Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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Heßling denn die Begeisterung der übrigen Herren so ernst genommen habe. Einen größeren Nörgler als den Major Kunze gebe es überhaupt nicht ... Diederich zog sich mit seinem Stuhle zurück, ihm ward kalt, als finde er sich plötzlich in einer Verbrecherhöhle. Mit äußerster Energie sagte er: „Auf die nationale Gesinnung der übrigen Herren hoffe ich mich ebenso verlassen zu können wie auf meine eigene, an der zu zweifeln ich mir auf das allerbestimmteste verbitten müßte.“

      Jadassohn hatte seine schneidige Stimme zurück. „Soll das etwa einen Zweifel in bezug auf meine Person involvieren, so weise ich ihn mit gebührender Entrüstung zurück.“ Krähend, so daß Klappsch in die Tür spähte: „Ich bin der Königliche Assessor Doktor Jadassohn und stehe auf Wunsch zur Verfügung.“

      Darauf mußte Diederich wohl murmeln, daß er es so nicht gemeint habe. Dann aber zahlte er. Die Verabschiedung war kühl.

      Auf dem Heimwege schnaufte Diederich. Hätte er sich nicht entgegenkommender verhalten sollen mit Jadassohn? Für den Fall, daß Nothgroschen redete? Jadassohn hatte ihn freilich nötig, in dem Prozeß gegen Lauer! Auf alle Fälle war es gut, daß Diederich jetzt Bescheid wußte über den wahren Charakter dieses Herrn! „Seine Ohren sind mir gleich verdächtig vorgekommen! Wirklich national empfinden kann man eben doch nicht mit solchen Ohren.“

      Zu Hause nahm er sogleich den Berliner „Lokal-Anzeiger“ vor. Da waren schon die Kaiseranekdoten für die „Netziger Zeitung“ von morgen. Vielleicht kamen sie auch erst übermorgen, für alle war dort nicht Platz. Aber [pg 182]er suchte weiter; seine Hände zitterten ... Da! Er mußte sich setzen. „Ist dir was, mein Sohn?“ fragte Frau Heßling. Diederich starrte die Buchstaben an, wie ein Märchen, das Wahrheit ward. Da stand es, unter anderen unbezweifelten Dingen, in dem einzigen Blatt, das Seine Majestät selbst las! Innerlich, in so tiefer Seele, daß er es selbst kaum hörte, murmelte Diederich: „Mein Telegramm.“ Das bange Glück sprengte ihn fast. Konnte es sein? Hatte er richtig vorausempfunden, was der Kaiser sagen würde? Sein Ohr reichte in diese Ferne? Sein Gehirn arbeitete gemeinsam mit –? Die unerhörtesten mystischen Beziehungen überwältigten ihn ... Aber das Dementi konnte noch kommen, er konnte zurückgeschleudert werden in sein Nichts! Diederich verbrachte eine angstvolle Nacht, und am Morgen stürzte er sich auf den Lokalanzeiger. Die Anekdoten. Die Denkmalsenthüllung. Die Rede. „Aus Netzig.“ Da stand von den Ehrungen, die dem Gefreiten Emil Pacholke zuteil geworden waren, für seinen vor dem inneren Feind bewiesenen Mut. Alle Offiziere, der Oberst an der Spitze, hatten ihm die Hand gedrückt. Er hatte Geldgeschenke bekommen. „Bekanntlich hat der Kaiser den braven Soldaten schon gestern telegraphisch zum Gefreiten befördert.“ Da stand es! Kein Dementi: eine Bestätigung! Er machte Diederichs Worte zu den seinen, und er führte die Handlung aus, die Diederich ihm untergelegt hatte!... Diederich breitete das Zeitungsblatt weit aus; er sah sich darin wie in einem Spiegel, und um seine Schultern lag Hermelin.

      Diesen Sieg und Diederichs schwindelnde Erhöhung, leider durfte kein Wort sie verraten, aber sein Wesen genügte, die Straffheit in Haltung und Sprache, das [pg 183]Herrscherauge. Familie und Werkstatt verstummten um ihn her. Sötbier selbst mußte zugeben, daß ein forscherer Zug in den Betrieb gekommen sei. Und Napoleon Fischer schlich, je aufrechter und heller Diederich dastand, desto affenähnlicher vorbei, die Arme nach vorn hängend, mit schiefem Blick und den fletschenden Zähnen in seinem dünnen schwarzen Bart: als der Geist des gebändigten Umsturzes ... Dies war der Moment, gegen Guste Daimchen vorzugehen. Diederich machte Besuch.

      Frau Oberinspektor Daimchen empfing ihn zuerst allein, auf ihrem alten Plüschsofa, aber in einem braunen Seidenkleid mit lauter Schleifen, und die Hände breitete sie, rot und geschwollen wie die einer Waschfrau, vor sich hin auf ihren Bauch, so daß der Gast die neuen Ringe immer vor Augen hatte. Aus Verlegenheit gestand er seine Bewunderung, worauf Frau Daimchen sich bereitwillig darüber ausließ, daß sie und ihre Guste es nun Gott sei Dank zu allem hätten. Sie wüßten nur noch nicht, ob sie sich altdeutsch oder Louis käs einrichten sollten. Diederich riet lebhaft zu altdeutsch; er habe es in Berlin in den feinsten Häusern gesehen. Aber Frau Daimchen war mißtrauisch. „Wer weiß, ob Sie so feine Leute wie uns schon besucht haben. Lassen Sie man, ich kenne das, wenn man so tun muß, als ob man was hat, und hat nichts.“ Hierauf schwieg Diederich ratlos, und Frau Daimchen trommelte sich mit Genugtuung auf den Bauch. Zum Glück trat Guste ein, heftig rauschend. Diederich schwang sich elastisch aus seinem Fauteuil, sagte schnarrend: „Gnädigstes Fräulein!“ und unternahm einen Handkuß. Guste lachte. „Reißen Sie sich nur kein Bein aus!“ Aber sie tröstete ihn gleich wieder. „Man sieht sofort, was ein feiner Mann ist. Der Herr Leutnant von Brietzen macht es auch so.“

      „Ja, ja,“ sagte Frau Daimchen, „bei uns verkehren alle Herren Offiziere. Gestern sag’ ich noch zu Guste: Guste, sag’ ich, auf jede Sitzgelegenheit können wir eine Freiherrnkrone sticken lassen, denn überall hat sich schon einer draufgesetzt.“

      Guste verzog den Mund. „Aber was die Familien betrifft und sonst überhaupt, ist Netzig doch reichlich spießig. Ich glaube, wir ziehen nach Berlin.“ Damit war Frau Daimchen nicht einverstanden. „Man soll den Leuten den Gefallen nicht tun“, meinte sie. „Die alte Harnisch ist erst heute, wie sie mein Seidenkleid gesehen hat, fast zerplatzt.“

      „So ist Mutter nun mal,“ sagte Guste. „Wenn sie renommieren kann, ist alles gut. Aber ich denke doch auch an meinen Verlobten. Wissen Sie, daß Wolfgang sein Staatsexamen gemacht hat? Was soll er hier in Netzig? In Berlin kann er mit unserem vielen Geld was werden.“ Diederich bestätigte: „Er wollte ja schon immer Minister oder so was werden.“ Leis höhnisch setzte er hinzu: „Das soll ja ganz leicht sein.“

      Guste nahm sofort eine feindliche Haltung ein. „Der Sohn vom alten Herrn Buck ist eben nicht jeder“, sagte sie spitz. Aber Diederich setzte, weltmännisch überlegen, auseinander, daß es heute auf Dinge ankomme, die der Einfluß des alten Buck nicht verleihen könne: Persönlichkeit, großzügigen Unternehmungsgeist und vor allem eine stramm nationale Gesinnung. Das junge Mädchen unterbrach ihn nicht mehr, sie sah sogar mit Respekt auf seine kühnen Schnurrbartspitzen. Aber das Bewußtsein, Eindruck zu machen, riß ihn zu weit fort. „Von alledem habe ich bei Herrn Wolfgang Buck noch nichts bemerkt“, sagte er. „Der philosophiert und nörgelt, und im übrigen soll er sich ziemlich viel amüsieren ... Na,“ schloß er, „seine Mutter [pg 185]war ja auch eine Schauspielerin.“ Und er sah fort, obwohl er fühlte, daß Gustes drohender Blick ihn suchte.

      „Was wollen Sie damit sagen?“ fragte sie. Er tat überrascht.

      „Ich, gar nichts. Ich meinte, wie reiche junge Leute in Berlin nun mal leben. Bucks sind doch eine vornehme Familie.“

      „Das wollen wir hoffen“, sagte Guste schroff. Frau Daimchen, die gegähnt hatte, erinnerte an die Schneiderin, Guste sah Diederich erwartungsvoll an, ihm blieb nichts übrig, als aufzustehen und seine Verbeugungen zu machen. Den Handkuß unternahm er nicht mehr, mit Rücksicht auf die gespannte Stimmung. Aber im Vorzimmer holte Guste ihn ein. „Wollen Sie es mir jetzt vielleicht sagen,“ fragte sie, „was Sie gemeint haben mit der Schauspielerin?“

      Er öffnete den Mund, schnappte und schloß ihn wieder, stark errötet. Um ein Haar hätte er verraten, was seine Schwestern ihm über Wolfgang Buck erzählt hatten. Er sagte mit mitleidiger Stimme: „Fräulein Guste, weil wir doch so alte Bekannte sind –. Ich wollte nur sagen, der Buck ist nichts für Sie. Er ist sozusagen erblich belastet von seiner Mutter her. Der Alte war doch auch zum Tode verurteilt. Und was ist denn sonst an den Bucks noch dran? Glauben Sie mir, man soll in keine Familie heiraten, mit der es bergab geht. Das ist Sünde gegen sich selbst“, setzte er noch hinzu. Aber Guste hatte die Hände in die Hüften gestemmt.

      „Bergab? Und mit Ihnen geht es wohl bergauf? Weil Sie sich im Ratskeller betrinken und dann den Leuten Krach machen? Die ganze Stadt spricht von Ihnen, und Sie möchten einer hochfeinen Familie was anhängen. [pg 186]Bergab! Wer mein Geld kriegt, mit dem geht es überhaupt nicht bergab. Sie sind bloß neidisch,

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