Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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für ein unparteiisches Auge, und rügt man sie in dem Lande, wo sie herrschend ist, auch wenn man selber da lebt, so ist das nicht tadelnswerther, als wenn man die Gebrechen der Menschen überhaupt rügt, da man doch mit den Menschen lebt. Bin ich jetzt nicht selbst ein Bewohner von Paris? Vielleicht habe ich, ohne es zu wissen, schon meinen Theil zu der Unordnung beigetragen, die ich dort bemerke; vielleicht würde ein zu langer Aufenthalt hier auch meinen Willen verderben; vielleicht würde ich nach einem Jahre auch nichts weiter als eine gemeine Bürgerseele sein, wenn ich nicht, um deiner würdig zu bleiben, die Seele eines freien Mannes und die Tugenden des Bürgers [Was oben durch „Bürgerseele“ gegeben ist, heißt im Originale „bourgeois“; was durch „Bürger“ „citoyen“. Unser „Bürger“ entspricht citoyen recht gut; bourgois durch „Pfahlbürger“ oder „Spießbürger“ zu geben, schien nicht passend, da diese Wörter einen Beigeschmack haben, der mit dem des bourgois von Paris nicht übereinkommt. D. Uebers.] mir erhielte. Laß mich also, ohne mir Zwang aufzulegen, Gegenstände, denen ich erröthen würde ähnlich zu sein, dir schildern, und eben durch Gemälde der Schmeichelei und Lüge mich zu reinem Eifer für die Wahrheit befeuern.

      Wenn ich über meine Beschäftigungen und über mein Schicksal frei gebieten könnte, würde ich, zweifle nicht, andere Gegenstände für meine Briefe wählen, und mit jenen warst du doch nicht unzufrieden, die ich dir aus Meillerie und dem Wallis schrieb; aber, geliebte Freundin, damit ich die Kraft gewinne, deren ich bedarf, das Getümmel der Welt, in der ich nun leben muß, zu ertragen, muß ich wenigstens den Trost haben, es dir schildern zu dürfen und mich durch den Gedanken, daß ich Stoff zu Briefen an dich brauche, anspornen, ihn zu suchen. Sonst wird mich Muthlosigkeit bei jedem Schritte befallen und ich werde Alles müssen fahren lassen, wenn du es nicht mit mir erleben willst. Bedenke, daß ich, um eine Lebensart zu führen, die so wenig mit meiner Neigung übereinkommt, eine Anstrengung nöthig habe, die ihrer Ursache nicht unwürdig ist, und damit du siehest, welche Bemühungen mich dir zuführen können, erlaube, daß ich dir manchmal von den Lebensregeln, die man kennen muß, erzähle, und von den Hindernissen, die man zu überwinden hat.

      Ungeachtet meines langsamen Schreibens und der unvermeidlichen Zerstreuungen war meine Sammlung schon fertig, als dein Brief zu gutem Glücke ankam, um meine Arbeit zu verlängern, und ich bewundere, indem ich seine Kürze betrachte, wie Vieles mir dein Herz in so geringem Raume zu sagen gewußt hat. Nein, ich behaupte, daß es nichts Köstlicheres zu lesen giebt, für Den der eine der unsrigen verwandte Seele hat. Aber wie wäre es möglich, dich nicht zu kennen, wenn man deine Briefe liest? Sieht man nicht bei jedem Satze den sanften Blick deiner Augen? Hört man nicht bei jedem Worte deine liebliche Stimme? Welche Andere als Julie hat je geliebt, gedacht, gesprochen, gehandelt, geschrieben wie sie? Sei also nicht erstaunt, wenn deine Briefe, die dich so ganz abmalen, manchmal auf deinen abgöttischen Liebhaber dieselbe Wirkung machen wie deine Gegenwart. Indem ich sie lese, rauben sie mir den Verstand, es schwillt mir vor den Sinnen, ein verzehrendes Feuer entzündet mein ganzes Wesen, mein Blut wallt und siedet, eine Wuth durchzittert mich. Ich glaube dich zu sehen, dich zu berühren, dich an meine Brust zu drücken …. Angebetetes Wesen, bezauberndes Mädchen, Quell aller Wonne und Wollust, wie soll ich, wenn ich dich sehe, nicht die Houris sehen, die der Seligen im Paradiese warten? .... O, komm …. Ich fühle sie .... und fort ist sie, ich umfasse einen bloßen Schatten .... Es ist wahr, geliebte Freundin, du bist zu schön und du warst zu zärtlich für mein schwaches Herz; es kann weder deine Schönheit vergessen, noch deine Liebkosungen; deine Reize tragen über die Abwesenheit den Sieg davon, sie verfolgen mich überall, sie machen, daß ich mich fürchte allein zu sein; und das ist der Gipfel meines Elendes, daß ich mich immer und immer nur mit dir beschäftigen kann.

      Sie werden also verbunden werden, trotz der Hindernisse, oder vielmehr sie sind es schon, indem ich dieses schreibe! Liebenswerthes und würdiges Paar! möge der Himmel auf sie das Glück häufen, welches ihre verständige, ruhige Liebe, ihre Sittenreinheit, ihr Seelenadel verdient! möge er ihnen das kostbare Glück schenken, womit er so geizig ist gegen Herzen, die geschaffen sind, es zu schmecken! wie glücklich werden sie sein, wenn er ihnen Alles das gewährt, was er, ach, uns vorenthält! Aber dennoch fühlst du nicht eine Art Trost in unseren Leiden? fühlst du nicht, daß das Uebermaß unseres Elends nicht mehr ganz ohne Vergütung ist, und daß, wenn sie Freuden haben, deren wir beraubt sind, wir dafür solche haben, die sie nicht kennen? Ja, süße Freundin, trotz der Abwesenheit, der Entbehrungen, der Unruhe, trotz der Verzweigung selbst, liegt in dem gewaltigen Fluge zweier Herzen zu einander hin eine geheime Wollust, von der ruhige Seelen keine Ahnung haben. Es ist eines von den Wundern der Liebe, daß sie es uns zu einer Lust macht zu leiden; ja, für das größte Unglück, das uns treffen könnte, würden wir einen Zustand von Unempfindlichkeit und Vergessenheit halten. welcher uns jedes Gefühl unserer Schmerzen rauben wollte. Beklagen wir denn unser Loos, Julie, aber beneiden wir Niemanden! Es giebt vielleicht, Alles genommen, kein Dasein, das dem unseren vorzuziehen wäre, und wie die Gottheit all ihre Seligkeit aus sich selber nimmt, so finden die Herzen, welche ein himmlisches Feuer erwärmt, in ihren eigenen Gefühlen einen reinen köstlichen Genuß, der unabhängig von dem Schicksale und von der ganzen Welt ist.

      Siebzehnter Brief.

       An Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Da wäre ich denn nun ganz in dem Strome! Als meine Sammlung fertig war. fing ich an das Theater zu besuchen und Soupers in der Stadt mitzumachen. Ich bringe meinen ganzen Tag in der Welt hin, ich leihe Allem, was sich mir darbietet, Aug' und Ohr, und, da ich nichts finde, was dir gleicht, so sammle ich mich mitten in dem Lärm und plaudere im Stillen mit dir. Nicht, als hätte nicht dieses geräuschvolle und bewegte Leben auch seinen Reiz, und der wunderbare Wechsel der Gegenstände eine gewisse Annehmlichkeit für den Neuling; aber um ein Gefühl dafür zu haben, muß das Herz leer und der Sinn leichtfertig sein; es ist, als ob sich Liebe und Vernunft verbänden, mir das ganze Treiben zum Ekel zu machen. Da Alles nur eitler Schein ist, und jeder Augenblick Neues bringt, so läßt mir Nichts Zeit, mich von ihm bewegen zu lassen. Nichts Zeit, es nur recht zu Prüfen.

      So fange ich denn nun an zu sehen, wie schwer es ist, die Welt zu studiren, und ich weiß nicht einmal, welche Stellung man einnehmen müßte, um sie ordentlich kennen zu lernen. Der Philosoph steht ihr zu fern, der Weltmann zu nah. Jener sieht zu viel, um zum Nachdenken zu kommen, dieser zu wenig, um das Ganze beurtheilen zu können. Der Philosoph betrachtet jeden Gegenstand, der ihm in's Auge fällt, einzeln, und, außer Stande, dessen Zusammenhänge und Beziehungen zu andern Gegenständen, die zufällig nicht in seinem Bereiche liegen, zu erkennen, sieht er denselben nie an seiner Stelle und begreift weder die Ursache noch die wahren Wirkungen. Der Weltmann sieht Alles, aber hat nicht Zeit, an etwas zu denken; der schnelle Wechsel der Gegenstände erlaubt ihm nur, sie zu bemerken, nicht sie zu beobachten; die Eindrücke verwischen in Eile einer den andern, und nichts bleibt ihm davon zurück, als ein verworrenes Bild, das einem Chaos gleicht.

      Man kann auch nicht abwechselnd dann beobachten, dann nachdenken, weil das Schauspiel eine unausgesetzte Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, die das Denken unterbrechen würde. Ein Mensch, der seine Zeit zwischen Welt und Einsamkeit theilen wollte, würde, in seiner Znrückgezogenheit ewig voll Unruhe und in der Welt ewig fremd, auf keiner Seite recht sein. Es möchte kein anderes Mittel geben, als sein ganzes Leben in zwei große Hälften zu theilen, die eine, um zu sehen, die andere, um zu überdenken; aber auch das ist beinahe unmöglich, denn die Denkkraft ist kein Geräth, das man nach Belieben bei Seite legt und wieder hervorholt, und wer zehn Jahre hat leben können, ohne zu denken, der wird in seinem ganzen Leben nicht denken.

      Ich finde auch, daß es eine Thorheit ist, die Welt als bloßer Zuschauer studiren zu wollen. Wer nichts weiter will, als Beobachtungen machen, macht keine, weil er, als ein bei Geschäften unnützer und bei Vergnügungen lästiger Gesell, nirgend zugelassen wird. Man sieht die Anderen nur thätig, so weit man selbst mit thätig ist; in der Schule der Welt, wie in der Schule der Liebe muß man von Anfang an ausübend lernen.

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