Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин
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Selbst die theilweise Vererbung tugendhafter Neigungen würde eine unendliche Unterstützung für den primären Antrieb sein, welcher direct aus den socialen Instincten und indirect aus der Gutheißung unserer Mitmenschen entspringt. Nehmen wir für einen Augenblick an, daß tugendhafte Neigungen vererbt werden, so erscheint es wenigstens in solchen Fällen, wie Keuschheit, Mäßigkeit, Humanität gegen Thiere u. s. w. wahrscheinlich, daß sie der geistigen Organisation sich zuerst durch Gewohnheit, Unterricht und Beispiel, mehrere Generationen hindurch in derselben Familie fortgesetzt, eingeprägt haben, und nur in einem völlig untergeordneten Grade, wenn überhaupt, dadurch, daß diejenigen Individuen, welche diese Tugenden besaßen, in dem Kampf um's Dasein am besten fortkamen. Der hauptsächlichste Grund, welcher mich mit Rücksicht auf irgend eine derartige Vererbung zweifeln lassen könnte, liegt in jenen sinnlosen Gebräuchen, abergläubischen Formen und Geschmacksrichtungen, wie das Entsetzen eines Hindu vor unreiner Nahrung, welche doch nach demselben Princip vererbt werden müßten. Obschon dies an sich vielleicht nicht weniger wahrscheinlich ist, als daß Thiere durch Vererbung den Geschmack für gewisse Arten von Nahrung oder die Furcht vor gewissen Feinden erlangen, so ist mir doch kein Zeugnis vorgekommen zur Unterstützung der Annahme, daß auch abergläubische Gebräuche und sinnlose Gewohnheiten vererbt würden.
Endlich werden die socialen Instincte, welche ohne Zweifel vom Menschen ebenso wie von den niederen Thieren zum Besten der ganzen Gemeinschaft erlangt worden sind, von Anfang an den Wunsch, seinen Genossen zu helfen, und ein gewisses Gefühl der Sympathie in ihm angeregt, ihn aber auch dazu veranlaßt haben, ihre Billigung und Mißbilligung zu beachten. Derartige Antriebe werden ihm in einer sehr frühen Periode als eine rohe Regel für Recht und Unrecht gedient haben. Aber in dem Maße, wie der Mensch nach und nach an intellectueller Kraft zunahm und in den Stand gesetzt wurde, die weiter ab liegenden Folgen seiner Handlungen zu übersehen, wie er hinreichende Kenntnisse erlangt hatte, um verderbliche Gebräuche und Aberglauben zu verwerfen, wie er, je länger, desto mehr, nicht bloß die Wohlfahrt, sondern auch das Glück seiner Mitmenschen in's Auge fassen lernte, wie in Folge von Gewohnheit, dieser Folge wohlthuender Erfahrung, wohlthätigen Unterrichts und Beispiels, seine Sympathien zarter und weiter ausgedehnt wurden, so daß sie sich auf alle Menschen aller Rassen, auf die schwachen, gebrechlichen und andern unnützen Glieder der Gesellschaft; endlich sogar auf die niederen Thiere erstreckten, – in dem Maße wird auch der Maßstab seiner Moralität höher und höher gestiegen sein. Und die Moralisten der derivativen Schule und auch einige Intuitionisten geben zu, daß der Maßstab der Moralität seit einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit wirklich ein höherer geworden ist.282
Da man zuweilen sieht, daß zwischen verschiedenen Instincten bei niederen Thieren ein Kampf besteht, so ist es nicht überraschend, daß auch beim Menschen ein Kampf zwischen seinen socialen Instincten, mit den davon abgeleiteten Tugenden, und seinen niederen, wenn auch im Augenblick stärkeren, Antrieben und Begierden sich erhebt. Dies ist, wie Mr. Galton283 bemerkt hat, um so weniger überraschend, als der Mensch sich aus dem Zustand der Barbarei erst innerhalb einer verhältnismäßig neueren Zeit erhoben hat. Haben wir irgend einer Versuchung nachgegeben, so empfinden wir ein Gefühl des Unbefriedigtseins, der Scham, Reue und Gewissensbisse, analog dem, welches in Folge anderer starker nicht befriedigter oder unterdrückter Instincte empfunden wird, und in diesem Fall nennen wir es Gewissen: denn wir können nicht verhindern, daß vergangene Bilder und Eindrücke beständig durch unsere Seele ziehen. Wir vergleichen den abgeschwächten Eindruck einer vorübergegangenen Versuchung mit den beständig gegenwärtigen socialen Instincten oder mit Gewohnheiten, welche wir in früher Jugend erlangt und durch unser ganzes Leben gekräftigt haben, bis sie zuletzt fast so stark wie Instincte geworden sind. Wenn wir, die Versuchung immer vor unsern Augen, derselben nicht nachgegeben haben, so geschah dies weil entweder der sociale Instinct oder irgend eine Gewohnheit in dem Augenblicke in uns vorherrschte, oder weil, wir gelernt haben, daß diese uns später, wenn wir sie mit dem abgeschwächten Eindruck der Versuchung vergleichen, um so stärker erscheinen würde, und daß wir ihre Verletzung schmerzlich empfinden würden. Blicken wir auf spätere Generationen, so haben wir keine Ursache zu befürchten, daß die socialen Instincte schwächer werden würden; und wir können wohl erwarten, daß tugendhafte Gewohnheiten stärker und vielleicht durch Vererbung fixiert werden. In diesem Falle, wird der Kampf zwischen unseren höheren und niederen Antrieben weniger hart sein und die Tugend wird triumphieren.
Zusammenfassung der letzten beiden Capitel. – Es läßt sich nicht daran zweifeln, daß die Verschiedenheit zwischen der Seele des niedrigsten Menschen und der des höchsten Thieres ungeheuer ist. Wenn ein anthropomorpher Affe unbefangen seinen eigenen Zustand beurtheilen könnte, so würde er zugeben, daß, obgleich er einen kunstvollen Plan sich ausdenken könnte, einen Garten zu plündern, obgleich er Steine zum Kämpfen oder zum Aufbrechen von Nüssen benutzen könnte, doch der Gedanke, einen Stein zu einem Werkzeug umzuformen, völlig über seinen Horizont ginge. Er würde ferner zugeben, daß er noch weniger im Stande wäre, einem Gedankengange metaphysischer Betrachtungen zu folgen oder ein mathematisches Problem zu lösen, oder über Gott zu reflectieren, oder eine große Naturscene zu bewundern. Einige Affen würden indeß wahrscheinlich erklären, daß sie die Schönheit der farbigen Haut und des Haarkleides ihrer Ehegenossen bewundern könnten und wirklich bewundern; sie würden zugeben, daß, obschon sie den andern Affen durch Ausrufe einige ihrer Wahrnehmungen und einfacheren Bedürfnisse verständlich machen könnten, doch die Idee, bestimmte Gedanken durch bestimmte Laute auszudrücken, ihnen niemals in den Sinn gekommen sei. Sie könnten behaupten, daß sie bereit wären, ihren Genossen in derselben Herde auf viele Weise zu helfen, ihr Leben für sie zu wagen und für ihre Waisen zu sorgen, sie würden aber genöthigt sein, anzuerkennen, daß eine interesselose Liebe für alle lebenden Geschöpfe, dieses edelste Attribut des Menschen, vollständig über ihre Fassungskraft hinausginge.
So groß nun auch nichtsdestoweniger die Verschiedenheit an Geist zwischen dem Menschen und den höheren Thieren sein mag, so ist sie doch sicher nur eine Verschiedenheit des Grads und nicht der Art. Wir haben gesehen, daß die Empfindungen und Eindrücke, die verschiedenen Erregungen und Fähigkeiten, wie Liebe, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Neugierde, Nachahmung, Verstand u. s. w., deren sich der Mensch rühmt, in einem beginnenden oder zuweilen selbst in einem gut entwickelten Zustand bei den niederen Thieren gefunden werden. Sie sind auch in einem gewissen Grade der erblichen Veredelung fähig, wie wir an dem domesticierten Hund im Vergleich mit dem Wolf oder Schakal sehen. Wenn bewiesen werden könnte, daß gewisse höhere geistige Fähigkeiten, wie Bildung allgemeiner Begriffe, Selbstbewußtsein u. s. w. dem Menschen absolut eigenthümlich wären, was äußerst zweifelhaft zu sein scheint, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieselben nur die begleitenden Resultate anderer weit fortgeschrittener intellectueller Fähigkeiten sind; und diese wiederum sind hauptsächlich das Resultat des fortgesetzten Gebrauchs einer höchst entwickelten Sprache. In welchem Alter entwickelt sich bei dem neugeborenen Kinde das Vermögen der Abstraction, in welchem Alter wird das Kind selbstbewußt und reflectiert über seine eigene Existenz? Wir können hierauf keine Antwort geben; ebensowenig wie wir die gleiche Frage in Bezug auf die aufsteigende Reihe organischer Wesen beantworten können. Das halb Künstliche und halb Instinctive der Sprache trägt noch immer den Stempel ihrer allmählichen Entwicklung an sich. Der veredelnde Glaube an Gott ist den Menschen nicht allgemein eigen und der Glaube an thätige spirituelle Kräfte folgt naturgemäß aus seinen andern geistigen Kräften. Das moralische Gefühl bietet vielleicht die beste und höchste Unterscheidung zwischen dem Menschen und den niederen Thieren: doch brauche ich kaum hierüber etwas zu sagen, da ich erst vor Kurzem zu zeigen versucht habe, daß die socialen Instincte – die wichtigste Grundlage der moralischen Constitution des Menschen284 – mit der Unterstützung der sich äußernden intellectuellen Kräfte und der Wirkungen der Gewohnheit naturgemäß zu der goldenen Regel führen: »was Ihr wollt, daß man Euch thue, das thut auch Andern« und dies ist der Grundstein der Moralität.