Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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als Phrasenmacher, und ihr Nachfolger ist der erste, der, nach englischem Muster, manchmal Handlung auf die Bühne zu bringen gewagt. Gemeinhin verläuft Alles in schönen, wohlgesetzten, hochtrabenden Reden und Gegenreden, bei denen man vor allen Dingen sieht, daß jede der redenden Personen nichts Angelegentlicheres zu thun hat, als zu brilliren. Fast Alles wird in Gemeinsprüchen gesagt. In welcher Aufregung die Leute sein mögen, immer denken sie mehr an das Publikum als an sich; eine Sentenz wird ihnen nicht so sauer als ein Ausdruck des Gefühls; Racine und Molière [Es ist Unrecht, hier Molière und Racine zusammenzustellen; denn der Erstere ist, wie alle Anderen voller Maximen und Sentenzen, sonderlich in seinen gereimten Stücken; aber bei Racine ist Alles Empfindung; er hat es verstanden, Jeden für sich sprechen zu lassen, und er ist darin wahrhaft einzig unter den Dramatikern seiner Nation.] ausgenommen ist das „Ich" fast ebenso verpönt auf der französischen Bühne als in den Schriften von Port-Royal [S. „Bekenntn." Th. 3. S. 89. Anm. D. Ueb. ], und die menschlichen Leidenschaften, bescheiden wie die christliche Demuth, sprechen nie anders als in „Man". Dazu kommt noch eine gewisse manierirte Würde in der Haltung und Ausdrucksweise, welche der Leidenschaft nie erlaubt, ihre eigene Sprache zu sprechen, noch dem Schauspieler, die Person, die er darstellt, anzuziehen und sich an den Ort der Handlung zu versetzen, sondern ihn stets an die Bretter gefesselt und unter den Augen des Zuschauers hält. Auch bei den lebendigsten Situationen vergißt er niemals, schön zu declamiren und geschmackvolle Stellungen zu machen, und hat ihm die Verzweiflung einen Dolch ins Herz gestoßen, so begnügt er sich nicht damit, wie Polyrena [Vriam's Tochter, die auf dem Grabe des Achill geopfert wird und noch im Niederfallen Sorge trägt, sich schamhaft zu verhüllen. S. Ovid's Metamorph. 13. V. 478 und 479. D. Ueb.], mit Anstand zu fallen, nein, er fällt gar nicht; der Schicklichkeit zu Liebe bleibt er todt stehen und alle, die auf dem Theater sterben, gehen im nächsten Augenblick auf ihren Beinen davon.

      Das Alles kommt daher, weil der Franzose auf der Bühne nicht Natürlichkeit und Täuschung sucht, sondern nur etwas Geistreiches und Gedanken verlangt; er legt auf die zierliche Form, nicht auf die Nachahmung des Gegenstandes Werth, und will nicht hingerissen, sondern nur gut unterhalten sein. Niemand geht in's Schauspiel, um sich am Schauspiel zu vergnügen, sondern um Gesellschaft zu sehen und gesehen zu werden, um Stoff zum Geklatsche nach der Vorstellung zu sammeln; und man denkt bei dem, was man sieht, nur was sich darüber wird sagen lassen. Der Schauspieler ist ihnen immer der Schauspieler, nie die Person, welche er vorstellt. Dieser Mensch, der sich als der Gebieter der Welt vernehmen läßt, ist nicht Augustus, sondern Baron, des Pompejus Witwe ist Adrienne, Alzire ist Mademoiselle Gaussin und dieser trotzige Wilde Grandval. Die Schauspieler denken ihrerseits nicht daran, eine Täuschung hervorzubringen, weil sie sehen, daß danach Niemand fragt, Sie stellen die Helden des Alterthums zwischen sechs Reihen junger Pariser, stoppeln die französischen Moden auf das Römergewand; man sieht Cornelia in Thränen mit zwei Finger hoch Roth, Caro weiß gepudert und Brutus en panier. Das Alles fällt keinem Menschen auf und thut dem Effect der Stücke keinen Eintrag. Wie in der handelnden Person nur der Schauspieler, so sieht man in dem Drama nur den Verfasser, und wenn auf Costüm nicht gehalten wird, so ist das leicht zu verzeihen, denn man weiß doch, daß Corneille kein Schneider und Crebillon kein Perruquier war.

      Also von welcher Seite ich die Dinge auch betrachten mag, ist Alles hier nichts als Redensart, Geschwätz, und Floskel ohne Ernst und Bedeutung. Auf der Bühne wie in der Welt ist es vergeblich auf das zu achten, was gesprochen wird, man erfährt daraus nicht, was gethan wird. Und was braucht man es auch zu wissen? Sobald Jemand geredet hat, ist dann die Frage: wie führt er sich auf? Ei, hat er nicht Alles gethan? hat man nicht ein Urtheil über ihn? Ein ordentlicher Mensch ist hier nicht Der, welcher gut handelt, sondern Der, welcher schön redet, und ein einziges unbedachtes Wort, das Einem absichtslos entfährt, kann ihm einen unwiederbringlichen Schaden thun, den er mit vierzig Jahren Rechtschaffenheit nicht wett machen könnte. Mit Einem Worte, wiewohl die Handlungen der Leute ihren Reden nicht entsprechen, sehe ich, daß man sie dennoch nach ihren Worten schätzt, ohne Rücksicht auf Werke. Ich sehe ferner, daß in einer großen Statt die Gesellschaft gesitteter, umgänglicher, sogar zuverlässiger scheint als dies unter weniger studirten Leuten der Fall ist; aber sind die Menschen dort deswegen wirklich menschlicher, vernünftiger, gerechter? Ich weiß es nicht. Ich sehe bisher nur den Schein, und unter dieser gar so offenen und einnehmenden Außenseite sind vielleicht die Herzen versteckter, verschlossener als die unsrigen. Fremd hier, allein stehend, geschäftlos, ohne Verbindungen, ohne Vergnügungen und Willens, mich nur auf meinen eigenen Blick zu verlassen, wie soll ich dazu gelangen, mir ein Urtheil zu bilden?

      Indessen fange ich an, den rauschartigen Zustand zu begreifen, in welchen dieses aufgeregte, lärmende Leben Diejenigen versetzt, die sich ihm hingeben, und ich spüre eine Betäubung, wie Einer, vor dessen Augen man eine Menge von Gegenständen schnell nach einander vorüberführt. Nichts von Allem, was meine Sinne berührt, zieht mein Herz an, aber Alles zusammen verwirrt und lähmt seine Kräfte dermaßen, daß ich manchen Augenblick vergesse, was ich bin und wessen ich bin. Jeden Tag, wenn ich aus dem Hause gehe, lege ich meine Art zu fühlen unter Schloß und Riegel, und versehe mich mit einer anderen, welche zu dem Tande paßt, der mich erwartet. Unvermerkt gewöhne ich mich zu denken und zu urtheilen. wie ich es von aller Welt sehe. Wenn ich manchmal den Versuch mache, die Vorurtheile abzuschütteln und die Dinge in ihr wahres Licht zu stellen, augenblicklich werde ich mit einer Flut von Worten überschüttet, die sich wie vernünftige Gründe anhören. Man beweist mir augenscheinlich, daß nur der Halbphilosoph das Wesen der Dinge erfaßt, daß der wahre Weise sie nur so betrachtet, wie sie scheinen, daß man die Vorurtheile für Principien und die Schicklichkeitsformen für Gesetze achten müsse, und daß es die höchste Weisheit ist, wie die Narren zu leben.

      Gezwungen, so die Ordnung meiner sittlichen Triebe umzukehren, gezwungen, leeren Einbildungen Werth beizumessen und der Natur und Vernunft Schweigen zu gebieten, sehe ich so das göttliche Urbild verunstalten, welches ich in mir trage, und welches sonst zugleich Ziel meines Strebens und Leitstern meines Handelns war; ich werde von Grille zu Grille getrieben, und indem meine Neigungen ohne Unterlaß der Meinung unterthänig gemacht werden, bin ich keinen Tag sicher, was mir den folgenden gefallen werde.

      Verwirrt, gedemüthigt, bestürzt die Menschennatur in mir herabgewürdigt und mich so tief heruntergerissen zu sehen von jener inwendigen Größe, zu welcher sich unsere entflammten Herzen gegenseitig erhoben, komme ich Abends heim, von geheimer Trauer erfüllt, von tödtlichem Ueberdrusse niedergedrückt und das Herz hohl und aufgeblasen wie einen Luftballon. O Liebe, o ihr reinen Gefühle, die ich von ihr hatte! .... mit welchem Entzücken kehre ich in mich ein, mit welcher Wonne finde ich in mir noch meine alten Triebe und meine vorige Würde wieder! Wie preise ich mich glücklich, daß ich noch in all seinem Glanze da das Bild deiner Tugend strahlen sehe, Julie, thronend in Glorie und mit Einem Hauche alle jene Gespenster zerstreuend? Ich fühle meine eingeengte Seele wieder aufathmen, mir ist, als hätte ich mein Dasein und mein Leben wieder gewonnen, und mit meiner Liebe kehren mir alle Hochgefühle wieder, die sie ihres Gegenstandes würdig machen.

      Achtzehnter Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich habe den schönsten Anblick genossen, mein Freund, der je mein Auge entzücken kann. Das sittsamste, liebenswürdigste der Mädchen ist endlich die würdigste, beste der Frauen geworden. Der brave Mann, dessen Wünsche sie gekrönt hat, voll Achtung und Liebe für sie, lebt nur dafür, sie liebzuhaben, sie anzubeten, sie glücklich zu machen; und ich genieße das unaussprechliche Entzücken, Zeugin zu sein von dem Glücke meiner Freundin, das heißt, es zu theilen. Du wirst nicht weniger innigen Antheil nehmen, weiß ich gewiß, du, den sie immer so herzlich liebte, du, der du ihr fast von Kindheit auf theuer warst und dem so viele Wohlthaten sie noch theurer machen müssen. Ja, Alles, was sie fühlt, wird in unseren Herzen mitempfunden. Ist es für sie ein freudiges Gefühl, so ist es ein tröstliches für uns, und solchen Werth hat die Freundschaft, die uns vereint, daß das Glück des einen von uns dreien genug ist, um den beiden anderen

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