Gesammelte Werke. Heinrich Mann
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Diederich hatte sich besonnen. „Ich kann es mir denken, aber das macht nichts, bitte, treten Sie doch näher. Doktor Heßling ist mein Name. Hier ist meine Mutter und meine Schwestern Emmi und Magda.“
Der Herr trat näher und verbeugte sich vor den Damen. „Friedrich Kienast“, murmelte er. Er war groß, blondbärtig und trug einen braunen wolligen Jackettanzug. Alle drei Damen lächelten hingebend. „Darf ich für den Herrn ein Gedeck auflegen?“ fragte Frau Heßling. Und Diederich: „Natürlich. Herr Kienast frühstückt doch mit uns?“
„Ich sage nicht nein“, erklärte der Vertreter von Büschli & Cie., und er rieb sich die Hände. Magda legte ihm Bücklinge vor, die er schon lobte, während er den ersten Bissen noch auf der Gabel hatte.
Diederich fragte ihn, harmlos lachend:
„Nüchtern machen Sie wohl auch nicht gern Geschäfte?“ Herr Kienast lachte auch. „Bei den Geschäften bin ich immer nüchtern.“ Diederich schmunzelte. „Na, dann werden wir uns wohl einigen.“ „Kommt darauf an, wie“; – und Kienasts schelmisch herausfordernde Worte begleitete ein Blick an Magda. Sie errötete.
Diederich schenkte dem Gast Bier ein. „Sie haben wohl [pg 202]sonst noch was vor in Netzig?“ Worauf Kienast zurückhaltend: „Man kann nie wissen.“
Versuchsweise sagte Diederich: „Bei Klüsing in Gausenfeld werden Sie nichts machen, er hat ’ne flaue Zeit.“ Und da der andere schwieg, dachte Diederich: „Sie haben ihn bloß wegen des Holländers hergeschickt, sie können keinen Prozeß brauchen!“ Da bemerkte er, daß Magda und der Vertreter von Büschli & Cie. gleichzeitig tranken und über die Gläser hinweg einander in die Augen sahen. Emmi und Frau Heßling saßen starr dabei. Diederich beugte sich schnaufend über seinen Teller; – plötzlich aber fing er an, das Familienleben zu preisen. „Sie haben Glück, mein lieber Herr Kienast, denn das zweite Frühstück ist ausgerechnet unsere schönste Stunde am Tage. Wenn man so mitten aus der Arbeit hier herauskommt, dann merkt man doch wieder mal, daß man sozusagen auch Mensch ist. Na, und das braucht man.“
Kienast bestätigte, daß man es brauche. Frau Heßlings Frage, ob er schon verheiratet sei, verneinte er und sah dabei auf Magdas Scheitel, denn sie hatte den Kopf gesenkt.
Diederich stand auf und schlug die Hacken zusammen. „Herr Kienast,“ sagte er schnarrend, „ich stehe zu Ihrer Verfügung.“
„Eine Zigarre nimmt Herr Kienast noch“, bat Magda. Kienast ließ sie sich von ihr anzünden und hoffte, die Damen nochmals begrüßen zu können, – wobei er Magda verheißungsvoll anlächelte. Aber im Hof änderte auch er vollständig den Ton. „Na ja, das sind auch noch alte, enge Lokalitäten“, bemerkte er kalt und wegwerfend. „Sie sollten mal unsere Anlagen sehen.“
„In einem Nest wie Eschweiler,“ erwiderte Diederich, genau so verächtlich, „da ist es kein Kunststück. Reißen Sie [pg 203]mal hier den Häuserblock nieder!“ Und dann rief er im schärfsten Befehlston nach dem Maschinenmeister, damit er den neuen Holländer in Betrieb setze. Da Napoleon Fischer nicht sofort kam, stürmte Diederich hin. „Sie sitzen wohl auf Ihren Ohren, Herr?“ Aber sobald er ihm gegenüberstand, verstummte sein Geschrei; mit leiser, fliegender Stimme, die Augen angestrengt aufgerissen, sagte er: „Fischer, ich hab’ es mir überlegt, ich bin mit Ihnen zufrieden, vom Ersten ab erhöhe ich Ihr Gehalt auf hundertachtzig Mark.“ Darauf nickte Napoleon Fischer kurz und verständnisvoll, und sie trennten sich. Sogleich begann Diederich wieder zu schreien. Die Leute hatten geraucht! Sie behaupteten, es sei nur seine eigene Zigarre, die er rieche. Zu dem Vertreter von Büschli & Cie. sagte er: „Übrigens bin ich versichert, aber Zucht muß sein. Tadelloser Betrieb, wie?“
„Veraltetes Aggregat“, entgegnete Herr Kienast, mit einem lieblosen Blick auf die Maschinen. Diederich versetzte höhnisch: „Weiß ich, mein Bester. Aber so gut wie Ihr Holländer allemal.“ Trotz Kienasts Protest fuhr er fort, die Leistungsfähigkeit der einheimischen Industrie herabzusetzen. Mit seiner neuen Einrichtung warte er bis zu seiner Reise nach England. Er gehe großzügig vor. Seit er selbst an der Spitze des Betriebes stehe, sei das Geschäft mächtig im Aufschwung. „Und es ist immer noch ausdehnungsfähig.“ Er erfand. „Jetzt hab’ ich Verträge mit zwanzig Kreisblättern. Die Berliner Warenhäuser machen mich überhaupt wahnsinnig ...“ Kienast unterbrach schneidend:
„Dann haben Sie wohl gerade alles abgeliefert, denn ich sehe nirgends fertige Ware.“
Diederich empörte sich. „Herr! Soll ich Ihnen was [pg 204]sagen? Erst gestern hab’ ich an sämtliche kleinen Kunden ein Rundschreiben geschickt: bis zur Vollendung meines Neubaus könne ich nichts mehr liefern.“
Der Maschinenmeister holte die Herren. Der neue Patentholländer war halb gefüllt, aber die Stoffbewegung blieb noch sehr schwach, der Arbeiter half mit dem Rührscheit nach. Diederich hielt die Uhr in der Hand. „Na also. Sie behaupten, in Ihrem Holländer braucht der Stoff für einen Umgang zwanzig bis dreißig Sekunden: ich zähle schon fünfzig ... Maschinenmeister, den Stoff ablassen ... Was ist denn los, das dauert ja ewig!“
Kienast hatte sich über die Schale gebeugt. Er richtete sich auf, er lächelte gewitzigt. „Ja, wenn die Ventile verstopft sind ...“ Und mit einem scharfen Blick in die Augen Diederichs, die nicht standhielten: „Was sonst noch mit dem Holländer angestellt ist, kann ich in der Eile nicht sehen.“ Diederich fuhr empor, plötzlich sehr rot. „Wollen Sie mir vielleicht insinuieren, daß ich mit meinem Maschinenmeister –?“
„Ich habe nichts gesagt“, stellte Kienast fest.
„Das müßte ich mir auch energisch verbitten.“ Diederich blitzte. Auf Kienast schien es keinen Eindruck zu machen, er behielt seine kalten Augen und das abgefeimte Grinsen in seinem am Kinn auseinandergebürsteten Bart. Wenn er sich rasiert und den Schnurrbart bis zu den Augenwinkeln hinaufgebunden haben würde, er hätte Ähnlichkeit mit Diederich bekommen! Er war eine Macht! Um so drohender trat Diederich auf. „Mein Maschinenmeister ist Sozialdemokrat: daß er mir einen Gefallen tun soll, ist lachhaft. Übrigens mache ich, als Reserveoffizier, Sie auf die Folgen Ihrer Äußerung aufmerksam!“
Kienast trat in den Hof hinaus. „Lassen Sie das nur, [pg 205]Herr Doktor“, sagte er kühl. „In Geschäften bin ich nüchtern, das hab’ ich Ihnen schon beim Frühstück gesagt. Jetzt brauch’ ich Ihnen nur noch zu wiederholen, daß wir den Holländer in tadellosem Zustand geliefert haben und an Rücknahme nicht denken.“ – Das werde man sehen, erklärte Diederich. Einen Prozeß hielten Büschli & Cie. wohl für besonders wirksam, zur Einführung ihres neuen Artikels? „Ich werde Ihnen in den Fachblättern noch eine besondere Empfehlung mitgeben!“ Darauf Kienast: auf Erpressungsversuche gehe er nicht ein. Und Diederich: einen satisfaktionsunfähigen Knoten werfe man einfach hinaus. – Da erschien drüben im Haustor Magda.
Sie hatte ihr Pelzjackett von Weihnacht an, und sie lächelte rosig. „Die Herren sind noch immer nicht fertig?“ fragte sie schalkhaft. „Das Wetter ist doch so schön, man muß ein bißchen hinaus vor dem Mittagessen. A propos“, sagte sie geläufig. „Mama läßt fragen, ob Herr Kienast zum Abendessen kommt.“ Da Kienast erklärte, er müsse leider danken, lächelte sie dringlicher. „Und mir würden Sie es auch abschlagen?“ Kienast lachte bitter. „Ich würde nicht nein sagen, Fräulein. Aber weiß ich denn, ob Ihr Herr Bruder –?“ Diederich schnaufte, Magda sah ihn flehend an. „Herr Kienast“, brachte er hervor. „Es wird mich freuen. Vielleicht, daß wir uns auch noch verständigen.“ Er hoffe es, sagte Kienast, worauf er sich weltmännisch erbot, das Fräulein ein Stück zu begleiten. „Wenn mein Bruder nichts dagegen hat“, sagte sie züchtig und ironisch. Diederich erlaubte auch dies noch; – und dann sah er ihr erstaunt nach, wie sie mit dem Prokuristen von