Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин
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Über die Verwandtschaften und die Genealogie des Menschen
Stellung des Menschen in der Thierreihe. – Das natürliche System ist genealogisch. – Adaptive Charaktere von geringer Bedeutung. – Verschiedene kleine Punkte der Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den Quadrumanen. – Rang des Menschen in dem natürlichen System. – Geburtsstelle und Alter des Menschen. – Fehlen von fossilen Übergangsgliedern. – Niedere Stufen in der Genealogie des Menschen, wie sie sich erstens aus seinen Verwandtschaften und zweitens aus seinem Baue ergeben. – Früher hermaphroditer Zustand der Wirbelthiere. – Schluß.
Selbst wenn zugegeben wird, daß die Verschiedenheit zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten in Bezug auf seine körperliche Bildung so groß ist, wie es einige Naturforscher behaupten, und obgleich wir zugeben müssen, daß die Verschiedenheit zwischen ihnen in Bezug auf die geistigen Kräfte ungeheuer ist, so zeigen doch, wie mir scheint, die in den vorangehenden Capiteln mitgetheilten Thatsachen in der deutlichsten Weise, daß der Mensch von irgend einer niedrigeren Form abstammt, trotzdem daß verbindende Zwischenglieder bis jetzt noch nicht entdeckt worden sind.
Der Mensch bietet zahlreiche unbedeutende und mannichfaltige Abänderungen dar, welche durch dieselben allgemeinen Ursachen herbeigeführt und nach denselben allgemeinen Gesetzen bestimmt und überliefert werden wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich in einem so rapiden Verhältnisse vervielfältigt, daß er nothwendig einem Kampfe um's Dasein und in Folge hiervon der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt worden ist. Er hat viele Rassen entstehen lassen, von denen einige so verschieden von einander sind, daß sie oft von Naturforschern als distincte Arten classificiert worden sind. Sein Körper ist nach demselben homologen Plane gebaut wie der anderer Säugethiere. Er durchläuft dieselben Zustände embryonaler Entwicklung. Er behält viele rudimentäre und nutzlose Bildungen bei, welche ohne Zweifel einstmals eine Function verrichteten. Gelegentlich erscheinen Merkmale wieder bei ihm, welche, wie wir allen Grund zu glauben haben, im Besitze seiner früheren Urerzeuger waren. Wäre der Ursprung des Menschen von dem aller übrigen Thiere völlig verschieden gewesen, so wären diese verschiedenen Erscheinungen bloße nichtssagende Täuschungen; eine solche Annahme ist indessen unglaublich. Auf der andern Seite aber sind sie wenigstens in einer großen Ausdehnung verständlich unter der Annahme, daß der Mensch mit anderen Säugethieren von irgend einer unbekannten und niederen Form abstammt.
In Folge des tiefen Eindrucks, welchen die geistigen und seelischen Kräfte des Menschen gemacht haben, haben einige Naturforscher die ganze organische Welt in drei Reiche eingetheilt, das Menschenreich, das Thierreich und das Pflanzenreich, womit sie also dem Menschen ein besonderes Reich einräumen.322 Geistige Kräfte können von dem Naturforscher nicht verglichen oder classificiert werden; er kann aber zu zeigen versuchen, wie ich es gethan habe, daß die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der niederen Thiere nicht der Art nach, wenn schon ungeheuer dem Grade nach von einander abweichen. Eine Verschiedenheit des Grades, so groß sie auch sein mag, berechtigt uns nicht dazu, den Menschen in ein besonderes Reich zu stellen, wie vielleicht am besten durch eine Vergleichung der geistigen Kräfte zweier Insecten gezeigt wird, nämlich eines Coccus oder Schildlaus und einer Ameise, welche unzweifelhaft zu einer und derselben Classe gehören. Die Verschiedenheit ist hier größer, wenn auch von einer etwas verschiedenen Art, als zwischen dem Menschen und dem höchsten Säugethiere. Der weibliche Coccus befestigt sich, während er jung ist, mit seinem Rüssel an eine Pflanze, saugt deren Saft, aber bewegt sich nicht wieder, wird befruchtet und legt Eier; und dies ist seine ganze Geschichte. Andererseits aber die Gewohnheiten und geistigen Kräfte einer Arbeiterameise zu beschreiben, würde, wie Pierre Huber gezeigt hat, einen ganzen Band füllen. Ich möchte indessen kurz einige wenige Punkte anführen. Ameisen tauschen sicher unter einander Mittheilungen aus und mehrere vereinigen sich zu derselben Arbeit oder zum Spielen. Sie erkennen die Mitglieder ihres Haufens selbst nach monatelanger Abwesenheit wieder und fühlen Sympathie mit einander. Sie errichten große Gebäude, halten sie reinlich, schließen am Abend die Thüren und stellen Wachen aus. Sie bauen Straßen und selbst Tunnels unter Flüssen und temporäre Brücken über dieselben dadurch, daß sie sich an einander hängen. Sie sammeln Nahrung für die ganze Genossenschaft, und wenn ein für das Einbringen zu großer Gegenstand an das Nest gebracht wird, so erweitern sie die Thüre und bauen sie nachher wieder auf. Sie legen Vorräthe von Samenkörnern an, deren Keimung sie verhindern, und welche sie, wenn sie feucht wurden, zum Trocknen an die Luft bringen. Sie halten sich Blattläuse und andere Insecten als Milchkühe. Sie ziehen in regelmäßigen Reihen zum Kampfe aus und opfern ohne Besinnen ihr Leben für das allgemeine Wohl. Sie wandern nach einem vorher gefaßten Plane aus. Sie fangen sich Sclaven. Sie bewegen die Eier ihrer Aphiden ebenso wie ihre eigenen Eier und Cocons nach den wärmeren Theilen des Nests, damit sie schneller zum Auskriechen gelangen; und es ließen sich noch endlose ähnliche Thatsachen anführen.323 Im Ganzen ist der Unterschied in den geistigen Kräften zwischen einer Ameise und einem Coccus ganz ungeheuer, und doch hat sich Niemand auch nur im Traume einfallen lassen, beide in verschiedene Classen und noch viel weniger in verschiedene Reiche zu stellen. Ohne Zweifel wird dieser Abstand von den zwischenliegenden Graden geistiger Kräfte vieler andern Insecten überbrückt, und dies ist beim Menschen und den höheren Affen nicht der Fall. Wir haben aber allen Grund zu glauben, daß die Unterbrechungen der Reihe einfach das Resultat des Umstands sind, daß viele Formen ausgestorben sind.
Professor Owen hat die Säugethierreihe mit besonderer Berücksichtigung der Bildung ihres Gehirns in vier Unterclassen eingetheilt. Eine derselben umfaßt den Menschen, in eine andere stellt er die beiden Abtheilungen der Marsupialien und Monotremen, so daß er den Menschen allen übrigen Säugethieren gegenüber als so verschieden hinstellt wie die beiden letzten Gruppen zusammengenommen. Soviel mir bekannt ist, ist diese Ansicht von keinem Naturforscher angenommen worden, welcher der Bildung eines unabhängigen Urtheils fähig ist, und braucht daher hier nicht weiter betrachtet zu werden.
Wir können wohl einsehen, warum eine Classification, welche auf irgend ein einzelnes Organ oder Merkmal – selbst auf ein Organ von einer so wunderbaren Compliciertheit oder von solcher Bedeutung wie das Gehirn – oder auf hohe Entwicklung der geistigen Fähigkeiten sich gründet, sich fast mit Gewißheit als unbefriedigend herausstellen wird. Der Versuch, nach diesem Principe einzutheilen, ist in der That bei den Hymenopteren unter den Insecten angestellt worden. Wurden aber diese nach ihrer Lebensweise oder ihren Instincten classificiert, so erwies sich die Anordnung als durchaus künstlich.324 Die Classificationen können natürlich auf irgendwelches Merkmal basiert werden, so auf die Größe, die Farbe oder das Element, welches die Thiere bewohnen. Es haben aber die Naturforscher schon seit langer Zeit die tiefe Überzeugung gehabt, daß es ein natürliches System gebe. Wie jetzt allgemein zugegeben wird, muß dieses System soweit wie nur möglich genealogisch in seiner Anordnung sein, – d. h. die verschiedenen Nachkommen einer und derselben Form müssen in einer Gruppe zusammengehalten werden und zwar getrennt von den verschiedenen Nachkommen einer andern Form. Sind aber die Stammformen mit einander verwandt, so werden es auch deren Nachkommen sein, und die beiden Gruppen zusammen werden dann eine gemeinsame größere Gruppe bilden. Die Größe der Verschiedenheit zwischen den verschiedenen Gruppen, – welche den Betrag der Modificationen, denen eine jede derselben unterlegen ist, bezeichnet, – wird durch derartige Ausdrücke wie Gattungen, Familien, Ordnungen und Classen angegeben. Da wir keine Urkunden über die Descedenzreihen besitzen, so können die Stammbäume nur durch Beobachtung der Ähnlichkeitsgrade zwischen den einzelnen zu classificierenden Wesen entdeckt werden. Zu diesem Zwecke sind zahlreiche einzelne Punkte der Übereinstimmung von viel größerer Bedeutung als der Betrag von Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit in einigen wenigen Punkten. Wenn nachgewiesen würde, daß zwei Sprachen einander in einer Menge von Worten und Constructionsweisen glichen, so würden sie ganz allgemein als aus einer gemeinsamen Quelle stammend