Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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etwas vorübergehenden Zwang, den man sich auflegt, kostet, um sich einen guten Leumund zu machen; denn wenn die Opfer so weit gehen sollten, sich zu viel Zwang anzuthun oder zu theuer zu kommen, dann gute Nacht Sentiment; so viel muthet Einem die Schicklichkeit nicht zu. Dies abgerechnet ist es gar nicht zu glauben, wie Alles abgemessen und bestimmt ist in dem, was sie procédés [„Die Art, wie man sich zu benehmen hat," — Die Ausdrücke Sentiment, procédés mußten als technische in der Uebersetzung beibehalten werden. D. Ueb.] nennen; sie haben Alles, weil es nicht mehr im Gefühle liegt, in Regeln gebracht und es ist eben Alles Regel bei ihnen. Steckte dies Volk von Nachbetern ganz voll von Originalen, man würde nichts davon merken; denn Niemand getraut sich er selbst zu sein. „Man muß es wie die Andern machen" ist die erste Lebensregel hier zu Lande; „das thut man, das thut man nicht" die letzte Entscheidung.

      Dieser Schein von geregeltem Wesen giebt dem gemeinen Brauche den komischsten Anstrich von der Welt, selbst in den ernsthaftesten Dingen, Man weiß auf's Haar, wann man sich muß nach dem Befinden erkundigen, wann sich aufschreiben lassen, d. h. eine Visite machen, die man nicht macht, wann eine wirklich machen, wann zu Hause sein, wann nicht, wiewohl man es ist, was anbieten, welche Anerbietungen ablehnen, wie betrübt bei so und so einem Todesfalle sein [Sich über den Tod eines Menschen betrüben ist eine menschliche Empfindung und das Zeichen eines guten Herzens, aber keine Tugendpflicht, wäre der Verstorbene auch unser Vater. Wer in solchem Falle keine Traurigkeit im Herzen hat, soll auch keine äußerlich zur Schau tragen; denn es ist weit wesentlicher, alle Falschheit zu meiden, als sich der Schicklichkeit zu unterwerfen.], wie lange auf dem Lande weinen, an welchem Tage sich trösten und in die Stadt zurückkehren, wann, auf Stunde und Minute, wieder einen Ball geben und in's Schauspiel gehen. Alle Welt thut in gleichem Falle genau dasselbe, Alles geht im Takte, wie die Bewegungen eines Regiments in Schlachtordnung, es ist, als ob man lauter Marionetten sähe, die von demselben Draht regiert werden.

      Da es nun unmöglich ist, daß alle diese Leute, die genau das Nämliche thun, auch genau die nämliche Empfindung haben, so ist klar, daß es anderer Mittel, sie zu durchschauen, bedarf, wenn man sie kennen lernen will; klar, daß all ihr Geschwätz nur eingelernte Formel ist und nicht sowohl die Gesittung anzeigt, als vielmehr, was in Paris zum guten Tone gehört. Man erfährt, was da geredet wird, aber niemals, was davon zu halten ist. Dasselbe muß ich von den meisten neuen Schriften sagen; dasselbe auch vom Theater, welches seit Molière weit mehr ein Ort ist, wo artige Conversationen zum Besten gegeben werden, als eine Darstellung des bürgerlichen Lebens. Es giebt hier drei Theater, auf deren zweien phantastische Wesen vorgeführt werden, nämlich auf dem einen Harlekins, Pantalons, Skaramuze; auf dem andern Götter, Teufel, Zauberer. Auf dem dritten werden jene unsterblichen Stücke gegeben, die wir mit so großem Vergnügen lasen und andere neuere, die von Zeit zu Zeit auf die Bühne kommen. Manche von diesen letzteren sind Tragödien, aber nichts recht Ergreifendes; und wenn auch hin und wieder ein natürliches Gefühl oder eine wahre Beziehung zum menschlichen Herzen darin zu finden ist, gewähren sie doch keine Art Belehrung über die eigenthümliche Gesittung des Volkes, dem sie zur Belustigung dienen.

      Die Tragödie hatte zur Zeit ihrer Erfindung eine religiöse Grundlage, wodurch ihre Einführung hinreichend gerechtfertigt war. Außerdem bot sie den Griechen in den Niederlagen der Perser, ihrer Feinde, in den Verbrechen und Thorheiten der Könige, von denen sich das Volk frei gemacht hatte, ein lehrreich unterhaltendes Schauspiel dar. Wollte man in Bern, in Zürich, im Haag die alte Tyrannei des Hauses Oesterreich darstellen, so würde die Liebe zum Vaterlande und zur Freiheit diesen Stücken unsere Theilnahme zuwenden; man sage mir aber, was sich hier mit den Trauerspielen Corneille's anfangen lasse und was das Volk von Paris Pompejus oder Sertorius angeht. Die griechischen Tragödien hatten wirkliche Begebenheiten zum Gegenstande oder doch solche, die der Zuschauer dafür nahm und die sich auf geschichtliche Ueberlieferungen gründeten. Aber was will eine heldenmütige, reine Liebe in der Seele der Großen? Sollte man nicht denken, die inneren Kämpfe der Liebe und der Tugend machen ihnen oft schlaflose Nächte, und das Herz spiele eine große Rolle bei den fürstlichen Heiraten? Sage dir nun, wie viel Wahrscheinlichkeit und welchen Nutzen alle diese Stücke haben, die sich lediglich um einen so phantastischen Gegenstand drehen!

      Was das Lustspiel anlangt, so ist gewiß, daß es die Sitten des Volkes, für welches es geschrieben ist, nach der Natur darstellen soll, damit letzteres sich von seinen Lastern und Fehlern bessere, wie man vor einem Spiegel die Flecken aus seinem Gesichte wegschafft, Terenz und Plautus vergriffen sich schon in ihrem Gegenstande, aber vor ihnen Aristophanes und Menander hatten den Athenern athenische Sitten vorgeführt, und in neuerer Zeit hat Molière allein, noch naiver als jene, den Franzosen des vorigen Jahrhunderts ihre eigenen Sitten vor Augen gehalten. Das Gemälde ist jetzt ein anderes, aber es hat sich kein Maler wieder gefunden. Jetzt copirt man auf dem Theater die Conversationen, wie sie in etwa hundert Häusern von Paris bräuchlich sind; weiter erfährt man da nichts von den französischen Sitten. Es giebt in dieser großen Stadt fünf- bis sechsmal hunderttausend Seelen, von denen auf der Bühne nie die Rede ist. Molière wagte es, Bürger und Handwerker so gut wie Marquis zu schildern; Sokrates ließ Fuhrleute, Schreiner, Schuster, Maurer [Nach einer Stele bei Montaigne, s. Liv. III chap. 12. „Er führt immer nur Fuhrleute, Tischler, Maurer im Munde u.s.w.“ Vergl. Xenophon's Erinnerungen an Sokr. B. III. C. 10. D. Ueb.] sprechen. Aber die heutigen Schriftsteller, Leute von ganz anderem Ansehen, würden sich für entehrt halten, wenn sie wüßten, was im Comptoir eines Kaufmanns oder in der Bude eines Handwerkers vorgeht; sie müssen immer erlauchte Herren zu handelnden Personen haben und legen in den Rang derselben die Hoheit, die sie ihnen nicht in den Sinn zu legen wissen. Die Zuschauer selbst sind so ekel geworden, daß sie besorgt sind, sich vor den Brettern wie bei der Visite zu compromittiren und sich nicht herablassen mögen, im Stücke Leute geringeren Standes als sie sind, vor sich zu sehen. Sie achten sich für die einzigen Erdenbürger, alle Uebrigen sind in ihren Augen Nichts. Wer eine Kutsche, einen Schweizer, einen Hausmeister hat, der ist comme tout le monde. Um „wie alle Welt" zu sein, muß man wie sehr wenige Menschen sein. Die, welche zu Fuße gehen, gehören nicht zur Welt; das ist Bürgerpack [Wieder das bourgois. Vgl. oben die Anmerk. D. Ueb.] Pöbel, Volk aus einer andern Welt: man möchte sagen, daß eine Kutsche nicht sowohl zum Fahren als zur Existenz unenthehrlich sei. Es giebt somit eine Hand voll anmaßender Gesellen, die nur sich in der Welt zählen und die in der That nicht zählenswerth sind, außer des Bösen wegen, das sie thun. Für sie einzig und allein werden die Theaterstücke gemacht. Sie erscheinen da zugleich vorgestellt, in der Mitte des Theaters, und vorstellend, zu beiden Seiten; sie sind Personen auf der Bühne und Schauspieler auf den Bänken. So verschränken sich die Sphären der Welt und der Dichtung und das moderne Schauspiel weicht keinen

      Schritt breit von seiner langweiligen Grandezza. Man kann da den Menschen nicht mehr anders vorführen als im bordirten Kleide. Man sollte meinen, Frankreich sei mit nichts als Comtes und Chevaliers bevölkert und je bettelhafter und elendiglicher das Volk ist, desto pomphafter und prächtiger ist das Conterfei des Volkes auf den Brettern. Daher geschieht es, daß durch die Schilderung von Lächerlichkeiten derjenigen Stände, die den andern zum Muster dienen, diese Lächerlichkeiten mehr ausgebreitet als vertilgt werden, und daß das Volk. das stets der Affe der Reichen ist, weniger in's Theater geht, um ihre Narrheiten zu belachen, als um sie zu studiren und noch närrischer zu werden als seine Vorbilder, Das ist ein Fehler, dessen sich auch Molière selbst schuldig gemacht hat; er besserte den Hof und steckte die Stadt an, und seine lächerlichen Marquis waren die ersten Muster der bürgerlichen Stutzer, die sich nach ihnen bildeten.

      Im Allgemeinen ist viel Gerede und wenig Handlung auf der französischen Bühne; vielleicht liegt es daran, daß in der Wirklichkeit der Franzose mehr spricht als er handelt, oder wenigstens, daß er von dem, was man sagt, mehr Wesen macht, als von dem, was man thut. Jemand, der aus einem Stücke des Tyrannen Dionys kam, sagte: Ich habe Nichts gesehen, aber viel Redens gehört [Plutarch „Vom Hören" Cap. 7. Der Tyrann Dionys ist nur vermuthungsweise zum Verfasser jenes Stückes gemacht morden; die gewöhnliche Leseart an der betr. Stelle hat den Namen Diogenes, und es gab auch einen Tragiker dieses Namens in Athen. Die Stelle bei Plutarch lautet: ,,Melanthius soll auf die Frage, was er zu dem Trauerspiel des Diogenes meine, geantwortet haben: Ich kann vor allem Wortschwall nichts sehen." D. Ueb.].

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