Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин
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Alles was wir über Wilde wissen oder was wir aus ihren Traditionen und alten Denkmälern, deren Geschichte von den jetzigen Bewohnern der betreffenden Länder vollständig vergessen ist, schließen können, weist darauf hin, daß von den entferntesten Zeiten an erfolgreiche Stämme andere Stämme verdrängt haben. Überreste ausgestorbener oder vergessener Stämme sind in allen civilisierten Gegenden der Erde, auf den wilden Steppen von Amerika und auf den isolierten Inseln des stillen Oceans entdeckt worden. Noch heutigen Tages verdrängen überall civilisierte Nationen barbarische, ausgenommen da, wo das Klima eine Grenze für die Entwicklung des Lebens zieht, und sie haben hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, ihren Erfolg ihren Kunstfertigkeiten zu danken, welche wiederum das Product ihres Verstandes sind. Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß beim Menschen die intellectuellen Fähigkeiten allmählich durch natürliche Zuchtwahl vervollkommnet worden sind, und dieser Schluß genügt für unseren vorliegenden Zweck. Unzweifelhaft würde es sehr interessant gewesen sein, die Entwicklung jeder einzelnen Fähigkeit von dem Zustande an, in welchem sie bei niederen Thieren existierte, zu dem, in welchem sie beim Menschen vorhanden ist, zu verfolgen; doch gestatten mir weder meine Fähigkeit noch meine Kenntnisse, diesen Versuch zu machen.
Es verdient Beachtung, daß, sobald die Urerzeuger des Menschen social geworden waren (und dies trat wahrscheinlich zu einer sehr frühen Periode ein), die Fortschritte der intellectuellen Fähigkeiten durch das Princip der Nachahmung in Verbindung mit Verstand und Erfahrung in einer Weise unterstützt und motiviert sein werden, von welcher wir jetzt bei den niederen Thieren nur Spuren sehen. Affen ahmen sehr gern alles nach, wie es auch die niedrigsten Wilden thun; und die einfache, früher schon erwähnte Thatsache, daß nach einer gewissen Zeit kein Thier an demselben Ort durch dieselbe Art von Fallen gefangen werden kann, zeigt, daß Thiere durch Erfahrung lernen und die Vorsicht ihrer Genossen nachahmen. Wenn nun in einem Stamme irgend ein Mensch, welcher scharfsinniger ist als die Übrigen, eine neue Finte oder Waffe oder irgend ein anderes Mittel des Angriffs oder der Verteidigung erfindet, so wird das offenbarste eigene Interesse, ohne die Unterstützung großer Verstandesthätigkeit, die andern Glieder des Stammes dazu bringen, ihm nachzuahmen, und hierdurch werden Alle Vortheile haben. Die gewohnheitsgemäße Übung einer jeden neuen Kunst muß gleichfalls in einem unbedeutenden Grade den Verstand kräftigen. Ist die neue Erfindung von großer Bedeutung, so wird der Stamm an Zahl zunehmen, sich verbreiten und andere Stämme verdrängen. In einem hierdurch zahlreicher gewordenen Stamme wird auch die Wahrscheinlichkeit immer größer sein, daß andere ausgezeichnete und erfinderische Glieder geboren werden. Hinterließen solche Leute Kinder, welche deren geistige Überlegenheit erben konnten, so wird die Wahrscheinlichkeit der Geburt von noch ingeniöseren Mitgliedern wieder größer geworden sein und besonders bei einem sehr kleinen Stamme ganz entschieden größer. Selbst wenn sie keine Kinder hinterließen, wird doch der Stamm wenigstens Blutverwandte von ihnen noch enthalten, und es ist von Landwirthen288 nachgewiesen worden, daß durch das Erhalten einer Familie und das Nachzüchten von ihr, wenn sich überhaupt nur ein Thier aus derselben beim Schlachten als ein werthvolles herausstellte, die gewünschte Beschaffenheit erlangt worden ist.
Wenden wir uns nun zu den socialen und moralischen Fähigkeiten. Damit die Urmenschen oder die affenähnlichen Urerzeuger des Menschen social würden, mußten sie dieselben instinctiven Gefühle erlangt haben, welche andere Thiere dazu treiben, in Menge beisammen zu leben; und sie boten ohne Zweifel dieselbe allgemeine Disposition dazu dar. Sie werden sich ungemüthlich gefühlt haben, wenn sie von ihren Kameraden getrennt waren, für welche sie einen gewissen Grad von Liebe gefühlt haben; sie werden einander vor Gefahr gewarnt haben und werden sich gegenseitig beim Angriff oder bei der Vertheidigung unterstützt haben. Alles dies setzt einen gewissen Grad von Sympathie, von Treue und von Muth voraus. Derartige sociale Eigenschaften, deren wichtige Bedeutung für die niederen Thiere Niemand bestritten hat, wurden ohne Zweifel von den Urerzeugern des Menschen auch in einer ähnlichen Weise erlangt, nämlich durch natürliche Zuchtwahl mit Unterstützung einer vererbten Gewohnheit. Kamen zwei Stämme des Urmenschen, welche in demselben Lande wohnten, mit einander in Concurrenz, so wird, wenn der eine Stamm bei völliger Gleichheit aller übrigen Umstände eine größere Zahl muthiger, sympathischer und treuer Glieder umfaßte, welche stets bereit waren, einander vor Gefahr zu warnen, einander zu helfen und zu vertheidigen, dieser Stamm ohne Zweifel am besten gediehen sein und den andern besiegt haben. Man darf nicht vergessen, von welcher unendlichen Bedeutung bei den nie aufhörenden Kriegen der Wilden Treue und Muth sein müssen. Die Überlegenheit, welche disciplinierte Soldaten über undisciplinierte Massen zeigen, ist hauptsächlich eine Folge des Vertrauens, welches ein Jeder in seine Kameraden setzt. Gehorsam ist, wie Mr. Bagehot sehr gut entwickelt hat,289 von der höchsten Bedeutung, denn irgend eine Form von Regierung ist besser als gar keine. Selbstsüchtige und streitsüchtige Leute werden nicht zusammenhalten, und ohne Zusammenhalten kann nichts ausgerichtet werden. Ein Stamm, welcher die obengenannte Eigenschaft in hohem Grade besitzt, wird sich verbreiten und anderen Stämmen gegenüber siegreich sein; aber im Laufe der Zeit wird, nach dem Zeugnis der ganzen vergangenen Geschichte, auch er an seinem Theil von irgend einem andern und noch höher begabten Stamme überflügelt werden. Hierdurch werden die socialen und moralischen Eigenschaften sich langsam zu erhöhen und über die ganze Erde zu verbreiten neigen.
Man könnte aber nun fragen: woher kam es, daß innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes eine größere Anzahl seiner Glieder zuerst mit socialen und moralischen Eigenschaften begabt wurde und wodurch wurde der Maßstab der Vorzüglichkeit erhöht? Es ist äußerst zweifelhaft, ob Nachkommen der sympathischeren und wohlwollenderen Eltern oder derjenigen, welche ihren Kameraden am treuesten waren, in einer größeren Anzahl aufgezogen wurden als Kinder selbstsüchtiger und verrätherischer Eltern desselben Stammes. Wer bereit war, sein Leben eher zu opfern als seine Kameraden zu verrathen, wie es gar mancher Wilde gethan hat, der wird oft keine Nachkommen hinterlassen, welche seine edle Natur erben könnten. Die tapfersten Leute, welche sich stets willig fanden, sich im Krieg an die Spitze ihrer Genossen zu stellen, und welche bereitwillig ihr Leben für Andere in die Schanze schlugen, werden im Durchschnitt in einer größeren Zahl umkommen als andere Menschen. Es scheint daher kaum wahrscheinlich, daß die Zahl mit solchen Tugenden ausgerüsteter Menschen oder der Maßstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d. h. durch das Überleben des Passendsten erhöht werden könnte; denn davon sprechen wir hier nicht, daß ein Stamm aus einem Kampfe mit einem andern siegreich hervorgeht.
Wenngleich die Umstände, welche zu einer Zahlenzunahme derartig begabter Leute innerhalb eines und desselben Stammes führen, zu compliciert sind, um einzeln deutlich verfolgt werden zu können, so sind wir doch im Stande, einige der wahrscheinlichen Schritte zu erkennen. So wird an erster Stelle in der Weise wie die Verstandeskräfte und die Voraussicht der einzelnen Glieder sich verbessern, jeder Mensch bald lernen, daß, wenn er seine Mitmenschen unterstützt, er auch gewöhnlich in Erwiderung Hülfe von ihnen erfahren wird. Aus diesem niedrigen Motiv dürfte er die Gewohnheit, seinen Genossen zu helfen, erlangen; und die Gewohnheit, wohlwollende Handlungen auszuüben, kräftigt sicherlich das Gefühl der Sympathie, welches den ersten Antrieb zu wohlwollenden Handlungen abgiebt, Überdies neigen Gewohnheiten, welchen mehrere Generationen hindurch die Menschen gefolgt sind, wahrscheinlich zur Vererbung.
Es giebt aber noch einen andern und noch kräftigeren Antrieb zur Entwicklung der socialen Tugenden, nämlich das Lob und der Tadel unserer Mitmenschen. Wie wir bereits gesehen haben, ist es zunächst eine Folge des Instincts der Sympathie, daß wir beständig Andern beides, sowohl Lob als Tadel ertheilen, während wir, wenn beides auf uns bezogen wird, das Lob lieben und den Tadel fürchten, und dieser Instinct wurde ohne Zweifel ursprünglich wie alle übrigen socialen Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt. Wie früh in ihrer Entwicklung die Urerzeuger des Menschen fähig wurden, das Lob oder den Tadel ihrer Mitgeschöpfe