Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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im Lande hat, und schon durch die Religionsverschiedenheit allein verhindert ist, nach irgend einer Stellung zu streben? Ich bin gezwungen, mich wegzuwerfen, um mich zu unterrichten, und da ich mich auf keine Weise nützlich machen kann, muß ich unterhaltend zu sein trachten. Ich übe mich, so gut es gehen will, mir Artigkeit anzueignen ohne Falschheit, gefällig zu sein, ohne mich zu erniedrigen, und mir Alles, was die Gesellschaft Gutes hat, herauszunehmen, daß ich in ihr gelitten werden könne, ohne ihre Laster zu theilen. Ein müßiger Mensch, der die Welt sehen will, muß wenigstens ihre Manieren bis auf einen gewissen Punkt annehmen: denn was für ein Recht hätte man, auf Zutritt Anspruch zu machen bei Leuten, denen man zu nichts auf der Welt nütze ist und bei denen man sich nicht beliebt zu machen weiß? Versteht man dies letztere, so wird dann auch nichts weiter verlangt, sonderlich von einem Fremden. Er braucht an den Kabalen, Intriguen, Händeln keinen Theil zu nehmen; wenn er sich gegen Jedermann schicklich beträgt, gewissen Frauen weder Zurücksetzung noch Vorzug zu Theil werden läßt, aus den Gesellschaften, in denen er aufgenommen ist, nichts ausplaudert, die Lächerlichkeiten des einen Hauses nicht in dem andern zum Besten giebt, Vertraulichkeiten vermeidet, Zänkereien von sich fern hält, überhaupt sich eine gewisse Würde bewahrt, so wird er ruhig die Welt sehen können, ohne seine Sitten, seine Rechtschaffenheit zu verleugnen, selbst seine Freimüthigkeit, vorausgesetzt, daß diese aus Freisinnigkeit, nicht aus Parteigeist entspringe. So habe ich es zu machen gesucht, nach dem Rathe einiger einsichtsvollen Personen, die ich mir unter den Bekanntschaften, welche ich Milord Eduard verdanke, zu Führern gewählt habe. Ich habe nun angefangen in minder zahlreichen und gewählteren Gesellschaften Zutritt zu erhalten. Ich hatte bisher nur regelmäßigen Diners beigewohnt, wo sich keine Frau blicken läßt, außer der Herrin des Hauses und wo alle Pflastertreter von Paris, so viel man ihrer kennt, Zutritt haben,

      wo dann Jeder sein Diner, je nach Vermögen, mit Geist oder mit Schmeichelei bezahlt und wo es daher Gewirr und Lärm giebt, nicht viel anders an Wirthshaustischen.

      Ich bin jetzt in geheimere Mysterien eingeweiht. Ich wohne eingeladenen Soupers bei, wo die Thür dem zufällig Kommenden verschlossen ist und wo man drauf rechnen kann, nur Leute zu finden, die, wenn nicht sich unter einander, doch wenigstens ihren Wirthen angenehm sind. Da geben die Frauen weniger auf sich Acht und man kann schon anfangen, sie zu studiren; es werden da in größerer Ruhe feinere und sarkastischere Reden geführt; anstatt der öffentlichen Neuigkeiten, des Theaters, der Beförderung, der Todesfälle, der Heiraten, die man am Morgen besprochen hat, zieht man da behutsam die Stadtgeschichten durch die Hechel, entschleiert alle geheimen Angelegenheiten der Chronique scandaleuse, macht das Gute wie das Böse auf gleiche Weise komisch und lächerlich, und, indem Jeder mit Kunst nach seinem besonderen Zwecke die Charaktere Anderer malt, malt er, ohne daran zu denken, noch weit besser seinen eigenen; da gebraucht man wohl noch einen Rest von Scheu vor den Lakaien eine gewisse geschraubte Sprache, durch welche man unter dem Vorwandte die Satyre zu verhüllen, sie nur beißender macht; da mit einem Worte, schleift man den Dolch auf's feinste, vorgeblich um weniger weh zu thun, in Wahrheit, um tiefer zu stoßen.

      Indessen, nach unseren Vorstellungen, würde man Unrecht haben, diese gesellschaftlichen Reden satyrisch zu nennen, denn sie sind weit mehr höhnisch als beißend und treffen weniger das Laster als die Lächerlichkeiten. Im Allgemeinen hat die Satyre wenig Curs in großen Städten, wo das, was blos schlecht ist, so zur Tagesordnung gehört, daß es nicht Mühe lohnt davon zu sprechen. Was bleibt zu tadeln übrig, wo die Tugend nicht mehr geschätzt wird? Und worüber sollte man medisiren, wenn man nichts mehr unrecht findet? In Paris besonders, wo man Alles nur von der spaßhaften Seite nimmt, wo Alles, was Zorn und Entrüstung erregen sollte, nicht eher Eingang findet als bis es in ein Chanson oder Epigramm gebracht ist. Die hübschen Frauen lassen sich nicht gern böse machen, auch macht sie nichts böse, sie lachen gern und da in Unthaten kein Stoff zum Lachen liegt, so sind die Schurken ordentliche Leute wie alle Welt. Aber wehe Dem, der sich dem Gelächter bloßstellt; sein Brandmal ist unvertilgbar; der Spott zerfetzt nicht allein Sittlichkeit und Tugend, nein, zeichnet selbst das Laster, hängt dem Buben Verleumdungen an. Aber wieder zu unseren Soupers.

      Was mich in diesen gewählten Gesellschaften am meisten in Erstaunen setzt, ist, daß sechs Personen, die ausdrücklich zusammengekommen sind, um sich angenehm zu unterhalten und die meistens auch noch in geheimen Liaisons mit einander stehen, keine Stunde unter sich sein können, ohne halb Paris in ihren Kreis zu ziehen, als ob sich ihre Herzen nichts zu sagen hätten und Niemand zugegen wäre, der ihre Theilnahme verdiente. Erinnerst du dich, meine Julie, wie wir, wenn wir bei deiner Cousine oder bei dir zu Abend aßen, trotz Zwang und Heimlichkeit, die Unterhaltung auf Gegenstände lenkten, welche auf uns Bezug hatten, und wie bei jeder rührenden Bemerkung, bei jeder feinen Anspielung ein Blick rascher als der Blitz, ein Seufzer mehr geahnt als vernommen die süße Empfindung von dem einen Herzen zu dem andern trug?

      Lenkt sich die Unterhaltung zufällig auf die Tischgenossen, so tritt gemeinlich ein gewisser Gesellschafts-Jargon ein, dessen Schlüssel man besitzen muß, um ihn zu verstehen. Mittelst dieser Chiffre machen sie auf einander je nach der Mode tausend Sticheleien, in denen wer am wenigsten glänzt, nicht gerade der dümmste zu sein braucht, während jeder Dritte, der nicht eingeweiht ist, schweigen und sich langweilen oder Dinge belachen muß, die ihm unverständlich sind. Da hast du nun, Zusammenkünfte unter vier Augen abgerechnet, von denen ich nichts weiß noch wissen werde, Alles, was die geselligen Verbindungen hier zu Lande Herzliches und Liebevolles bieten.

      Wenn mitten unter dem Allen irgend ein Mann von Gewicht etwas Bedächtiges sagt, oder einen ernsten Gegenstand zur Sprache bringt, so richtet sich sogleich die allgemeine Aufmerksamkeit darauf; Männer, Frauen, alte und junge Leute, Alles ist bei der Hand ihn unter allen Gesichtspunkten zu betrachten und es ist zum Erstaunen, wie viel Sinniges und Vernünftiges alle diese Sausewinde vorzubringen wissen [Wofern nicht ein Witz wieder dazwischen fährt und aller Ernsthaftigkeit ein Ende macht; denn alsdann überbietet sich gleich alle Weit. Alles geht durch und es ist nicht möglich, wieder in den ernsthaften Ton zu kommen. Ich erinnere mich einer Handvoll Bretzeln, die eine Jahrmarktskomödie komisch in Verwirrung brachte; die Schauspieler waren aber lauter Thiere. Wie viele Dinge sind für viele Menschen solche Bretzeln! Es ist bekannt, wen Fontanelle mit dem Tirynthiervolk (Todtengespräche: Parménisque et Théocrite de Chio) schildern wollte.]. Ein moralisches Thema könnte in einer Gesellschaft von Philosophen nicht besser abgehandelt werden, als es in dem Cirkel einer

      hübschen Frauen von Paris geschiet; es würden dort sogar oft weniger strenge Schlüsse gezogen werden: denn der Philosoph, der nach seinen Worten thun will, sieht erst zweimal zu; hier aber, wo alle Moral ein bloßes Gerede ist, kann man seine Forderungen hoch spannen, ohne weitere Folgen, und man nimmt es sich auch wohl nicht übel, um den philosophischen Stolz ein wenig zu dämpfen, der Tugend eine so hohe Stelle zu geben, daß der Weise selber sie nicht erreichen kann. Uebrigens kommen Alle, Männer und Frauen, belehrt durch die Welterfahrung und durch ihr eigenes Gewissen, darin überein, so schlecht als möglich von dem Menschengeschlecht zu denken, indem sie stets einer trübseligen Philosophie huldigen, stets aus Eitelkeit die menschliche Natur herabsetzen, stets das Gute was geschieht aus irgend einem schlechten Beweggrunde ableiten, stets, ihrem eigenem Herzen nach, dem Herzen des Menschen Uebles nachreden.

      Dieser herabwürdigenden Weisheit ungeachtet, ist bei diesen friedlichen Unterhaltungen einer der Lieblingsgegenstände immer das Sentiment; wobei man nicht an eine trauliche Herzensergießung in den Busen der Liebe oder der Freunschaft denken muß — das wäre ja zum Sterben langweilig — sondern es ist die Empfindung gemeint, die man in hochtönende allgemeine Sätze destilirt und auf alle möglichen metaphysischen Subtilitäten abgezogen hat. Ich kann sagen, daß ich in meinem Leben nicht so viel von Empfindungen sprechen gehört und so wenig begriffen habe, was damit gemeint sei. Es ist lauter ungenießbares Raffinement. O Julie, unsere plumpen Herzen haben nie etwas geahnt von allen diesen schönen Grundsätzen, und ich fürchte, daß es mit der Empfindung den Weltleuten geht, wie den Pedanten mit dem Homer, die aus ihm tausend eingebildete Schönheiten herausklauben, weil sie seine wirklichen Schönheiten nicht fassen. Sie geben so alle ihre Empfindung im Geist aus: und es verdampft davon im Geplauder so viel, daß für die Praxis nichts übrig bleibt. Zum Glück hilft

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