Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola

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thronte Herr Lebigre hinter dem Pulte auf einem mit rotem Leder gepolsterten Bänkchen. So hatte er die Liköre bei der Hand, die Fläschchen von geschliffenem Kristall, die zur Hälfte in den Höhlungen einer Konsole saßen. Sein runder Rücken lehnte an einen riesigen Spiegel, der das ganze Wandfeld einnahm, durchzogen von zwei quer liegenden Glasplatten, auf denen Flaschen und Becher aufgereiht standen. Auf der einen zeigten die Fruchtsäfte, Kirschen-, Pflaumen- und Pfirsichsaft ihre dunklen Farben; auf der andern standen zwischen gleichmäßig geordneten Zwiebackpaketen die helleren Flaschen, die mit ihrem Zartgrün, Zartrot, Zartgelb an unbekannte Liköre, an Blumensäfte von köstlicher Durchsichtigkeit denken ließen. Es schien, als hingen diese Flaschen in der Luft, schimmernd und gleichsam von der großen, weißen Helle des Spiegels durchleuchtet.

      Um seinem Lokal das Aussehen eines Kaffeehauses zu geben, hatte Herr Lebigre gegenüber dem Zahlpulte an der Wand zwei Tischchen von gefirnistem Eisenblech und vier Sessel aufstellen lassen. Ein fünfarmiger Kronleuchter mit Kugeln von mattem Glase hing von der Saaldecke herab; links hing oberhalb des in der Mauer angebrachten Schubfensters eine ganz vergoldete Wanduhr. Im Hintergrunde lag das Extrazimmer, abgeteilt durch eine Holzwand mit matten Glasscheiben; tagsüber wurde dieser Raum durch ein auf die Pirouette-Straße gehendes Fenster schwach beleuchtet; des Abends brannte daselbst eine Gasflamme über den zwei Tischen, die einen Anstrich von falschem Marmor hatten. Hier versammelten sich Gavard und seine politischen Freunde jeden Abend nach dem Essen. Sie betrachteten sich da wie zu Hause und hatten den Wirt daran gewöhnt, ihnen diese Plätze vorzubehalten. Wenn der letztgekommene die Glastür geschlossen hatte, fühlten sie sich so wohl behütet, daß sie ganz keck von dem »großen Ausfegen« sprachen. Kein anderer Gast würde gewagt haben, hier einzutreten.

      Am ersten Tage lieferte Gavard Florent einige Einzelheiten über Herrn Lebigre. Es sei ein wackerer Mann, der zuweilen seinen Kaffee mit ihnen trinke. Vor ihm tue man sich keinen Zwang an, weil er eines Tages erzählte, daß er im Jahre 1848 »mitgetan« habe. Er spreche übrigens wenig und scheine beschränkt zu sein. Im Vorübergehen reiche ihm vor dem Eintritt in das Extrazimmer jeder der Herren stumm die Hand über die Gläser und Flaschen hinweg. Auf dem Bänkchen von rotem Leder saß meistens ein kleines, blondes weibliches Wesen neben ihm, ein Mädchen, das er zur Bedienung am Schankpult angenommen hatte, außer dem Kellner, der mit einer weißen Schürze an den Tischen und am Billard bediente. Sie hieß Rosa und war sehr sanft und ergeben. Gavard erzählte Florent augenzwinkernd, daß Rosa dem Wirt gegenüber die Ergebenheit sehr weit treibe. Übrigens ließen sich die Herren von Rosa bedienen, die inmitten der stürmischsten politischen Erörterungen mit ihrer sanften und zufriedenen Miene aus und ein ging.

      An dem Tage, an dem der Geflügelhändler Florent seinen Freunden vorstellte, fanden sie bei ihrem Eintritt in das Extrazimmer daselbst nur einen Herrn von etwa fünfzig Jahren, mit nachdenklicher, ruhiger Miene, mit einem Hut von zweifelhafter Güte und einem kastanienfarbenen Überrocke. Er saß vor einem vollen Bierschoppen, das Kinn auf den Elfenbeinknopf seines Rohrstockes gestützt; sein Gesicht war von einem großen, dichten Barte bedeckt, in dem sich der Mund völlig verlor.

      Wie geht's, Robine? fragte ihn Gavard.

      Robine streckte stumm die Hand zum Gruße vor, und ein verschwommenes Lächeln gestaltete den Ausdruck seines Gesichtes noch milder; dann stützte er das Kinn wieder auf den Knopf seines Stockes und betrachtete Florent über den Schoppen hinweg. Dieser hatte Gavard schwören lassen, daß er nichts von seiner Geschichte erzählen werde, um alle gefährlichen Fragen zu vermeiden; es mißfiel ihm nicht, einiges Mißtrauen in der vorsichtigen Haltung dieses bärtigen Herrn zu sehen. Allein er täuschte sich. Robine war stets so wortkarg. Er kam stets als erster, Schlag acht Uhr, setzte sich in dieselbe Ecke, ohne den Stock aus der Hand zu geben, ohne Hut und Überrock abzulegen. Noch niemand hatte Robine unbedeckten Hauptes gesehen. Da saß er, den anderen zuhörend, bis Mitternacht; er brauchte vier Stunden, um seinen Schoppen zu leeren, betrachtete nacheinander die Sprechenden, als ob er mit den Augen zugehört habe. Als Florent später Gavard über Robine befragte, schien der Geflügelhändler ihn sehr hoch zu stellen; es sei ein sehr kluger Mann; ohne sagen zu können, wo er Beweise davon geliefert, gab er ihn für einen der gefürchtetsten Widersacher der Regierung aus. Er hatte in der Dionysiusstraße eine Wohnung inne, die niemand betreten durfte. Der Geflügelhändler erzählte jedoch, er sei einmal dort gewesen; die mit Wachs eingelassenen Dielen seien mit Decken von grüner Leinwand belegt, die Möbel seien durch Hüllen geschützt; auf dem Kamin stehe eine Uhr mit Alabastersäulen. Frau Robine, die er von rückwärts, zwischen zwei Türen gesehen zu haben glaubte, mußte eine sehr vornehme Dame sein, die englische Löckchen trug. Letzteres konnte er allerdings nicht mit Bestimmtheit behaupten. Man wußte nicht, weshalb das Ehepaar Robine in diesem geräuschvollen Geschäftsviertel wohnte; der Mann tat absolut nichts, verbrachte seine Tage man wußte nicht wo, lebte man wußte nicht wovon und erschien jeden Abend gleichsam ermüdet und entzückt von einem Ausfluge auf die Höhen der großen Politik.

      Nun, haben Sie die Thronrede gelesen? fragte Gavard, indem er nach einem auf dem Tische liegenden Zeitungsblatte griff.

      Robine zuckte mit den Achseln. Jetzt erzitterte die Glastür des Verschlages und ein Buckeliger erschien. Florent erkannte den höckerigen Ausrufer; er hatte jetzt gewaschene Hände, war sauber gekleidet und trug ein großes rotes Halstuch, von dem ein Ende auf seinen Höcker niederhing wie der Zipfel eines Radmantels.

      Ah, Logre ist da! rief der Geflügelhändler. Er wird uns sagen, was er von der Thronrede hält. Allein Logre war wütend. Als er seinen Hut und sein Halstuch aufhängte, riß er schier den Rechen herunter. Er setzte sich heftig, schlug mit der Faust auf den Tisch, warf das Zeitungsblatt weg und sagte:

      Lese ich denn ihre verdammten Lügen?

      Dann brach er los.

      Hat man jemals Dienstherren gesehen, die ihre Leute so zum besten halten? Seit zwei Stunden warte ich auf meine Bezahlung. Wir waren unser zehn im Büro. Da hieß es aber: sich aufs Warten verstehen ... Endlich kam Herr Mamoury im Wagen an, sicherlich von irgendeiner Dirne. Diese Geschäftsführer stehlen und schlemmen ... Der S.....l hat mir mein ganzes Geld in kleiner Münze gegeben.

      Robine nahm die Klage Logres mit einer leichten Bewegung der Augenlider auf. Der Bucklige fand plötzlich ein Opfer.

      Rose! Rose! rief er sich hinausneigend.

      Als das Mädchen vor ihm stand, schrie er:

      Was schauen Sie mich denn an? Warum bringen Sie mir nicht meinen Mazagran? Kaffee mit Likör.

      Gavard bestellte gleichfalls zwei Mazagrans. Rose beeilte sich, die drei Mazagrans zu bringen, immer von den strengen Blicken Logres verfolgt, der die Gläser und die Zuckertäßchen zu prüfen schien. Er trank einen Schluck und besänftigte sich allmählich.

      Charvet wird wohl auch mit seiner Geduld zu Ende sein, sagte er nach einer Weile. Er wartet draußen auf Clémence.

      Doch schon trat Charvet ein, gefolgt von Clémence. Es war ein großer, knochiger, sorgfältig rasierter Mensch mit schmaler Nase und dünnen Lippen, der in der Vavin-Straße hinter dem Luxemburggarten wohnte. Er gab sich für einen freien Lehrer aus; in der Politik war er Hébertist. Mit seinen langen, rundgeschnittenen Haaren, mit dem weit zurückgeschlagenen Aufschlag seines stark abgetragenen Rockes hielt er viel auf Anstand und gute Sitte und gebrauchte dabei eine Flut von herben Worten und bekundete eine so seltsam stolze Bildung, daß er seine Widersacher gewöhnlich vernichtete. Gavard fürchtete ihn, ohne es zu gestehen. Wenn Charvet nicht dabei war, erklärte er, jener gehe wirklich zu weit. Robine stimmte mit einem Zucken seiner Augenlider allem zu. Logre allein hielt in der Lohnfrage Charvet zuweilen stand. Nichtsdestoweniger blieb Charvet der Despot der Gruppe, weil er der gebieterischste und gebildetste war. Seit mehr als zehn Jahren lebten er und Clémence in ehelicher Gemeinschaft zu genau festgestellten Bedingungen nach einem Vertrage, der von beiden Seiten streng beobachtet wurde. Florent, der

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