Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Читать онлайн книгу Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer страница 113
Im wirklichen Leben sehn wir jene Unglücklichen, welche das größte Maaß des Leidens zu leeren haben, da sie, nachdem ihnen alle Hoffnung gänzlich genommen ist, bei voller Geisteskraft, einem schmählichen, gewaltsamen, oft quaalvollen Tode auf dem Schafott entgegen gehn, sehr häufig auf solche Weise umgewandelt. Wir dürfen zwar nicht annehmen, daß zwischen ihrem Charakter und dem der meisten Menschen ein so großer Unterschied sei, wie ihr Schicksal angiebt, sondern haben letzteres größtentheils den Umständen zuzuschreiben: sie sind jedoch schuldig und in beträchtlichem Grade böse. Nun sehn wir aber Viele von ihnen, nachdem völlige Hoffnungslosigkeit eingetreten ist, auf die angegebene Weise umgewandelt. Sie zeigen jetzt wirkliche Güte und Reinheit der Gesinnung, wahren Abscheu gegen das Begehn jeder im Mindesten bösen oder lieblosen That: sie vergeben ihren Feinden, und wären es solche, durch die sie unschuldig litten, nicht bloß mit Worten und etwan aus heuchelnder Furcht vor den Richtern der Unterwelt; sondern in der That und mit innigem Ernst, und wollen durchaus keine Rache. Ja, ihr Leiden und Sterben wird ihnen zuletzt lieb; denn die Verneinung des Willens zum Leben ist eingetreten: sie weisen oft die dargebotene Rettung von sich, sterben gern, ruhig, sälig. Ihnen hat sich, im Uebermaaß des Schmerzes, das letzte Geheimniß des Lebens offenbart, daß nämlich das Uebel und das Böse, das Leiden und der Haß, der Gequälte und der Quäler, so verschieden sie auch der dem Satz vom Grunde folgenden Erkenntniß sich zeigen, an sich Eines sind, Erscheinung jenes einen Willens zum Leben, welcher seinen Widerstreit mit sich selbst mittelst des principii individuationis objektivirt: sie haben beide Seiten, das Böse und das Uebel, in vollem Maaße kennen gelernt, und indem sie zuletzt die Identität beider einsehn, weisen sie Jetzt beide zugleich von sich, verneinenden Willen zum Leben. In welchen Mythen und Dogmen sie ihrer Vernunft von dieser intuitiven und unmittelbaren Erkenntniß und von ihrer Umwandlung Rechenschaft ablegen, ist, wie gesagt, ganz gleichgültig.
Zeuge einer Sinnesänderung dieser Art ist, ohne Zweifel, Matthias Claudius gewesen, als er den merkwürdigen Aufsatz schrieb, welcher im »Wandsbecker Boten« (Th. 1, S. 115) unter der Aufschrift »Bekehrungsgeschichte des ***« steht und folgenden Schluß hat: »Die Denkart des Menschen kann von einem Punkt der Peripherie zu dem entgegengesetzten übergehn, und wieder zurück zu dem vorigen Punkt, wenn die Umstände ihm den Bogen dahin vorzeichnen. Und diese Veränderungen sind nicht eben etwas Großes und Interessantes beim Menschen. Aber jene merkwürdige, katholische, transscendentale Veränderung, wo der ganze Cirkel unwiederbringlich zerrissen wird und alle Gesetze der Psychologie eitel und leer werden, wo der Rock von Fellen ausgezogen, wenigstens umgewandt wird und es dem Menschen wie Schuppen von den Augen fällt, ist so etwas, daß ein Jeder, der sich des Odems in seiner Nase einigermaaßen bewußt ist, Vater und Mutter verläßt, wenn er darüber etwas Sicheres hören und erfahren kann.«
Nähe des Todes und Hoffnungslosigkeit ist übrigens zu einer solchen Läuterung durch Leiden nicht durchaus nothwendig. Auch ohne sie kann, durch großes Unglück und Schmerz, die Erkenntniß des Widerspruchs des Willens zum Leben mit sich selbst sich gewaltsam aufdringen und die Nichtigkeit alles Strebens eingesehn werden. Daher sah man oft Menschen, die ein sehr bewegtes Leben im Drange der Leidenschaften geführt, Könige, Helden, Glücksritter, plötzlich sich ändern, zur Resignation und Buße greifen, Einsiedler und Mönche werden. Hieher gehören alle ächten Bekehrungsgeschichten, z.B. auch die des Raimund Lullius, welcher, von einer Schönen, um die er lange gebuhlt hatte, endlich auf ihr Zimmer beschieden, der Erfüllung aller seiner Wünsche entgegensah, als sie, ihren Brustlatz öffnend, ihm ihren vom Krebs auf das Entsetzlichste zerfressenen Busen zeigte. Von diesem Augenblick an, als hätte er in die Hölle gesehn, bekehrte er sich, verließ den Hof des Königs von Majorka und gieng in die Wüste, Buße zu thun99. Dieser Bekehrungsgeschichte sehr ähnlich Ist die des Abbé Rancé, welche ich im 48. Kapitel des zweiten Bandes in der Kürze erzählt habe. Wenn wir betrachten, wie in Beiden der Uebergang von der Lust zu den Gräueln des Lebens der Anlaß war; so giebt uns Dies eine Erläuterung zu der auffallenden Thatsache, daß die lebenslustigste, heiterste, sinnlichste und leichtsinnigste Nation in Europa, also die französische, es ist, unter welcher der bei Weitem strengste aller Mönchsorden, also der Trappistische, entstanden ist, nach seinem Verfall wieder hergestellt wurde, durch Rance, und, trotz Revolutionen, Kirchenveränderungen und eingerissenem Unglauben, sich bis auf den heutigen Tag, in seiner Reinheit und furchtbaren Strenge erhält.
Eine Erkenntniß der oben erwähnten Art, von der Beschaffenheit dieses Daseyns, kann jedoch auch wieder mit ihrem Anlaß zugleich sich entfernen, und der Wille zum Leben, und mit ihm der vorige Charakter, wieder eintreten. So sehn wir den leidenschaftlichen Benvenuto Cellini, ein Mal im Gefängniß und ein anderes Mal bei einer schweren Krankheit, auf solche Weise umgewandelt werden, aber nach verschwundenem Leiden wieder in den alten Zustand zurückfallen. Ueberhaupt geht aus dem Leiden die Verneinung des Willens keineswegs mit der Nothwendigkeit der Wirkung aus der Ursache hervor, sondern der Wille bleibt frei. Denn hier ist ja eben der einzige Punkt, wo seine Freiheit unmittelbar in die Erscheinung eintritt: daher das so stark ausgedrückte Erstaunen des Asmus über die »transscendentale Veränderung.« Bei jedem Leiden läßt sich ein ihm an Heftigkeit überlegener und dadurch unbezwungener Wille denken. Daher erzählt Plato im »Phädon« von Solchen, die bis zum Augenblick ihrer Hinrichtung schmausen, trinken, Aphrodisia genießen, bis in den Tod das Leben bejahend. Shakespeare bringt uns im Kardinal Beaufort100 das fürchterliche Ende eines Ruchlosen vor die Augen, der verzweiflungsvoll stirbt, indem kein Leiden noch Tod den bis zur äußersten Bosheit heftigen Willen brechen kann.
Je heftiger der Wille, desto greller die Erscheinung seines Widerstreits: desto größer also das Leiden. Eine Welt, welche die Erscheinung eines ungleich heftigem Willens zum Leben wäre, als die gegenwärtige, würde um soviel größere Leiden aufweisen: sie wäre also eine Hölle.
Weil alles Leiden, indem es eine Mortifikation und Aufforderung zur Resignation ist, der Möglichkeit nach, eine heiligende Kraft hat; so ist hieraus zu erklären, daß großes Unglück, tiefe Schmerzen schon an sich eine gewisse Ehrfurcht einflößen. Ganz ehrwürdig wird uns aber der Leidende erst dann, wann er, den Lauf seines Lebens als eine Kette von Leiden überblickend, oder einen großen und unheilbaren Schmerz betrauernd, doch nicht eigentlich auf die Verkettung von Umständen hinsieht, die gerade sein Leben in Trauer stürzten, und nicht bei jenem einzelnen großen Unglück, das ihn traf, stehn bleibt; – denn bis dahin folgt seine Erkenntniß noch dem Satz vom Grunde und klebt an der einzelnen Erscheinung; er will auch noch immer das Leben, nur nicht unter den ihm gewordenen Bedingungen; -sondern er steht erst dann wirklich ehrwürdig da, wann sein Blick sich vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben hat, wann er sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet und ihm, indem er in ethischer Hinsicht genial wird, ein Fall für tausende gilt, daher dann das Ganze des Lebens, als wesentliches Leiden aufgefaßt, ihn zur Resignation bringt. Dieserwegen ist es ehrwürdig, wenn in Goethes »Torquato Tasso« die Prinzessin sich darüber ausläßt, wie ihr eigenes Leben