Gesammelte Werke. Heinrich Mann
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Diederich bekam Furcht. „Erlauben Sie, Herr Rechtsanwalt, kennen Sie denn meine Aussage? Sie ist für Lauer durchaus nicht ungünstig.“
„Das lassen Sie meine Sorge sein.“ Bucks Miene ward beängstigend ironisch.
Und damit war man in der Meisestraße. „Der Prozeß!“ dachte Diederich schnaufend. In den Aufregungen der letzten Tage hatte er ihn vergessen, jetzt war es, als sollte [pg 221]man sich von heute auf morgen beide Beine abschneiden lassen. Guste, die falsche Kanaille, hatte ihm also absichtlich nichts gesagt von ihrem Verlobten; im letzten Augenblick sollte er den Schrecken bekommen!... Diederich verabschiedete sich von Buck, bevor sie beim Haus waren. Daß nur Kienast nichts merkte! Buck schlug vor, noch irgendwohin zu gehen. „Es zieht Sie wohl nicht besonders zu Ihrer Braut?“ fragte Diederich. – „Augenblicklich hab’ ich mehr Lust auf einen Kognak.“ – Diederich lachte höhnisch. „Darauf scheinen Sie immer Lust zu haben.“ Damit nur Kienast nichts erfahre, kehrte er nochmals mit Buck um. „Sehen Sie,“ begann Buck unvermutet, „meine Braut: die gehört auch zu meinen Fragen an das Schicksal.“ Und da Diederich „wieso“ fragte: „Wenn ich nämlich wirklich ein Netziger Rechtsanwalt bin, dann ist Guste Daimchen bei mir vollkommen an ihrem Platz. Aber weiß ich das? Für – andere Fälle, die in meiner Existenz eintreten könnten, habe ich nun drüben in Berlin noch eine zweite Verbindung ...“
„Ich habe gehört: eine Schauspielerin.“ Diederich errötete für Buck, der das so zynisch eingestand. „Das heißt,“ stammelte er, „ich will nichts gesagt haben.“
„Also, Sie wissen“, schloß Buck. „Jetzt ist die Sache die, daß ich vorläufig dort hänge und mich um Guste nicht so viel bekümmern kann, wie ich müßte. Möchten Sie sich da nicht des guten Mädchens ein wenig annehmen?“ fragte er harmlos und gelassen.
„Ich soll –“
„Sozusagen den Kochtopf hier und da ein bißchen umrühren, worin ich Wurst und Kohl am Feuer zu stehen habe – indes ich selbst noch draußen beschäftigt bin. Wir haben doch Sympathie füreinander.“
„Danke“, sagte Diederich kühl. „So weit reicht meine Sympathie allerdings nicht. Beauftragen Sie sonst jemand. Ich denke denn doch etwas ernster über das Leben.“ Und er ließ Buck stehen.
Außer der Unmoral des Menschen empörte ihn seine würdelose Vertraulichkeit, nachdem sie noch soeben in Anschauung und Praxis sich wieder einmal als Gegner erwiesen hatten. Unleidlich, so einer, aus dem man nicht klug ward! „Was hat er morgen gegen mich vor?“
Daheim machte er sich Luft. „Ein Mensch wie eine Qualle! Und von einem geistigen Dünkel! Gott behüte unser Haus vor solcher alles zerfressenden Überzeugungslosigkeit; sie ist in einer Familie das sichere Zeichen des Niedergangs!“ Er vergewisserte sich, daß Kienast wirklich noch am Abend reisen mußte. „Etwas Aufregendes wird Magda dir nicht zu schreiben haben“, sagte er unvermittelt und lachte. „Meinetwegen mag in der Stadt Mord und Brand sein, ich bleibe in meinem Kontor und bei meiner Familie.“
Kaum aber war Kienast fort, stellte er sich vor Frau Heßling hin. „Nun? Wo ist die Vorladung, die für mich gekommen ist auf morgen zu Gericht?“ Sie mußte zugeben, daß sie den bedrohlichen Brief unterschlagen habe. „Er sollte dir die Feststimmung nicht verderben, mein lieber Sohn.“ Aber Diederich ließ keine Beschönigung gelten. „Ach was: lieber Sohn. Aus Liebe zu mir wird wohl das Essen immer schlechter, außer wenn fremde Leute da sind; und das Haushaltungsgeld geht für euren Firlefanz drauf. Meint ihr, ich fall’ euch auf den Schwindel ’rein, daß Magda ihre Spitzenbluse selbst gemacht haben soll? Das könnt ihr dem Esel erzählen!“ Magda erhob Einspruch gegen die Beleidigung ihres Verlobten, aber es half ihr nicht. „Schweig lieber still! Dein Pelzjackett ist auch [pg 223]halb gestohlen. Ihr steckt mit dem Dienstmädchen zusammen. Wenn ich sie nach Rotwein schicke, bringt sie billigeren, und den Rest behaltet ihr ...“
Die drei Frauen entsetzten sich, worauf Diederich noch lauter schrie. Emmi behauptete, er sei bloß darum so wild, weil er sich morgen vor der ganzen Stadt blamieren solle. Da konnte Diederich nur noch einen Teller auf den Boden schleudern. Magda stand auf, ging zur Tür und rief zurück: „Ich brauche dich gottlob nicht mehr!“ Sofort war Diederich hinterdrein. „Gib bitte acht, was du redest! Wenn du endlich einen Mann kriegst, verdankst du es allein mir und den Opfern, die ich bringe. Dein Bräutigam hat um deine Mitgift geschachert, daß es schon nicht mehr schön war. Du bist überhaupt bloß Zugabe!“
Hier fühlte er eine heftige Ohrfeige, und bevor er zu Atem kam, war Magda in ihrem Zimmer und hatte abgesperrt. Diederich rieb sich, jäh verstummt, die Wange. Dann entrüstete er sich wohl noch; aber eine Art von Genugtuung überwog. Die Krisis war vorüber.
In der Nacht hatte er sich fest vorgenommen, mit einiger Verspätung bei Gericht einzutreffen und durch sein ganzes Auftreten zu zeigen, wie wenig die Geschichte ihn angehe. Aber es hielt ihn nicht; als er das Verhandlungszimmer, das ihm bezeichnet war, betrat, war man dort noch bei einer ganz anderen Sache. Jadassohn, der in seiner schwarzen Robe einen ungemein drohenden Anblick bot, war eben damit beschäftigt, für einen kaum erwachsenen Menschen aus dem Volk zwei Jahre Arbeitshaus zu verlangen. Das Gericht gewährte ihm freilich nur eins, aber der jugendliche Verurteilte brach in ein solches Geheul aus, daß es Diederich, angstvoll, wie er selbst gestimmt [pg 224]war, vor Mitleid übel ward. Er begab sich hinaus und betrat eine Toilette, obwohl an der Tür stand: Nur für den Herrn Vorsitzenden! Gleich nach ihm erschien auch Jadassohn. Wie er Diederich sah, wollte er sich wieder zurückziehen, aber Diederich fragte sofort, was das denn sei, ein Arbeitshaus, und was so ein Zuhälter dort tue. Jadassohn erklärte: „Wenn wir uns darum auch noch kümmern müßten!“ und war schon draußen. Diederichs Inneres zog sich noch mehr zusammen unter dem Gefühl eines schaudererregenden Abgrundes, wie er sich auftat zwischen Jadassohn, der hier die Macht vertrat, und ihm selbst, der sich zu nahe ihrem Räderwerk gewagt hatte. Es war aus frommer Absicht geschehen, in übergroßer Verehrung der Macht: gleichviel, jetzt hieß es sich besonnen verhalten, damit sie einen nicht ergriff und zermalmte; sich ducken und ganz klein machen, bis man ihr vielleicht doch noch entrann. Wer erst wieder dem Privatleben gehörte! Diederich versprach sich, fortan ganz seinem geringen, aber wohlverstandenen Vorteil zu leben.
Draußen im Korridor standen jetzt Leute: ein minder gutes Publikum und auch das beste. Die fünf Töchter Buck, herausgeputzt, als sei der Prozeß ihres Schwagers Lauer die größte Ehre für die Familie, schnatterten in einer Gruppe mit Käthchen Zillich, ihrer Mutter und der Frau Bürgermeister Scheffelweis. Die Schwiegermutter dagegen ließ den Bürgermeister nicht los, und aus den Blicken, die sie nach dem Bruder des Herrn Buck und seinen Freunden Cohn und Heuteufel schleuderte, war zu ersehen, daß sie ihn gegen die Sache der Bucks einnahm. Der Major Kunze, in Uniform, stand mit finsterer Miene dabei und enthielt sich jeder Äußerung. Gerade erschien auch Pastor Zillich mit Professor Kühnchen; aber beim [pg 225]Anblick der zahlreichen Gesellschaft blieben sie hinter einem Pfeiler. Der Redakteur Nothgroschen seinerseits ging grau und unbeachtet von den einen zu den anderen. Vergebens suchte Diederich jemand, an den er sich hätte halten können. Jetzt bereute er, daß er es den Seinen verboten hatte, herzukommen. Er blieb im Dunkeln, hinter der Biegung des Korridors, und streckte nur vorsichtig den Kopf heraus. Plötzlich zog er ihn zurück: Guste Daimchen mit ihrer Mutter! Sie ward sofort von den Töchtern Buck umringt, als eine kostbare Verstärkung ihrer Partei. Gleichzeitig ging dahinten eine Tür, und Wolfgang Buck trat auf, in Barett und Robe, und darunter Lackschuhe, die er sehr einwärts setzte. Er lächelte festlich, wie bei einem Empfang, gab allen die Hand, und seiner Braut küßte er sie. Es werde sehr schön werden, verhieß er; der Staatsanwalt sei gut disponiert, er selbst auch. Dann begab er sich zu den von ihm geladenen Zeugen, um mit ihnen zu flüstern. In diesem