkeit anzupassen!... Nach dem Zorn kam der Kleinmut, Diederich traf Vorkehrungen für den Fall einer Katastrophe. Er war sanft mit Sötbier: vielleicht konnte der Alte noch einmal helfen. Auch demütigte er sich vor Pastor Zillich und bat ihn, den Leuten zu sagen, daß er mit der Predigt, von der alle sprachen, nicht auf ihn gezielt habe. Der Pastor versprach es auch, mit sichtlicher Reue, unter dem strafenden Blick seiner Gattin, die sein Versprechen bekräftigte. Dann ließen die Eltern Käthchen mit Diederich allein, und er war ihnen in seiner Niedergeschlagenheit so dankbar, daß er sich fast erklärt hatte. Käthchens Jawort, das auf ihren lieben, dicken Lippen wartete, wäre doch ein Erfolg gewesen, es hätte ihm Bundesgenossen gebracht gegen die feindliche Welt. Aber der unbezahlbare Holländer! Er würde ein Viertel der Mitgift verschlungen haben ... Diederich seufzte, er müsse nun wieder ins Geschäft; und Käthchen kniff die Lippen zusammen, ohne daß das Jawort zur Verwendung gelangt war.

      Ein Entschluß mußte gefaßt werden, denn die Ankunft des Holländers stand bevor. Diederich sagte zu Sötbier: „Ich rate den Leuten nur, ihn auf Tag und Stunde zu liefern, sonst geb’ ich ihn ohne Gnade zurück.“ Aber Söt[pg 198]bier erinnerte an das Gewohnheitsrecht, das den Fabriken einige Tage Spielraum lasse. Trotz Diederichs Heftigkeit blieb er dabei. Übrigens traf die Maschine pünktlich ein. Sie war noch nicht ausgepackt, und schon wetterte Diederich. „Er ist zu groß! Die Leute haben mir garantiert, daß er kleiner sein soll als das alte System. Wozu kaufe ich ihn denn, wenn ich nicht mal Raum sparen soll!“ Und er ging, sobald der Holländer aufgestellt war, mit dem Metermaß um ihn herum. „Er ist zu groß! Ich laß mich nicht beschwindeln! Bezeugen Sie mir, Sötbier, daß er zu groß ist!“ Aber Sötbier klärte mit unbeirrbarer Rechtlichkeit den Fehler in Diederichs Messungen auf. Schnaufend zog Diederich sich zurück, um einen neuen Angriffsplan zu ersinnen. Er rief Napoleon Fischer herbei. „Wo ist denn der Monteur? Haben uns die Leute keinen Monteur mitgeschickt?“ Und dann entrüstete er sich. „Ich habe ihn doch bestellt!“ log er. „Die Leute scheinen ihr Geschäft zu verstehen. Ich werde mich nicht wundern, wenn ich für den Kerl täglich zwölf Mark bezahlen muß, und er glänzt durch Abwesenheit. Wer stellt mir das Unglücksding da nun auf?“

      Der Maschinenmeister behauptete, er verstehe sich darauf. Diederich bewies ihm plötzlich großes Wohlwollen. „Sie können sich denken: Ihnen zahl’ ich lieber die Überstunden, als daß ich mein Geld für den fremden Menschen hinauswerfe. Schließlich sind Sie ein alter Mitarbeiter.“ Napoleon Fischer zog die Brauen hinauf, sagte aber nichts. Diederich berührte seine Schulter. „Sehen Sie mal, lieber Freund,“ sagte er halblaut, „ich bin von dem Holländer nämlich enttäuscht. Auf den Bildern im Prospekt sah er anders aus. Die Messerwalze sollte doch viel breiter sein, wo bleibt da die größere Leistungsfähigkeit, die die Leute uns versprochen haben. Was meinen Sie? Halten Sie [pg 199]den Zug für gut? Ich fürchte, der Stoff bleibt liegen.“ Napoleon Fischer sah Diederich an, prüfend, aber schon mit Verständnis. Man müsse es ausprobieren, meinte er zögernd. Diederich vermied seinen Blick, er tat, als untersuchte er die Maschine. Dabei sagte er aufmunternd: „Also schön. Sie stellen das Ding auf, ich zahle Ihnen die Überstunden mit fünfundzwanzig Prozent Aufschlag, und dann tragen Sie in Gottes Namen gleich Stoff ein. Wir werden die Bescherung ja sehen.“

      „Es wird wohl ’ne nette Bescherung sein“, sagte der Maschinenmeister mit sichtlichem Entgegenkommen. Diederich griff, ehe er es selbst wußte, nach seinem Arm, Napoleon Fischer war ein Freund, ein Retter! „Kommen Sie mal mit, mein Lieber“ – seine Stimme war bewegt. Er führte Napoleon Fischer in das Wohnhaus, Frau Heßling mußte ihm ein Glas Wein einschenken, und Diederich drückte ihm, ohne hinzusehen, fünfzig Mark in die Hand. „Ich verlaß mich auf Sie, Fischer“, sagte er. „Wenn ich Sie nicht hätte, würde die Fabrik mich womöglich hineinlegen. Zweitausend Mark hab’ ich den Leuten schon in den Rachen geworfen.“

      „Die müssen sie wieder hergeben“, sagte der Maschinenmeister gefällig. Diederich fragte dringend: „Das meinen Sie doch auch?“

      Und schon tags darauf, nach der Mittagspause, die er zu Versuchen mit dem Holländer benutzt hatte, teilte Napoleon Fischer seinem Arbeitgeber mit, daß die neue Erwerbung nichts tauge. Der Stoff blieb liegen, man mußte mit dem Rührscheit nachhelfen, wie bei jedem Holländer ältester Konstruktion. „Also der offenbare Schwindel!“ rief Diederich. Auch brauchte der Holländer mehr als zwanzig Pferdestärken. „Das ist vertragswidrig! Müssen wir uns das gefallen lassen, Fischer?“

      „Das müssen wir uns nicht gefallen lassen“, entschied der Maschinenmeister und strich mit seiner knotigen Hand über sein schwarz behaartes Kinn. Diederich sah ihn zum erstenmal fest an.

      „Dann können Sie mir also bezeugen, daß der Holländer die bei Bestellung vereinbarten Bedingungen nicht erfüllt?“

      In Napoleon Fischers schütterem Bart erschien ein dünnes Lächeln. „Kann ich“, sagte er. Diederich sah das Lächeln. Um so strammer machte er kehrt. „Na, dann sollen die Leute mich kennenlernen!“ Sogleich schrieb er einen energisch gehaltenen Brief an Büschli & Cie. in Eschweiler. Die Antwort kam umgehend. Man begreife seine Beanstandungen nicht, der neue Patentholländer System Maier sei schon von mehreren Papierfabriken, deren Verzeichnis beiliege, aufgestellt und erprobt worden. Von einer Zurücknahme und gar von einer Rückerstattung der angezahlten 2000 Mark könne daher nicht die Rede sein, vielmehr sei der Rest der vertragsmäßigen Kaufsumme sofort zu erlegen. Diederich schrieb darauf noch entschiedener als das erstemal und drohte mit einer Klage. Büschli & Cie. versuchten nun, ihn zu beschwichtigen, sie empfahlen eine nochmalige Probe. „Sie haben Angst“, sagte Napoleon Fischer, dem Diederich das Schreiben zeigte, und er fletschte die Zähne. „Eine Klage können sie nicht brauchen, denn ihr Holländer ist noch nicht genügend eingeführt.“ „Stimmt“, sagte Diederich. „Wir haben die Kerls in der Hand!“ Und mit erbitterter Siegesgewißheit lehnte er jeden Vergleich und die angebotene Preisermäßigung schroff ab. Als dann mehrere Tage lang nichts weiter erfolgte, ward er freilich unruhig. Vielleicht warteten sie nun doch seine Klage ab? Vielleicht [pg 201]strengten sie selbst eine an! Unsicher suchte sein Blick, oftmals am Tage, Napoleon Fischer, der ihn von unten erwiderte. Sie sprachen nicht mehr

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