Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
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Ein graues Schloß im Elsaß stieg vor ihm auf, dessen unheilvolle Schwelle seine Erinnerung nie wieder betreten hatte; nun tat er es unwillig, mit der Hand den Griff des Fensterkreuzes umklammernd. Im Auftrage seines damaligen Vorgesetzten, des Marschalls Bassompierre, hatte er es besetzt und zugleich den Schutz einer vornehmen Dame und ihrer Tochter übernommen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Die Mutter war schöner; aber das Mädchen, fast noch Kind, hatte ihn wie einen Gesandten Gottes angesehen, dessen Beruf es sei, das Böse auf Erden zu bekämpfen, und ihr bewundernder, unbewußt sich hingebender Blick hatte ihn hingerissen. Nachdem er sie verführt hatte, schien es ihm, als habe sie schuld an der ärgerlichen Sache, und die Empörung und Verzweiflung der Mutter und das Flehen des Kindes erregten eine so grausame Lust in ihm, daß er die Geschändete in einer wilden Nacht seinen trunkenen Kameraden überließ. Er fühlte keine Reue, sondern Wut und Haß, als er die entehrenden Worte hören mußte, mit denen Marschall Bassompierre ihm seine unritterliche Tat vorwarf. Vor schmachvoller Strafe rettete ihn die Flucht, und schon wähnte er sich sicher, als ein zufälliges Abenteuer ihn wieder in die Hände des Marschalls führte, der unverzüglich das Todesurteil an ihm vollziehen wollte.
Damals war er verfallen. Warum büßte er nicht willig seine ersten Verbrechen? War es Gott, der ihm noch einmal die Freiheit gab, damit er sich durch edle Taten entsündigte? Er jedoch hatte die Frist benützt, um sich desto tiefer in die Hölle zu verstricken. Jetzt schien es ihm, als habe er, während er sich der zweiten glücklichen Flucht gerühmt und sie als Gewähr betrachtet habe, daß er gefeit vor Gefahren sei, zutiefst in der Brust das Bewußtsein getragen, daß er ein entronnener Verbrecher sei. Er sah sich, wie er den Soldaten, den Kameraden, den Vorgesetzten erschien: stolz, gefürchtet, bewundert, gehaßt; wie ihm nichts genügte und eine sinnlose Ungeduld ihn vorwärts trieb. Die Siege, die ein anderer errang, freuten ihn nicht, die Ehren, die anderen zuteil wurden, schmerzten ihn schlimmer als Wunden. Ermordet hatte er weder Schwarzenberg noch Mercoeur, noch Solms; aber hätte er sie nicht sterben lassen, wenn es in seiner Macht gewesen wäre? Gewiß war, daß ihr Tod ihm willkommen war und daß er sich einbildete, Gott habe alle diese Männer hingemäht, damit er aufstiege. Er, der alle haßte, die über ihm waren, vergab niemals Neid oder Eifersucht und Widersetzlichkeit, die sich gegen ihn richteten. Er sah sich bei Raab, als die Türken besiegt und in die Flucht geschlagen waren, wie er, trunken vom Schlachten, triefend und klebend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das verlassene Lager der Türken voll der von ihnen zurückgelassenen Schätze ritt, deren größter Teil ihm, als dem Feldobersten, zufallen mußte. Als sein Blick auf zwei Offiziere fiel, die sich über einen Haufen kostbarer Waffen hergemacht hatten und eben einen krummen Säbel aus geätztem Silber mit einem edelsteinbesetzten Knauf in den Händen hielten, übermannten ihn Zorn und Gier, so daß er vom Pferde sprang und sie Diebe schalt, die sich seines Eigentums bemächtigten. Der eine von ihnen erschrak und entschuldigte sich, insofern es nicht erlaubt war zu plündern, solange der Feind noch verfolgt wurde; der andere, ein Neapolitaner, gab eine gereizte Antwort, die zu rächen sich Rußworm vorbehielt. In Prag war es, Jahre nachher, als er in das Zimmer dieses Mannes drang, ihm ins Gesicht schlug und ihn, als er den Degen zog, im raschen Zweikampf erstach. Der war nicht der einzige, der von seiner Hand gefallen war.
Dann kam der Tag, wo das Schicksal ihn daran mahnte, daß er verfallen war. Es war ein Sommerabend in Ungarn, und ein breiter Wind hauchte über das Schilf, das am Ufer der still strömenden Theiß wuchs, so daß die schmalen Silberleiber sich drehten und nach den Weisen zu tanzen schienen, die um ein Feuer lagernde Zigeuner geigten. Er, Rußworm, saß mit ein paar Freunden in seinem Zelt und trank und spielte, als einige Offiziere näherkamen, unter denen ein Fremder war, der durch die ausgesuchte Eleganz, Keckheit und Anmut seiner Erscheinung auffiel. Rußworm erkannte sogleich, daß es weder ein Deutscher noch ein Italiener, noch ein Wallone war; es mußte ein Franzose sein, und ein seltsames Frösteln überlief ihn, indem er das dachte. Unterdessen waren die Offiziere herangetreten und stellten den Fremden als den jungen Herrn Bassompierre vor, der im Gefolge des Prinzen von Joinville gekommen sei, um unter Rußworms Führung gegen die Türken zu kämpfen. Indem er sich verneigte, sagte der schöne junge Mann, Rußworm habe, soviel ihm bekannt sei, seine Laufbahn unter seinem Vater, dem alten Marschall Bassompierre begonnen; um so eher werde er jetzt dem Sohne gestatten, das Handwerk von ihm zu lernen. Rußworm gab eine nicht unhöfliche, aber kurze Antwort, während sein Herz bebte; es kam ihm vor, als sei die scheinbare Unbefangenheit des Franzosen erkünstelt und als spiele ein spöttisches Lächeln um seinen freundlichen Mund. Er wartete einen Augenblick ab, wo er mit Bassompierre allein war, um ihm zu sagen, er habe nichts gegen ihn und werde ihm nichts zuleide tun; aber sein Anblick sei ihm zuwider, und er solle ihn meiden, soviel das möglich sei. Dennoch sah er ihn oft, nicht nur im Felde, sondern auch in den Häusern des katholischen Adels in Prag, wo niemand so erfolgreich wie der junge Bassompierre den Damen den Hof zu machen wußte; und sowie er ihn erblickte, hörte Rußworm die süßen Geigentöne wieder, die die Zigeuner an jenem Abend an der Theiß gespielt hatten.
Nie war Rußworm so wild und übermütig, als wenn er Bassompierre in der Nähe wußte. Tolle Feste feierten sie auf dem Schlosse des Burggrafen von Karlstein, in dessen jüngste Tochter er, Rußworm, eben damals verliebt war. In den Sälen, wo man tanzte, roch es nach Wachs, Schweiß und Blumen; er hielt die Geliebte in den Armen und drückte zum Abschied auf eine ihrer Brüste, die aus dem seidenen Mieder quollen, einen langen Kuß, so daß eine rötliche Stelle sichtbar blieb und das Mädchen aufatmend davonlief, um sich frisch zu pudern. Dann ritt er mit Bassompierre in die alte Stadt und erzählte diesem, er wisse einen Gastwirt mit zwei hübschen Töchtern, die er ihnen für ein paar Dukaten verkuppeln würde. Der Wirt saß noch bei einem Lämpchen in der Gaststube zwischen den Töchtern, von denen die eine ihr gelöstes Haar kämmte, während die andere aus einem alten Kalender vorlas. Sie wurden eingelassen, und Rußworm setzte sich sofort zu der, die ihre Haare flocht und deren scheuer Blick seine Leidenschaft entzündet hatte. Er wollte keine Zeit verlieren, nannte sie Liebchen und umarmte sie, und als der entrüstete Vater ihn anpackte, drohte er diesem und behauptete, er habe schon Geld von ihm für seine Kinder angenommen. Daß Bassompierre ihn warnte und zu vermitteln suchte, reizte ihn nur mehr: er hielt das jammernde Mädchen in einem Arme fest und wehrte mit bewaffneter Hand den Vater ab; indessen hatte die andere Tochter ein Fenster geöffnet und schrie um Hilfe in die Nacht. Nun kamen von verschiedenen Seiten die Nachbarn, mit Knüppeln, Messern und Äxten bewaffnet; er versuchte eine Weile, sich zu wehren, mußte aber doch endlich, am Arme verwundet, das Mädchen loslassen und, von der erbitterten Menge verfolgt, durch die engen und steilen Gassen flüchten.
Der Schweiß trat ihm bei der Erinnerung auf die Stirne. Damals hatte es ihn nicht angefochten; nur ein paar Tage später ritt er nachts an der Spitze eines Maskenzuges, denn es war Fasching, durch die Stadt, er in der Tracht eines reichen Türken, mit einem perlenbehangenen Turban und einer scharlachroten Schärpe ausstaffiert.