Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Indem der äußere Sinn, d.h. die Empfänglichkeit für äußere Eindrücke als reine Data für den Verstand, sich in fünf Sinne spaltete, richteten diese sich nach den vier Elementen, d.h. den vier Aggregationszuständen, nebst dem der Imponderabilität. So ist der Sinn für das Feste (Erde) das Getast, für das Flüssige (Wasser) der Geschmack, für das Dampfförmige, d.h. Verflüchtigte (Dunst, Duft) der Geruch, für das permanent Elastische (Luft) das Gehör, für das Imponderabile (Feuer, Licht) das Gesicht. Das zweite Imponderabile, Wärme, ist eigentlich kein Gegenstand der Sinne, sondern des Gemeingefühls, wirkt daher auch stets direkt auf den Willen, als angenehm oder unangenehm. Aus dieser Klassifikation ergiebt sich auch die relative Dignität der Sinne. Das Gesicht hat den ersten Rang, sofern seine Sphäre die am weitesten reichende, und seine Empfänglichkeit die feinste ist; was darauf beruht, daß sein Anregendes ein Imponderabile, d.h. ein kaum noch Körperliches, ein quasi Geistiges, ist. Den zweiten Rang hat das Gehör, entsprechend der Luft. Inzwischen bleibt das Getast ein gründlicher und vielseitiger Gelehrter. Denn während die andern Sinne uns jeder nur eine ganz einseitige Beziehung des Objekts, wie seinen Klang, oder sein Verhältniß zum Licht, angeben, liefert das, mit dem Gemeingefühl und der Muskelkraft fest verwachsene Getast dem Verstande die Data zugleich für die Form, Größe, Härte, Glätte, Textur, Festigkeit, Temperatur und Schwere der Körper, und dies Alles mit der geringsten Möglichkeit des Scheines und der Täuschung, denen alle andern Sinne weit mehr unterliegen. Die beiden niedrigsten Sinne, Geruch und Geschmack, sind schon nicht mehr frei von einer unmittelbaren Erregung des Willens, d.h. sie werden stets angenehm oder unangenehm afficirt, sind daher mehr subjektiv als objektiv.
Die Wahrnehmungen des Gehörs sind ausschließlich in der Zeit: daher das ganze Wesen der Musik im Zeitmaaß besteht, als worauf sowohl die Qualität oder Höhe der Töne, mittelst der Vibrationen, als die Quantität oder Dauer derselben, mittelst des Taktes, beruht. Die Wahrnehmungen des Gesichts hingegen sind zunächst und vorwaltend im Raume; sekundär, mittelst ihrer Dauer, aber auch in der Zeit.
Das Gesicht ist der Sinn des Verstandes, welcher anschaut, das Gehör der Sinn der Vernunft, welche denkt und vernimmt. Worte werden durch sichtbare Zeichen nur unvollkommen vertreten: daher zweifle ich, daß ein Taubstummer, der lesen kann, aber vom Laute der Worte keine Vorstellung hat, in seinem Denken mit den bloß sichtbaren Begriffszeichen so behende operirt, wie wir mit den wirklichen, d.h. hörbaren Worten. Wenn er nicht lesen kann, ist er bekanntlich fast dem unvernünftigen Thiere gleich; während der Blindgeborene, von Anfang an, ein ganz vernünftiges Wesen ist.
Das Gesicht ist ein aktiver, das Gehör ein passiver Sinn. Daher wirken Töne störend und feindlich auf unsern Geist ein, und zwar um so mehr, je thätiger und entwickelter dieser ist: sie zerreißen alle Gedanken, zerrütten momentan die Denkkraft. Hingegen giebt es keine analoge Störung durch das Auge, keine unmittelbare Einwirkung des Gesehenen, als solchen, auf die denkende Thätigkeit (denn natürlich ist hier nicht die Rede von dem Einfluß der erblickten Gegenstände auf den Willen); sondern die bunteste Mannigfaltigkeit von Dingen, vor unsern Augen, läßt ein ganz ungehindertes, ruhiges Denken zu. Demzufolge lebt der denkende Geist mit dem Auge in ewigem Frieden, mit dem Ohr in ewigem Krieg. Dieser Gegensatz der beiden Sinne bewährt sich auch darin, daß Taubstumme, wenn durch Galvanismus hergestellt, beim ersten Ton, den sie hören, vor Schrecken todtenblaß werden (Gilberts »Annalen der Physik«, Bd. 10, S. 382), operirte Blinde dagegen das erste Licht mit Entzücken erblicken, und nur ungern die Binde sich über die Augen legen lassen. Alles Angeführte aber ist daraus erklärlich, daß das Hören vermöge einer mechanischen Erschütterung des Gehörnerven vor sich geht, die sich sogleich bis ins Gehirn fortpflanzt; während hingegen das Sehn eine wirkliche Aktion der Retina ist, welche durch das Licht und seine Modifikationen bloß erregt und hervorgerufen wird: wie ich dies in meiner physiologischen Farbentheorie ausführlich gezeigt habe. Im Widerstreit hingegen steht dieser ganze Gegensatz mit der jetzt überall so unverschämt aufgetischten kolorirten Aether-Trommelschlag-Theorie, welche die Lichtempfindung des Auges zu einer mechanischen Erschütterung, wie die des Gehörs zunächst wirklich ist, erniedrigen will, während nichts heterogener seyn kann, als die stille, sanfte Wirkung des Lichts und die Allarmtrommel des Gehörs. Setzen wir hiemit noch den besondern Umstand in Verbindung, daß wir, obwohl mit zwei Ohren, deren Empfindlichkeit oft sehr verschieden ist, hörend, doch nie einen Ton doppelt vernehmen, wie wir mit zwei Augen oft doppelt sehn; so werden wir zu der Vermuthung geführt, daß die Empfindung des Hörens nicht im Labyrinth, oder der Schnecke entsteht, sondern erst da, wo, tief im Gehirn, beide Gehörnerven zusammentreffen, wodurch der Eindruck einfach wird: dies aber ist da, wo der pons Varolii die medulla oblongata umfaßt, also an der absolut letalen Stelle, durch deren Verletzung jedes Thier augenblicklich getödtet wird, und von wo der Gehörnerv nur einen kurzen Verlauf hat zum Labyrinth, dem Sitze der akustischen Erschütterung. Eben dieser sein Ursprung, an jener gefährlichen Stelle, von welcher auch alle Gliederbewegung ausgeht, ist Ursache, daß man bei einem plötzlichen Knall zusammenfährt; welches bei einer plötzlichen Erleuchtung, z.B. einem Blitz, keineswegs Statt findet. Der Sehnerv hingegen tritt viel weiter nach vorn aus seinen thalamis (wenn auch vielleicht sein erster Ursprung hinter diesen liegt) hervor, ist in seinem Fortgang überall von den vorderen Gehirn-lobis bedeckt, wiewohl stets von ihnen gesondert, bis er, ganz aus dem Gehirn hinausgelangt, sich in die Retina ausbreitet, auf welcher nun allererst die Empfindung, auf Anlaß des Lichtreizes, entsteht und daselbst wirklich ihren Sitz hat; wie dieses meine Abhandlung über das Sehn und die Farben beweist. Aus jenem Ursprung des Gehörnerven erklärt sich denn auch die große Störung, welche die Denkkraft durch Töne erleidet, wegen welcher denkende Köpfe und überhaupt Leute von vielem Geist, ohne Ausnahme, durchaus kein Geräusch vertragen können. Denn es stört den beständigen Strohm ihrer Gedanken, unterbricht und lähmt ihr Denken, eben weil die Erschütterung des Gehörnerven sich so tief ins Gehirn fortpflanzt, dessen ganze Masse daher die durch den Gehörnerven erregten Schwingungen dröhnend mit empfindet, und weil das Gehirn solcher Leute viel leichter