Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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führte, mit lang gestreckten Fingern schreibend, wie ein Fräulein, das Unterricht genossen hat.

      Rose folgte den beiden zuletzt Angekommenen auf dem Fuße; sie stellte wortlos einen Schoppen vor Charvet hin und eine Platte vor Clémence, die mit vielem Ernste daran ging, einen Grog zu bereiten, indem sie heißes Wasser auf den Zitronensaft goß, den sie mit einem Löffel zerrieb, dann Zucker und Rum dazu tat, wobei sie genau acht gab, nicht mehr als ein Gläschen voll aus der Flasche zu schütten. Gavard stellte jetzt Florent den Herren vor, besonders Herrn Charvet. Er machte sie miteinander bekannt wie zwei Lehrer, zwei sehr tüchtige Männer, die sich gewiß trefflich verständigen würden. Aber es war augenscheinlich, daß er schon im voraus geschwatzt hatte, denn alle reichten sich die Hände, wobei sie nach Art der Freimaurer einander die Finger fest drückten. Charvet war seinerseits sehr liebenswürdig. Man vermied übrigens jede Anspielung.

      Hat Mamoury Sie in kleiner Münze bezahlt? fragte Logre Clémence.

      Sie antwortete ja und zog Rollen von Ein- und Zweifrankenstücken hervor, die sie entfaltete. Charvet sah ihr zu und folgte mit den Blicken den Geldrollen, die sie nacheinander wieder einsackte, nachdem sie ihren Inhalt geprüft.

      Wir rechnen, sagte er halblaut.

      Gewiß, heute abend, flüsterte sie. Es hebt sich gegenseitig auf. Ich habe viermal mit dir gefrühstückt, nicht wahr? Dagegen habe ich dir vorige Woche hundert Sous geliehen.

      Florent war erstaunt, dies zu hören und wandte den Kopf weg, um nicht neugierig zu scheinen. Als Clémence die letzte Geldrolle eingesteckt hatte, trank sie einen Schluck Grog, lehnte sich an die Glaswand und hörte ruhig den Männern zu, die von Politik redeten. Gavard hatte das Zeitungsblatt wieder zur Hand genommen und las mit einer Stimme, der er eine komische Farbe zu leihen bemüht war, einzelne Bruchstücke der Thronrede, mit der der Kaiser am Morgen desselben Tages die Kammern eröffnet hatte. Mit diesen offiziellen Redensarten hatte Charvet leichtes Spiel; nicht eine Zeile ließ er bestehen. Eine Redensart ergötzte die Gesellschaft ganz besonders. »Wir haben das Vertrauen, meine Herren, daß es uns, gestützt auf Ihre Weisheit und auf den konservativen Sinn des Landes, gelingen wird, von Tag zu Tag die allgemeine Wohlfahrt zu heben.« Logre deklamierte stehend diese Worte und ahmte die schleimige Stimme des Kaisers sehr gut durch die Nase nach.

      Eine saubere Wohlfahrt, bemerkte Charvet; alle Welt verhungert.

      Die Geschäfte gehen sehr schlecht, versicherte Gavard.

      Was ist denn das: »ein Herr, der sich auf Weisheit stützt?« – fragte Clémence, die sich gern auf die Literaturfreundin ausspielte.

      Robine ließ hinter seinem Barte ein leises Kichern vernehmen. Die Unterhaltung wurde lebhafter. Man kam auf den gesetzgebenden Körper zu sprechen, der dabei sehr arg mitgenommen wurde. Logre kam aus dem Zorn nicht mehr heraus; Florent erkannte in ihm den guten Ausrufer aus dem Pavillon für Seefische wieder, der mit vorgestreckter Kinnlade, fest auf die Hacken gestützt wie ein bellender Hund, mit fuchtelnden Armen die Ziffern unter die Menge schleuderte. Gewöhnlich sprach er über Politik mit derselben wütenden Miene, mit der er einen Korb Seezungen zur Versteigerung brachte. Charvet seinerseits ward immer kühler in dem Rauch der Pfeifen und des Gaslichtes, mit dem das enge Kabinett sich füllte; seine Stimme ward trocken und schneidig, wie ein Hackmesser, während Robine sanft mit dem Kopfe wackelte, ohne das Kinn von dem Knopfe seines Stockes zu entfernen. Schließlich kam man infolge einer Bemerkung Gavards auf die Frauen zu sprechen.

      Die Frau, erklärte Charvet rundheraus, ist dem Manne gleich und darf darum im Leben ihm keine Last sein. Die Ehe ist einfach eine Gesellschaftsverbindung ... Alles zu gleichen Hälften; ist's nicht so, Clémence?

      Gewiß, erwiderte die junge Frau, den Kopf an die Glaswand gelehnt und in die Leere starrend.

       Doch Florent sah jetzt den Marktkrämer eintreten, und den starken Alexander, den Freund des Claude Lantier. Diese beiden Männer hatten lange an dem anderen Tische des Wirtshauses gesessen; sie gehörten nicht derselben Gesellschaftsklasse an, wie die Herren im Extrazimmer. Aber die Politik führte sie zusammen. Charvet, in dessen Augen sie das Volk darstellten, belehrte sie sehr energisch, während Gavard als vorurteilsfreier Geschäftsmann mit ihnen anstieß. Alexander war ein froh gesinnter Riese, mit der Miene eines zufriedenen, großen Kindes. Der alternde und verbitterte Lacaille, erschöpft von seinen allabendlichen Wanderungen durch die Straßen von Paris, betrachtete zuweilen mit argwöhnischen Augen die spießbürgerliche Ruhe, die guten Schuhe und den dicken Überrock des Herrn Robine. Lacaille und Alexander ließen sich noch ein frisches Gläschen einschenken, und jetzt, da die Gesellschaft vollständig war, wurde das Gespräch lebhafter als bisher fortgesetzt.

      Durch die halb angelehnte Türe des Kabinetts sah Florent wieder Fräulein Saget, die vor dem Schankpulte stand. Sie hatte eine Flasche unter der Schürze hervorgezogen und sah Rose zu, die die Flasche mit einem großen Maß Johannisbeersaft und einem kleinen Maß Branntwein füllte. Dann verschwand die Flasche abermals unter der Schürze; die Hände versteckt haltend plauderte Fräulein Saget eine Weile in dem breiten, hellen Widerschein des Schankpultes gegenüber dem Spiegel, in dem die Likörflaschen und die Becher aussahen wie eine Reihe venezianischer Lampions. Des Abends schimmerte das überheizte Lokal im vollen Glanze all seiner Einrichtungsgegenstände von Metall und Glas. Das alte Mädchen in seinen schwarzen Kleidern bildete einen dunklen Fleck – gleich einem Käfer – in allem grellen Lichte. Als Florent sah, daß sie versuchte, Rose ins Gespräch zu ziehen, vermutete er, daß sie durch die halb offene Tür ihn bemerkt habe. Seitdem er in den Dienst der Hallen eingetreten war, begegnete er ihr auf Schritt und Tritt in den bedeckten Gängen zumeist in Gesellschaft der Frau Lecoeur und der Sarriette; alle drei beobachteten ihn dann verstohlen und schienen sehr erstaunt, ihn in seiner neuen Stellung als Aufseher zu sehen. Rose war ohne Zweifel wortkarg, denn Fräulein Saget kehrte sich einen Augenblick um und schien sich Herrn Lebigre nähern zu wollen, der an einem der Tische mit einem Gaste Karten spielte. Schließlich war es ihr gelungen, sich ganz sachte an die Glaswand des Kabinetts zu stellen; doch da ward sie von Gavard erkannt, der sie verabscheute.

      Schließen Sie doch die Türe, Florent, rief er laut. Man kann nicht mehr unter sich sein.

      Als Lacaille um Mitternacht sich entfernte, wechselte er mit Herrn Lebigre einige Worte im Flüstertone. Dieser reichte ihm mit einem Händedruck verstohlen vier Fünffrankenstücke und raunte ihm ins Ohr:

      Dafür haben Sie morgen zweiundzwanzig Franken zurückzuzahlen; die Person, die das Geld leiht, will es nicht billiger machen ... Vergessen Sie auch nicht, daß Sie drei Tage Karrenmiete schuldig sind. Es muß alles bezahlt werden.

      Herr Lebigre wünschte jetzt den Herren gute Nacht; er gehe nun schlafen, sagte er; und er gähnte leicht, wobei er seine großen Zähne zeigte, während Rose ihn mit der Miene einer unterwürfigen Magd betrachtete. Er trieb sie zur Eile an und gebot ihr, das Gaslicht im Kabinett auszulöschen.

      Auf dem Fußweg strauchelte Gavard, daß er schier hinfiel. Da er heute seinen witzigen Tag hatte, sagte er:

      Alle Wetter! ich bin auch nicht auf Weisheit gestützt.

      Man fand dies sehr spaßig und trennte sich. Florent kam öfter in diese Kneipe; er gewöhnte sich an den Glasverschlag, an den schweigsamen Robine, den geräuschvollen Logre, den kühlen Haß Charvets. Wenn er des Nachts heimkehrte, ging er nicht sogleich zu Bette. Er liebte diese Dachstube, diese Jungfernkammer, wo Augustine allerlei mädchenhaften Tand zurückgelassen hatte. Auf dem Kaminsims lagen noch Haarnadeln, Schachteln von vergoldetem Papier, voll mit Knöpfen und Pastillen, aus Büchern ausgeschnittene Bilder, leere Pomadentöpfe, die noch immer nach Jasmin rochen. In dem Schubfache des Tisches – eines schlechten Tisches von weichem Holze – fand er Zwirn, Nähnadeln, ein Gebetbuch neben einem stark abgegriffenen »Traumdeuter«; ein weißes Sommerkleid mit gelben Punkten hing vergessen

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