Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer

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waren, sehn wir bisweilen durch die tiefsten Schmerzen bis zu diesem Grade geläutert: sie sind Andere geworden und völlig umgewandelt. Die früheren Missethaten ängstigen daher auch ihr Gewissen jetzt nicht mehr; doch büßen sie solche gern mit dem Tode, und sehn willig die Erscheinung Jenes Willens enden, der ihnen jetzt fremd und zum Abscheu ist. Von dieser durch großes Unglück und die Verzweiflung an aller Rettung herbeigeführten Verneinung des Willens hat uns eine deutliche und anschauliche Darstellung, wie mir sonst keine in der Poesie bekannt ist, der große Goethe, in seinem unsterblichen Meisterwerke, dem »Faust«, gegeben, an der Leidensgeschichte des Gretchens. Diese ist ein vollkommenes Musterbild des zweiten Weges, der zur Verneinung des Willens führt, nicht, wie der erste, durch die bloße Erkenntniß des Leidens einer ganzen Welt, das man sich freiwillig aneignet; sondern durch den selbstempfundenen, eigenen, überschwänglichen Schmerz. Zwar führen sehr viele Trauerspiele ihren gewaltig wollenden Helden zuletzt auf diesen Punkt der gänzlichen Resignation, wo dann gewöhnlich der Wille zum Leben und seine Erscheinung zugleich endigen; aber keine mir bekannte Darstellung bringt das Wesentliche jener Umwandlung so deutlich und rein von allem Nebenwerk vor die Augen, wie die erwähnte im »Faust«.

      Im wirklichen Leben sehn wir jene Unglücklichen, welche das größte Maaß des Leidens zu leeren haben, da sie, nachdem ihnen alle Hoffnung gänzlich genommen ist, bei voller Geisteskraft, einem schmählichen, gewaltsamen, oft quaalvollen Tode auf dem Schafott entgegen gehn, sehr häufig auf solche Weise umgewandelt. Wir dürfen zwar nicht annehmen, daß zwischen ihrem Charakter und dem der meisten Menschen ein so großer Unterschied sei, wie ihr Schicksal angiebt, sondern haben letzteres größtentheils den Umständen zuzuschreiben: sie sind jedoch schuldig und in beträchtlichem Grade böse. Nun sehn wir aber Viele von ihnen, nachdem völlige Hoffnungslosigkeit eingetreten ist, auf die angegebene Weise umgewandelt. Sie zeigen jetzt wirkliche Güte und Reinheit der Gesinnung, wahren Abscheu gegen das Begehn jeder im Mindesten bösen oder lieblosen That: sie vergeben ihren Feinden, und wären es solche, durch die sie unschuldig litten, nicht bloß mit Worten und etwan aus heuchelnder Furcht vor den Richtern der Unterwelt; sondern in der That und mit innigem Ernst, und wollen durchaus keine Rache. Ja, ihr Leiden und Sterben wird ihnen zuletzt lieb; denn die Verneinung des Willens zum Leben ist eingetreten: sie weisen oft die dargebotene Rettung von sich, sterben gern, ruhig, sälig. Ihnen hat sich, im Uebermaaß des Schmerzes, das letzte Geheimniß des Lebens offenbart, daß nämlich das Uebel und das Böse, das Leiden und der Haß, der Gequälte und der Quäler, so verschieden sie auch der dem Satz vom Grunde folgenden Erkenntniß sich zeigen, an sich Eines sind, Erscheinung jenes einen Willens zum Leben, welcher seinen Widerstreit mit sich selbst mittelst des principii individuationis objektivirt: sie haben beide Seiten, das Böse und das Uebel, in vollem Maaße kennen gelernt, und indem sie zuletzt die Identität beider einsehn, weisen sie Jetzt beide zugleich von sich, verneinenden Willen zum Leben. In welchen Mythen und Dogmen sie ihrer Vernunft von dieser intuitiven und unmittelbaren Erkenntniß und von ihrer Umwandlung Rechenschaft ablegen, ist, wie gesagt, ganz gleichgültig.

      Zeuge einer Sinnesänderung dieser Art ist, ohne Zweifel, Matthias Claudius gewesen, als er den merkwürdigen Aufsatz schrieb, welcher im »Wandsbecker Boten« (Th. 1, S. 115) unter der Aufschrift »Bekehrungsgeschichte des ***« steht und folgenden Schluß hat: »Die Denkart des Menschen kann von einem Punkt der Peripherie zu dem entgegengesetzten übergehn, und wieder zurück zu dem vorigen Punkt, wenn die Umstände ihm den Bogen dahin vorzeichnen. Und diese Veränderungen sind nicht eben etwas Großes und Interessantes beim Menschen. Aber jene merkwürdige, katholische, transscendentale Veränderung, wo der ganze Cirkel unwiederbringlich zerrissen wird und alle Gesetze der Psychologie eitel und leer werden, wo der Rock von Fellen ausgezogen, wenigstens umgewandt wird und es dem Menschen wie Schuppen von den Augen fällt, ist so etwas, daß ein Jeder, der sich des Odems in seiner Nase einigermaaßen bewußt ist, Vater und Mutter verläßt, wenn er darüber etwas Sicheres hören und erfahren kann.«

      Je heftiger der Wille, desto greller die Erscheinung seines Widerstreits: desto größer also das Leiden. Eine Welt, welche die Erscheinung eines ungleich heftigem Willens zum Leben wäre, als die gegenwärtige, würde um soviel größere Leiden aufweisen: sie wäre also eine Hölle.

      Weil alles Leiden, indem es eine Mortifikation und Aufforderung zur Resignation ist, der Möglichkeit nach, eine heiligende Kraft hat; so ist hieraus zu erklären, daß großes Unglück, tiefe Schmerzen schon an sich eine gewisse Ehrfurcht einflößen. Ganz ehrwürdig wird uns aber der Leidende erst dann, wann er, den Lauf seines Lebens als eine Kette von Leiden überblickend, oder einen großen und unheilbaren Schmerz betrauernd, doch nicht eigentlich auf die Verkettung von Umständen hinsieht, die gerade sein Leben in Trauer stürzten, und nicht bei jenem einzelnen großen Unglück, das ihn traf, stehn bleibt; – denn bis dahin folgt seine Erkenntniß noch dem Satz vom Grunde und klebt an der einzelnen Erscheinung; er will auch noch immer das Leben, nur nicht unter den ihm gewordenen Bedingungen; -sondern er steht erst dann wirklich ehrwürdig da, wann sein Blick sich vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben hat, wann er sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet und ihm, indem er in ethischer Hinsicht genial wird, ein Fall für tausende gilt, daher dann das Ganze des Lebens, als wesentliches Leiden aufgefaßt, ihn zur Resignation bringt. Dieserwegen ist es ehrwürdig, wenn in Goethes »Torquato Tasso« die Prinzessin sich darüber ausläßt, wie ihr eigenes Leben

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