Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Читать онлайн книгу Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer страница 56
Sehn wir nun angegebenermaaßen den Wahnsinnigen das einzelne Gegenwärtige, auch manches einzelne Vergangene, richtig erkennen, aber den Zusammenhang, die Relationen verkennen und daher irren und irrereden; so ist eben dieses der Punkt seiner Berührung mit dem genialen Individuo: denn auch dieses, da es die Erkenntniß der Relationen, welches die gemäß dem Satze des Grundes ist, verläßt, um in den Dingen nur ihre Ideen zu sehn und zu suchen, ihr sich anschaulich aussprechendes eigentliches Wesen zu ergreifen, in Hinsicht auf welches ein Ding seine ganze Gattung repräsentirt und daher, wie Goethe sagt, ein Fall für Tausende gilt, – auch der Geniale läßt darüber die Erkenntniß des Zusammenhangs der Dinge aus den Augen: das einzelne Objekt seiner Beschauung, oder die übermäßig lebhaft von ihm aufgefaßte Gegenwart, erscheinen in so hellem Licht, daß gleichsam die übrigen Glieder der Kette, zu der sie gehören, dadurch in Dunkel zurücktreten, und dies giebt eben Phänomene, die mit denen des Wahnsinns eine längst erkannte Aehnlichkeit haben. Was im einzelnen vorhandenen Dinge nur unvollkommen und durch Modifikationen geschwächt daist, steigert die Betrachtungsweise des Genius zur Idee davon, zum Vollkommenen: er sieht daher überall Extreme, und eben dadurch geräth sein Handeln auf Extreme: er weiß das rechte Maaß nicht zu treffen, ihm fehlt die Nüchternheit, und das Resultat ist das besagte. Er erkennt die Ideen vollkommen, aber nicht die Individuen. Daher kann, wie man bemerkt hat, ein Dichter den Menschen tief und gründlich kennen, die Menschen aber sehr schlecht; er ist leicht zu hintergehn und ein Spiel in der Hand des Listigen.57
§ 37
Obgleich nun, unserer Darstellung zufolge, der Genius in der Fähigkeit besteht, unabhängig vom Satze des Grundes und daher, statt der einzelnen Dinge, welche ihr Daseyn nur in der Relation haben, die Ideen derselben zu erkennen und diesen gegenüber selbst das Korrelat der Idee, also nicht mehr Individuum, sondern reines Subjekt des Erkennens zu seyn; so muß dennoch diese Fähigkeit, in geringerem und verschiedenem Grade auch allen Menschen einwohnen; da sie sonst eben so wenig fähig wären die Werke der Kunst zu genießen, als sie hervorzubringen, und überhaupt für das Schöne und Erhabene durchaus keine Empfänglichkeit besitzen, ja diese Worte für sie keinen Sinn haben könnten. Wir müssen daher in allen Menschen, wenn es nicht etwan welche giebt, die durchaus keines ästhetischen Wohlgefallens fähig sind, jenes Vermögen in den Dingen ihre Ideen zu erkennen, und eben damit sich ihrer Persönlichkeit augenblicklich zu entäußern, als vorhanden annehmen. Der Genius hat vor ihnen nur den viel hohem Grad und die anhaltendere Dauer jener Erkenntnißweise voraus, welche ihn bei derselben die Besonnenheit behalten lassen, die erfordert ist, um das so Erkannte in einem willkürlichen Werk zu wiederholen, welche Wiederholung das Kunstwerk ist. Durch dasselbe theilt er die aufgefaßte Idee den Ändern mit. Diese bleibt dabei unverändert und die selbe: daher ist das ästhetische Wohlgefallen wesentlich Eines und das selbe, es mag durch ein Werk der Kunst, oder unmittelbar durch die Anschauung der Natur und des Lebens hervorgerufen seyn. Das Kunstwerk ist bloß ein Erleichterungsmittel derjenigen Erkenntniß, in welcher jenes Wohlgefallen besteht. Daß aus dem Kunstwerk die Idee uns leichter entgegentritt, als unmittelbar aus der Natur und der Wirklichkeit, kommt allein daher, daß der Künstler, der nur die Idee, nicht mehr die Wirklichkeit erkannte, in seinem Werk auch nur die Idee rein wiederholt hat, sie ausgesondert hat aus der Wirklichkeit, mit Auslassung aller störenden Zufälligkeiten. Der Künstler läßt uns durch seine Augen in die Welt blicken. Daß er diese Augen hat, daß er das Wesentliche, außer allen Relationen liegende der Dinge erkennt, ist eben die Gabe des Genius, das Angeborene; daß er aber im Stande ist, auch uns diese Gabe zu leihen, uns seine Augen aufzusetzen: dies ist das Erworbene, das Technische der Kunst. Dieserhalb nun wird, nachdem ich im Vorhergehenden das innere Wesen der ästhetischen Erkenntnißart in seinen allgemeinsten Grundlinien dargestellt habe, die jetzt folgende nähere philosophische Betrachtung des Schönen und Erhabenen Beide in der Natur und in der Kunst zugleich erörtern, ohne diese weiter zu trennen. Was im Menschen vorgeht, wann ihn das Schöne, wann ihn das Erhabene rührt, werden wir zunächst betrachten: ob er diese Rührung unmittelbar aus der Natur, aus dem Leben schöpft, oder nur durch die Vermittelung der Kunst ihrer theilhaft wird, begründet keinen wesentlichen, sondern nur einen äußerlichen Unterschied.
§ 38
Wir haben in der ästhetischen Betrachtungsweise zwei unzertrennliche Bestandtheile gefunden: die Erkenntniß des Objekts, nicht als einzelnen Dinges, sondern als Platonischer Idee, d.h. als beharrender Form dieser ganzen Gattung von Dingen; sodann das Selbstbewußtseyn des Erkennenden, nicht als Individuums, sondern als reinen, willenlosen Subjekts der Erkenntniß. Die Bedingung, unter welcher beide Bestandtheile immer vereint eintreten, war das Verlassen der an den Satz vom Grund gebundenen Erkenntnißweise, welche hingegen zum Dienste des Willens, wie auch zur Wissenschaft, die allein taugliche ist. – Auch das Wohlgefallen, das durch die Betrachtung des Schönen erregt wird, werden wir aus jenen beiden Bestandtheilen hervorgehn sehn, und zwar bald mehr aus dem einen, bald mehr aus dem andern, je nachdem der Gegenstand der ästhetischen Kontemplation ist.
Alles Wollen entspringt aus Bedürfniß, also aus Mangel, also aus Leiden. Diesem macht die Erfüllung ein Ende; jedoch gegen einen Wunsch, der erfüllt wird, bleiben wenigstens zehn versagt: ferner, das Begehren dauert lange, die Forderungen gehn ins Unendliche; die Erfüllung ist kurz und kärglich bemessen. Sogar aber ist die endliche Befriedigung selbst nur scheinbar: der erfüllte Wunsch macht gleich einem neuen Platz: jener ist ein erkannter, dieser ein noch unerkannter Irrthum. Dauernde, nicht mehr weichende Befriedigung kann kein erlangtes Objekt des Wollens geben: sondern es gleicht immer nur dem Almosen, das dem Bettler zugeworfen, sein Leben heute fristet, um seine Quaal auf Morgen zu verlängern. – Darum nun, solange unser Bewußtseyn von unserm Willen erfüllt ist, solange wir dem Drange der Wünsche, mit seinem steten Hoffen und Fürchten, hingegeben sind, solange wir Subjekt des Wollens sind, wird uns nimmermehr dauerndes Glück, noch Ruhe. Ob wir jagen, oder fliehn, Unheil fürchten, oder nach Genuß streben, ist im Wesentlichen einerlei: die Sorge für den stets fordernden Willen, gleichviel in welcher Gestalt, erfüllt und bewegt fortdauernd das Bewußtseyn; ohne Ruhe aber ist durchaus kein wahres Wohlseyn möglich. So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus.
Wann aber äußerer Anlaß, oder innere Stimmung, uns plötzlich aus dem endlosen Strohme des Wollens heraushebt, die Erkenntniß dem Sklavendienste des Willens entreißt, die Aufmerksamkeit nun nicht mehr auf die Motive des Wollens gerichtet wird, sondern die Dinge frei von ihrer Beziehung auf den Willen auffaßt, also ohne Interesse, ohne Subjektivität, rein objektiv sie betrachtet, ihnen ganz hingegeben, sofern sie bloß Vorstellungen, nicht sofern sie Motive sind: dann ist die auf jenem ersten Wege des Wollens immer gesuchte, aber immer entfliehende Ruhe mit einem Male von selbst eingetreten, und uns ist völlig wohl. Es ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut und als den Zustand der Götter pries: denn wir sind, für jenen Augenblick, des schnöden Willensdranges entledigt, wir feiern den Sabbath der Zuchthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht still.
Dieser Zustand ist aber eben der, welchen ich oben beschrieb als erforderlich zur Erkenntniß der Idee, als reine Kontemplation, Aufgehn in der Anschauung, Verlieren ins Objekt, Vergessen aller Individualität, Aufhebung der dem Satz vom Grunde folgenden und nur Relationen fassenden Erkenntnißweise, wobei zugleich und unzertrennlich das angeschaute einzelne Ding zur Idee seiner Gattung, das erkennende Individuum zum reinen Subjekt des willenlosen Erkennens sich erhebt, und nun Beide als solche nicht mehr im Strohme der Zeit und aller andern Relationen stehn. Es ist dann einerlei, ob man aus dem Kerker, oder aus dem Palast die