Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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§ 39
An alle diese Betrachtungen nun, welche den subjektiven Theil des ästhetischen Wohlgefallens hervorheben sollen, also dieses Wohlgefallen, sofern es Freude über das bloße, anschauliche Erkennen als solches, im Gegensatz des Willens, ist, – schließt sich, als unmittelbar damit zusammenhängend, folgende Erklärung derjenigen Stimmung, welche man das Gefühl des Erhabenen genannt hat.
Es ist schon oben bemerkt, daß das Versetzen in den Zustand des reinen Anschauens am leichtesten eintritt, wenn die Gegenstände demselben entgegenkommen, d.h. durch ihre mannigfaltige und zugleich bestimmte und deutliche Gestalt leicht zu Repräsentanten ihrer Ideen werden, worin eben die Schönheit, im objektiven Sinne, besteht. Vor Allem hat die schöne Natur diese Eigenschaft und gewinnt dadurch selbst dem Unempfindlichsten wenigstens ein flüchtiges ästhetisches Wohlgefallen ab: ja, es ist so auffallend, wie besonders die Pflanzenwelt zur ästhetischen Betrachtung auffordert und sich gleichsam derselben aufdringt, daß man sagen möchte, dieses Entgegenkommen stände damit in Verbindung, daß diese organischen Wesen nicht selbst, wie die thierischen Leiber, unmittelbares Objekt der Erkenntniß sind, daher sie des fremden verständigen Individuums bedürfen, um aus der Welt des blinden Wollens in die der Vorstellung einzutreten, weshalb sie gleichsam nach diesem Eintritt sich sehnten, um wenigstens mittelbar zu erlangen, was ihnen unmittelbar versagt ist. Ich lasse übrigens diesen gewagten und vielleicht an Schwärmerei gränzenden Gedanken ganz und gar dahingestellt seyn, da nur eine sehr innige und hingebende Betrachtung der Natur ihn erregen oder rechtfertigen kann59. Solange nun dieses Entgegenkommen der Natur, die Bedeutsamkeit und Deutlichkeit ihrer Formen, aus denen die in ihnen individualisirten Ideen uns leicht ansprechen, es ist, die uns aus der dem Willen dienstbaren Erkenntniß bloßer Relationen in die ästhetische Kontemplation versetzt und eben damit zum willensfreien Subjekt des Erkennens erhebt: so lange ist es bloß das Schöne, was auf uns wirkt, und Gefühl der Schönheit was erregt ist. Wenn nun aber eben jene Gegenstände, deren bedeutsame Gestalten uns zu ihrer reinen Kontemplation einladen, gegen den menschlichen Willen überhaupt, wie er in seiner Objektität, dem menschlichen Leibe, sich darstellt, ein feindliches Verhältniß haben, ihm entgegen sind, durch ihre allen Widerstand aufhebende Uebermacht ihn bedrohen, oder vor ihrer unermeßlichen Größe ihn bis zum Nichts verkleinern; der Betrachter aber dennoch nicht auf dieses sich aufdringende feindliche Verhältniß zu seinem Willen seine Aufmerksamkeit richtet; sondern, obwohl es wahrnehmend und anerkennend, sich mit Bewußtseyn davon abwendet, indem er sich von seinem Willen und dessen Verhältnissen gewaltsam losreißt und allein der Erkenntniß hingegeben, eben jene dem Willen furchtbaren Gegenstände als reines willenloses Subjekt des Erkennens ruhig kontemplirt, ihre jeder Relation fremde Idee allein auffassend, daher gerne bei ihrer Betrachtung weilend, folglich eben dadurch über sich selbst, seine Person, sein Wollen und alles Wollen hinausgehoben wird; – dann erfüllt ihn das Gefühl des Erhabenen, er ist im Zustand der Erhebung, und deshalb nennt man auch den solchen Zustand veranlassenden Gegenstand erhaben. Was also das Gefühl des Erhabenen von dem des Schönen unterscheidet, ist dieses: beim Schönen hat das reine Erkennen ohne Kampf die Oberhand gewonnen, indem die Schönheit des Objekts, d.h. dessen die Erkenntniß seiner Idee erleichternde Beschaffenheit, den Willen und die seinem Dienste fröhnende Erkenntniß der Relationen, ohne Widerstand und daher unmerklich aus dem Bewußtseyn entfernte und dasselbe als reines Subjekt des Erkennens übrig ließ, so daß selbst keine Erinnerung an den Willen nachbleibt: hingegen bei dem Erhabenen ist jener Zustand des reinen Erkennens allererst gewonnen durch ein bewußtes und gewaltsames Losreißen von den als ungünstig erkannten Beziehungen des selben Objekts zum Willen, durch ein freies, von Bewußtseyn begleitetes Erheben über den Willen und die auf ihn sich beziehende Erkenntniß. Diese Erhebung muß mit Bewußtseyn nicht nur gewonnen, sondern auch erhalten werden und ist daher von einer steten Erinnerung an den Willen begleitet, doch nicht an ein einzelnes, individuelles Wollen, wie Furcht oder Wunsch, sondern an das menschliche Wollen überhaupt, sofern es durch seine Objektität, den menschlichen Leib, allgemein ausgedrückt ist. Träte ein realer einzelner Willensakt ins Bewußtseyn, durch wirkliche, persönliche Bedrängniß und Gefahr vom Gegenstande; so würde der also wirklich bewegte individuelle Wille alsbald die Oberhand gewinnen, die Ruhe der Kontemplation unmöglich werden, der Eindruck des Erhabenen verloren gehn, indem er der Angst Platz machte, in welcher das Streben des Individuums, sich zu retten, jeden andern Gedanken verdrängte. – Einige Beispiele werden sehr viel beitragen, diese Theorie des Aesthetisch-Erhabenen deutlich zu machen und außer Zweifel zu setzen; zugleich werden sie die Verschiedenheit der Grade jenes Gefühls des Erhabenen zeigen. Denn da dasselbe mit dem des Schönen in der Hauptbestimmung, dem reinen, willensfreien Erkennen und der mit demselben nothwendig eintretenden Erkenntniß der außer aller durch den Satz des Grundes bestimmten Relation stehenden Ideen, Eines ist und nur durch einen Zusatz, nämlich die Erhebung über das erkannte feindliche Verhältniß eben des kontemplirten Objekts zum Willen überhaupt, sich vom Gefühl des Schönen unterscheidet; so entstehn, je nachdem dieser Zusatz stark, laut, dringend, nah, oder nur schwach, fern, bloß angedeutet ist, mehrere Grade des Erhabenen, ja, Uebergänge des Schönen zum Erhabenen. Ich halte es der Darstellung angemessener, diese Uebergänge und überhaupt die schwächeren Grade des Eindrucks des Erhabenen zuerst in Beispielen vor die Augen zu bringen, obwohl Diejenigen, deren ästhetische Empfänglichkeit überhaupt nicht sehr groß und deren Phantasie nicht lebhaft ist, bloß die später folgenden Beispiele der höheren, deutlicheren Grade jenes Eindrucks verstehn werden, an welche allein sie sich daher zu halten und die zuerst anzuführenden Beispiele der sehr schwachen Grade des besagten Eindrucks auf sich beruhen zu lassen haben.
Wie der Mensch zugleich ungestümer und finsterer Drang des Wollens (bezeichnet durch den Pol der Genitalien als seinen Brennpunkt) und ewiges, freies, heiteres Subjekt des reinen Erkennens (bezeichnet durch den Pol des Gehirns) ist; so ist, diesem Gegensatz entsprechend, die Sonne zugleich Quelle des Lichtes, der Bedingung zur vollkommensten Erkenntnißart, und eben dadurch des erfreulichsten der Dinge, – und Quelle der Wärme, der ersten Bedingung alles Lebens, d.i. aller Erscheinung des Willens auf den höheren Stufen derselben. Was daher für den Willen die Wärme, das ist für die Erkenntniß das Licht. Das Licht ist eben daher der größte Demant in der Krone der Schönheit und hat auf die Erkenntniß jedes schönen Gegenstandes den entschiedensten Einfluß: seine Anwesenheit überhaupt ist unerläßliche Bedingung; seine günstige Stellung erhöht auch die Schönheit des Schönsten, Vor allem Ändern aber wird das Schöne der Baukunst durch seine Gunst erhöht, durch welche jedoch selbst das Unbedeutendeste zum schönen Gegenstande wird. – Sehn wir nun im strengen Winter, bei der allgemeinen Erstarrung der Natur, die Strahlen der niedrig stehenden Sonne von steinernen Massen zurückgeworfen, wo sie erleuchten, ohne zu wärmen, also nur der reinsten Erkenntnißweise, nicht dem Willen günstig sind; so versetzt die Betrachtung der schönen Wirkung des Lichtes auf diese Massen, uns, wie alle Schönheit, in den Zustand des reinen Erkennens, der jedoch hier durch die leise Erinnerung an den Mangel der Erwärmung durch eben jene Strahlen, also des belebenden Princips, schon ein gewisses Erheben über das Interesse des Willens verlangt, eine leise Aufforderung zum Verharren im reinen Erkennen, mit Abwendung von allem Wollen, enthält, eben dadurch aber ein Uebergang vom Gefühl des Schönen zu dem des Erhabenen ist. Es ist der schwächste Anhauch des Erhabenen am Schönen, welches letztere selbst hier nur in geringem Grade hervortritt. Ein fast noch eben so schwaches Beispiel ist folgendes.
Versetzen wir uns in eine sehr einsame Gegend, mit unbeschränktem Horizont, unter völlig wolkenlosem Himmel, Bäume und Pflanzen in ganz unbewegter Luft, keine Thiere, keine Menschen, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille; – so ist solche