Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Um Kants Ausdruck dem Platonischen noch näher zu bringen, könnte man auch sagen: Zeit, Raum und Kausalität sind diejenige Einrichtung unsers Intellekts, vermöge deren das eigentlich allein vorhandene eine Wesen jeglicher Art sich uns darstellt als eine Vielheit gleichartiger, stets von Neuem entstehender und vergehender Wesen, in endloser Succession. Die Auffassung der Dinge mittelst und gemäß besagter Einrichtung ist die immamente; diejenige hingegen, die des Bewandnisses, welches es damit hat, sich bewußt wird, ist die transscendentale. Diese empfängt man in abstracto durch die Kritik der reinen Vernunft; aber ausnahmsweise kann sie sich auch intuitiv einstellen. Dieses Letztere ist mein Zusatz, welchen ich eben durch gegenwärtiges dritte Buch zu erläutern bemüht bin.
Hätte man jemals Kants Lehre, hätte man seit Kant den Plato eigentlich verstanden und gefaßt, hätte man treu und ernst dem Innern Sinn und Gehalt der Lehren beider großer Meister nachgedacht, statt mit den Kunstausdrücken des einen um sich zu werfen und den Stil des andern zu parodiren; es hätte nicht fehlen können, daß man längst gefunden hätte, wie sehr die beiden großen Weisen übereinstimmen und die reine Bedeutung, der Zielpunkt beider Lehren, durchaus der selbe ist. Nicht nur hätte man dann nicht den Plato beständig mit Leibnitz, auf welchem sein Geist durchaus nicht ruhte, oder gar mit einem noch lebenden bekannten Herrn48 verglichen, als wollte man die Manen des großen Denkers der Vorzelt verspotten; sondern überhaupt wäre man alsdann viel weiter gekommen als man ist, oder vielmehr man wäre nicht so schmachvoll weit zurückgeschritten, wie man in diesen letzten vierzig Jahren ist: man hätte sich nicht heute von diesem, morgen von einem andern Windbeutel naseführen lassen und nicht das sich so bedeutend ankündigende 19. Jahrhundert in Deutschland mit philosophischen Possenspielen eröffnet, die man über Kants Grabe aufführte (wie die Alten bisweilen bei der Leichenfeier der ihrigen), unter dem gerechten Spott anderer Nationen, da den ernsthaften und sogar steifen Deutschen Dergleichen am wenigsten kleidet. Aber so klein ist das eigentliche Publikum achter Philosophen, daß selbst die Schüler, die verstehn, ihnen nur sparsam von den Jahrhunderten gebracht werden. – Eisi dê narthêkophoroi men polloi, bakchoi de ge pauroi. (Thyrsigeri quidem multi, Bacchi vero pauci.) Hê atimia philosophia dia tauta prospeptôken, hoti ou kat' axian autês haptontai; ou gar nothous edei haptesthai, alla gnêsious. (Eam ob rem philosophia in infamiam incidit, quod non pro dignitate ipsam attingunt: neque enim a spuriis, sed a legitimis erat attrectanda.) Plat..
Man gieng den Worten nach, den Worten: »Vorstellungen a priori, unabhängig von der Erfahrung bewußte Formen des Anschauens und Denkens, Urbegriffe des reinen Verstandes«, u.s.w. – und fragte nun ob Plato's Ideen, die ja auch Urbegriffe und ferner auch Erinnerungen aus einer dem Leben vorhergegangenen Anschauung der wahrhaft seienden Dinge seyn sollen, etwan das Selbe wären mit Kants Formen des Anschauens und Denkens, die a priori in unserm Bewußtseyn liegen: diese zwei ganz heterogenen Lehren, die Kantische von den Formen, welche die Erkenntniß des Individuums auf die Erscheinung beschränken, und die Platonische von den Ideen, deren Erkenntniß eben jene Formen ausdrücklich verneint, – diese insofern diametral entgegengesetzten Lehren, da sie in ihren Ausdrücken sich ein wenig ähneln, verglich man aufmerksam, berathschlagte und stritt über ihre Einerleiheit, fand dann zuletzt, daß sie doch nicht das Selbe wären, und schloß, daß Plato's Ideenlehre und Kants Vernunftkritik gar keine Uebereinstimmung hätten49. Aber genug davon.
§ 32
In Folge unserer bisherigen Betrachtungen ist uns, bei aller innern Uebereinstimmung zwischen Kant und Plato, und der Identität des Zieles, das Beiden vorschwebte, oder der Weltanschauung, die sie zum Philosophiren aufregte und leitete, dennoch Idee und Ding an sich nicht schlechthin Eines und das Selbe: vielmehr ist uns die Idee nur die unmittelbare und daher adäquate Objektität des Dinges an sich, welches selbst aber der Wille ist, der Wille, sofern er noch nicht objektivirt, noch nicht Vorstellung geworden ist. Denn das Ding an sich soll, eben nach Kant, von allen dem Erkennen als solchem anhängenden Formen frei seyn: und es ist nur (wie im Anhange gezeigt wird) ein Fehler Kants, daß er zu diesen Formen nicht, vor allen andern, das Objekt-für-ein-Subjekt-seyn zählte, da eben dieses die erste und allgemeinste Form aller Erscheinung, d.i. Vorstellung, ist; daher er seinem Ding an sich das Objektseyn ausdrücklich hätte absprechen sollen, welches ihn vor jener großen, früh aufgedeckten Inkonsequenz bewahrt hätte. Die Platonische Idee hingegen ist nothwendig Objekt, ein Erkanntes, eine Vorstellung, und eben dadurch, aber auch nur dadurch, vom Ding an sich verschieden. Sie hat bloß die untergeordneten Formen der Erscheinung, welche alle wir unter dem Satz vom Grunde begreifen, abgelegt, oder vielmehr ist noch nicht in sie eingegangen; aber die erste und allgemeinste Form hat sie beibehalten, die der Vorstellung überhaupt, des Objektseyns für ein Subjekt. Die dieser untergeordneten Formen (deren allgemeiner Ausdruck der Satz vom Grunde ist) sind es, welche die Idee zu einzelnen und vergänglichen Individuen vervielfältigen, deren Zahl, in Beziehung auf die Idee, völlig gleichgültig ist. Der Satz vom Grund ist also wieder die Form, in welche die Idee eingeht, indem sie in die Erkenntniß des Subjekts als Individuums fällt. Das einzelne, in Gemäßheit des Satzes vom Grunde erscheinende Ding ist also nur eine mittelbare Objektivation des Dinges an sich (welches der Wille ist), zwischen welchem und ihm noch die Idee steht, als die alleinige unmittelbare Objektität des Willens, indem sie keine andere dem Erkennen als solchem eigene Form angenommen hat, als die der Vorstellung überhaupt, d.i. des Objektseyns für ein Subjekt. Daher ist auch sie allein die möglichst adäquate Objektität des Willens oder Dinges an sich, ist selbst das ganze Ding an sich, nur unter der Form der Vorstellung: und hierin liegt der Grund der großen Uebereinstimmung zwischen Plato und Kant, obgleich, der größten Strenge nach. Das, wovon Beide reden, nicht das Selbe ist. Die einzelnen Dinge aber sind keine ganz adäquate Objektität des Willens, sondern diese ist hier schon getrübt durch jene Formen, deren gemeinschaftlicher Ausdruck der Satz vom Grunde ist, welche aber Bedingung der Erkenntniß sind, wie sie dem Individuo als solchem möglich ist. – Wir würden in der That, wenn es erlaubt ist, aus einer unmöglichen Voraussetzung zu folgern, gar nicht mehr einzelne Dinge, noch Begebenheiten, noch Wechsel, noch Vielheit erkennen, sondern nur Ideen, nur die Stufenleiter der Objektivation jenes einen Willens, des wahren Dinges an sich, in reiner ungetrübter Erkenntniß auffassen, und folglich würde unsere Welt ein Nunc stans seyn; wenn wir nicht, als Subjekt des Erkennens, zugleich Individuen wären, d.h. unsere Anschauung nicht vermittelt wäre durch einen Leib, von dessen Affektionen sie ausgeht, und welcher selbst nur konkretes Wollen, Objektität des Willens, also Objekt unter Objekten ist und als solches, so wie er in das erkennende Bewußtsein kommt, dieses nur in den Formen des Satzes vom Grunde kann, folglich die Zeit und alle andern Formen, die jener Satz ausdrückt, schon voraussetzt und dadurch einführt. Die Zeit ist bloß die vertheilte und zerstückelte Ansicht, welche ein individuelles Wesen von den Ideen hat, die außer der Zeit, mithin ewig sind: daher sagt Plato, die Zeit sei das bewegte Bild der Ewigkeit: aiônos eikôn kinêtê ho chronos.50
§ 33
Da wir nun also als Individuen keine andere Erkenntniß haben, als die dem Satz vom Grunde unterworfen ist, diese Form aber die Erkenntniß der Ideen ausschließt; so ist gewiß, daß wenn es möglich ist, daß wir uns von der Erkenntniß einzelner Dinge zu der der Ideen erheben, solches nur geschehn kann dadurch, daß im Subjekt eine Veränderung vorgeht, welche jenem großen Wechsel