Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин
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Wenn die verschiedenen, in den letzten beiden Absätzen speciell angeführten, und vielleicht noch andere jetzt unbekannte, Hemmnisse es nicht verhindern, daß die leichtsinnigen, lasterhaften und in anderer Weise niedriger stehenden Glieder der Gesellschaft sich in einem schnelleren Verhältnisse vermehren als die bessere Classe der Menschen, so wird die Nation rückschreiten, wie es in der Geschichte der Welt nur zu oft vorgekommen ist. Wir müssen uns daran erinnern, daß Fortschritt keine unabänderliche Regel ist. Es ist äußerst schwer zu sagen, warum die eine civilisierte Nation emporsteigt, machtvoller wird und sich weiter verbreitet als eine andere; oder warum eine und dieselbe Nation zu einer Zeit mehr fortschreitet als zu einer andern. Wir können nur sagen, daß dies von einer Zunahme der factischen Anzahl der Bevölkerung, von der Zahl der Menschen, die mit hohen intellectuellen und moralischen Fähigkeiten begabt sind, ebenso wie von der Höhe dessen abhängt, was bei ihnen für ausgezeichnet gilt. Körperliche Bildung scheint nur geringen Einfluß zu haben, ausgenommen insofern, als körperliche Kraft zu geistiger Kraft führt.
Es ist von mehreren Schriftstellern hervorgehoben worden, daß, weil hohe intellectuelle Kräfte einer Nation vortheilhaft sind, die alten Griechen, welche in Bezug auf den Intellect doch einige Grade höher gestanden haben als irgend eine Rasse, welche je existiert hat,310 in ihrer ganzen Entwicklung noch höher gestiegen, an Zahl noch mehr zugenommen und ganz Europa bevölkert haben müßten, wenn die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl wirklich bestände. Wir sehen hier die stillschweigende Annahme, die so oft in Bezug auf körperliche Bildung gemacht wird, daß ein gewisses angeborenes Streben zu einer beständigen Weiterentwicklung an Geist und Körper vorhanden sei. Aber Entwicklung aller Art hängt von vielen zusammenwirkenden günstigen Umständen ab. Natürliche Zuchtwahl wirkt nur in der Weise eines Versuchs. Individuen und Rassen mögen gewisse unbestreitbare Vortheile erlangt haben und können doch, weil ihnen andere Charaktere fehlen, untergegangen sein. Die Griechen können wegen eines Mangels an Zusammenhalten zwischen den vielen kleinen Staaten, wegen der geringen Größe ihres ganzen Landes rückwärts geschritten sein, eben so wegen der Ausübung der Sclaverei oder wegen ihrer extremen Sinnlichkeit; denn sie unterlagen nicht eher, als bis »sie entnervt und bis in's innerste Mark verderbt waren«.311 Die westlichen Nationen Europas, welche jetzt so unmeßbar ihre früheren, wilden Urerzeuger überflügelt haben und auf dem Gipfel der Civilisation stehen, verdanken wenig oder gar nichts von ihrer Superiorität der directen Vererbung von den alten Griechen, obwohl sie den schriftlich hinterlassenen Werken dieses wunderbaren Volks viel verdanken.
Wer kann positiv angeben, warum die spanische Nation, die zu einer Zeit so dominierend war, in dem Wettlaufe der Völker überflügelt worden ist? Das Erwachen der Nationen Europas aus den Jahrhunderten der Dunkelheit ist ein noch verwirrenderes Problem. In dieser frühen Zeit hatten, wie Mr. Galton bemerkt hat, fast alle Männer einer weicheren Natur, die, welche sich einer beschaulichen Betrachtung oder der Cultur des Geistes ergaben, keinen anderen Zufluchtsort als den Busen der Kirche, und diese forderte das Cœlibat;312 und dieses wieder mußte fast sicher einen verschlechternden Einfluß auf jede der folgenden Generationen ausüben. Während dieser selben Periode wählte die heilige Inquisition mit der äußersten Sorgfalt die freisinnigsten und kühnsten Männer aus. um sie zu verbrennen oder gefangen zu setzen. Allein in Spanien wurden von den besten Leuten – d.h. von denen, welche zweifelten und Fragen aufwarfen, und ohne Zweifel ist ja kein Fortschritt möglich – während dreier Jahrhunderte jährlich eintausend eliminiert. Das Übel, welches die katholische Kirche hierdurch bewirkt hat, ist unberechenbar, wenn es auch in gewisser, vielleicht großer Ausdehnung auf andere Weise ausgeglichen wurde. Nichtsdestoweniger ist Europa in einem Verhältnis ohne Gleichen fortgeschritten.
Der merkwürdige Erfolg der Engländer als Colonisten, gegenüber anderen europäischen Nationen, welche durch einen Vergleich der Fortschritte der Canadier englischen und französischen Ursprungs erläutert wird, ist deren »unerschrockener und ausdauernder Energie« zugeschrieben worden; wer kann aber sagen, wie die Engländer ihre Energie erlangten? Wie es scheint, liegt in der Annahme sehr viel Wahres, daß der wunderbare Fortschritt der Vereinigten Staaten ebenso wie der Charakter des Volkes die Resultate natürlicher Zuchtwahl sind. Die energischeren, rastloseren und muthigeren Menschen aus allen Theilen Europas sind während der letzten zehn oder zwölf Generationen in jenes große Land eingewandert und haben dort den größten Erfolg gehabt.313 Blicken wir auf die fernste Zukunft, so glaube ich nicht, daß die Ansicht des Mr. Zincke übertrieben ist, wenn er sagt:314 »alle übrigen Reihen von Begebenheiten – z. B. die, welche als Resultat die geistige Cultur in Griechenland, und die, welche die römische Kaiserzeit hervorgehen ließen – scheinen nur Zweck und Bedeutung zu erhalten, wenn sie im Zusammenhange mit, oder noch eher als Unterstützung für ... den großen Strom anglosächsischer Auswanderung nach dem Westen hin betrachtet werden«. So dunkel das Problem des Fortschritts der Civilisation ist, so können wir wenigstens sehen, daß eine Nation, welche eine lange Zeit hindurch die größte Zahl hoch intellectueller, energischer, tapferer, patriotischer und wohlwollender Männer erzeugte, im Allgemeinen über weniger begünstigte Nationen das Übergewicht erlangen wird.
Natürliche Zuchtwahl ist die Folge des Kampfes um's Dasein, und dieser ist die Folge eines rapiden Verhältnisses der Vermehrung. Es ist unmöglich, das Verhältnis, in welchem der Mensch an Zahl zuzunehmen strebt, nicht tief zu bedauern, – ob dies freilich weise ist, ist eine andere Frage; – denn es führt dasselbe bei barbarischen Stämmen zum Kindesmord und vielen anderen Übeln, und bei civilisierten Nationen zu der gräßlichsten Verarmung, zum Cœlibat und zu den späten Heirathen der Klügeren. Da aber der Mensch an denselben physischen Übeln zu leiden hat, wie die niederen Thiere, so hat er kein Recht, eine Immunität diesen Übeln