Der einsame Mann. Clara Viebig
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Dann kramte sie weiter; da war noch allerlei. Sein schwarzer Anzug, der feierliche, den er angehabt hatte zur Trauung, der war nicht dabei, in dem war er getragen worden zur letzten Feier. Doch da war ja noch das Samtjacket! Sie hatte es ihm geschenkt zur letzten Weihnacht, er fand es so schön, ein Samtjacket in der Sprechstunde; er hatte es kaum mehr getragen. Ob sie das wohl dem Baron anbieten durfte? Er trug immer dieselbe alte verschlissene Litewka. Für sich selber mochte er nicht gern etwas ausgeben. Wenn sie vorwurfsvoll sagte: »Aber Herr Baron, Ihre Hemden, Ihre Strümpfe! Sie müssten wohl bald daran denken, einiges zu erneuern,« pflegte er etwas unwirsch zu werden: »Sind für mich lange gut.« Sie ahnte, dass er sparte — sparte für Hans-Helmut. Hatte er doch erst neulich gesagt: »Das wird viel Geld kosten, wenn der Junge zur Universität kommt. Aber wir werden’s bis dahin schon beisammen haben — nicht wahr, Hans-Hänschen?« Er pflegte immer Hans-Hänschen zu sagen, wenn er guter Laune war. Er hatte dabei dem Knaben den Arm um die Schultern gelegt und ihn an sich gezogen. O Gott, wie gut war dieser Mann! Und Hilde Arndt weinte wieder in einer seltsamen Erschütterung, von der sie nicht wusste, ob sie dem Toten galt oder dem Lebenden. — — —
Als Hans-Helmut zum erstenmal in seines Vaters Anzug ging, kam er sich plötzlich um vieles älter vor. Dass es den kleinen Jungen auf der Strasse Spass machte, den Kreisel zu schlagen, solch ein kindisches Spiel! Aber als ihm so ein Kreisel, ein buntes Ding mit einem blanken Messingnagel darin, vor den Füssen tanzte, dann umfiel, und ein kleiner Knirps sich mit ungeschickten Peitschenhieben bemühte, ihn zu neuem Tanzen anzutreiben, hätte er am liebsten dem Kind die Peitsche aus der Hand genommen und gezeigt: so macht man’s. —
»Jesses, wat wächst der Jung!« sagte die Kaspers. Sie kam noch immer ins Haus, aber sie war unlustig zur Arbeit. Ihr Gesicht, das einstmals recht hübsch gewesen sein mochte, war auseinandergelaufen wie ein mit zuviel Hefe gebackener Kuchenfladen. Das Doppelkinn hing ihr auf die Brust und die Brust auf den Bauch. Nachbarinnen, die ihr nicht wohlgesinnt waren, behaupteten, sie leiste ihrem Mann im Trinken Gesellschaft. Der war öfter betrunken als nüchtern. Hanni und Peter machten auch nicht viel Freude, sie waren ihrer Wege gegangen, liessen die Eltern im Stich. Von ihrem Mann und den Söhnen erzählte mit vielen Seufzern und lauter Stimme die Kaspers täglich der Frau Doktor in der Küche. Ja, wenn die Maria nicht wäre, dann liesse auch sie alles im Stich, sie ginge in die Mosel, da wo die am tiefsten war. Man hatte sich sein ganzes Leben geplagt und hatte nun doch nichts als Verdruss. Aber um der Maria willen musste sie ja leben bleiben, an der würde sie noch viel Freude haben.
Ja, das würde sie auch! Frau Doktor sagte das nicht nur so hin zum Trost, sie war vollkommen davon überzeugt.
Man musste Maria Kaspers waschen sehen, dann wusste man, dass sie etwas leisten konnte. Ein Holzbrettchen unter den Knien, hochgeschürzt, die Arme bis zur Schulter nackt, kniete sie am Flussrand und bearbeitete die Wäsche mit Bürste und Holzschlegel; bürstete, klopfte, schrappte, schlug zu mit so viel Kraft und Fleiss, dass sie kaum Seife brauchte, die Wäsche wurde blütenweiss. Es war oft recht kühl; vom kalten Flusswasser durchnässt bis auf die Knochen wurden die Wäscherinnen, aber wenn die anderen auch mit den Zähnen klapperten, der jungen Kaspers war es warm. Sie war gesund, und immer war sie guter Dinge.
»Meine Tochter hat’n Hümör, den is nit zu bezahle,« sagte die Alte. »Und wat die für Anträg’ hat! Von mehr als einem, der viel Geld hat!« Näheres über die Anträge erzählte sie nicht. Aber Frau Doktor glaubte es gern. Die Maria war eine hübsche Person und dabei von soviel Tüchtigkeit. Sie hatte ein grosses Wohlgefallen an Maria Kaspers. Das war ihr schon von damals geblieben, als das Mädchen Hans-Helmut aus dem Wasser gezogen hatte. »Mit eigener Lebensgefahr,« wie die alte Kaspers nie verfehlte hinzuzusetzen.
Als Hans-Helmut heute aus der Schule kam, sah er Maria Kaspers. Er hatte sie lange nicht gesehen. Die letzten Häuser des Städtchens lagen hinter ihm, das freie Ufer begann, und da auf dem Holzsteg, der schmal und luftig weit auf den Wasserspiegel hinausragte, kniete sie und spülte Wäsche. Andere Frauen waren nicht bei ihr. Aber ein junger Mann stand auf dem Steg. Die Hände in den Hosentaschen, den Hut im Genick stand er und sah auf sie nieder. Er lachte, und sie lachte auch. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, aber Hans-Helmut kannte ihr Lachen am Klang. Was sprachen die? Er horchte hin, aber er verstand nichts. Sie flüsterten.
Der Knabe schlich näher, hinter einem Baum blieb er stehen. Nun hob sie den Kopf, jetzt sah er ihr Gesicht, es lachte über und über, und plötzlich — der junge Mann beugte sich gerade zu ihr — schlug sie mit einem Stück ihrer nassen Wäsche nach ihm. Das schien ihn aber weiter nicht zu bekümmern, mit einer Hand fing er den nassen Lappen auf und hielt ihn fest, die andere legte er ihr ins Genick, bückte sich wieder zu ihr nieder und — weiter sah Hans-Helmut nichts.
Er rannte fort. Wie ein eifersüchtiger Stich war’s ihm durchs Herz gefahren. Oh, diese Dreistigkeit! Der Freche! Dass er doch ein Mann wäre und den da züchtigen könnte für seine Zudringlichkeit! Aber sah Maria es auch als Zudringlichkeit an und war böse darüber?
Die Mutter sah heute unter der Sekundanermütze ein blasses Gesicht. Und essen mochte der Junge heute auch nicht. Am Abend ging er früh schlafen. Ja, er war müde, das war keine Lüge, und die Müdigkeit kam von seiner Traurigkeit. Als er jetzt am Fenster stand und sich hinabbeugte in den dunklen kleinen Garten, aus dem der Duft der Geissblattlaube stark, fast beklemmend stark aufstieg, ballte er die Fäuste. Oh, die Maria! Überhaupt die Mädchen! Sie waren alle nichts wert. Vom ersten besten liessen sie sich abküssen. Die Schulkameraden prahlten damit, wie viele Mädchen sie schon geküsst hätten, und sie hatten auch noch mehr erzählt, aber er hatte nie darauf hingehört, er hatte ihnen ja nicht geglaubt. Aber nun musste er’s doch wohl glauben. Oh, es ging eigentlich gar nicht schön zu in der Welt!
Nicht schön —?! Wie ein Lachen ging es plötzlich durch die Nacht. Oh, doch schön! Eine starke Duftwelle stieg zu Hans-Helmut auf, schwere Luft umfing ihn heiss, sein Kopf glühte; er befühlte sich die Stirn, sie schmerzte. Schön wohl, aber nicht rein. Gar nicht rein. Und es müsste alles doch eigentlich rein sein im Leben, so rein wie in diesem kleinen Haus, in diesen Stuben, in denen seine Mutter still aus und ein ging und mit sachten Händen räumte, dass alles immer wohlgeordnet war. Man musste eine Scheu haben, in dieses Haus, in diese Stuben etwas hineinzutragen, das nicht wohlgeordnet, das nicht sauber war. Seine liebe Mutter! Manchmal war es ihm, als müsste er sich auf ihre Hand beugen und die küssen wie in heiliger Scheu. Nein, er wollte ihr auch niemals Kummer machen, nie etwas tun, das nicht hineinpasste in ihre Stuben. Der Oberst dachte gewiss genau so wie er, wenn der mit der Mutter sprach, dann dämpfte er immer die Stimme, sprach ganz mild, nicht so knarrig wie gewöhnlich. Alles Hässliche blieb draussen. Und so würde es immer sein, musste so immer sein und bleiben! Der Knabe sprach es zu sich selber wie mit einem Schwur. Seine arme Mutter! Der Mann, den sie so lieb gehabt hatte, der war ihr so bald genommen worden, aber der Sohn, der durfte ihr nicht genommen werden, durch nichts — nein, durch nichts!
Abwehrend scheuchte Hans-Helmut mit der Hand hinein in die schwersüsse Luft des duftgeschwängerten Gartens. Fort mit den Gedanken, die sich nicht gehörten! Er wollte rein sein und rein bleiben; er musste es bleiben. Aber war es nicht schwer? Ja, so schwer! Mit einem Seufzer rang der Knabe die Hände ineinander, und dann begann er im Zimmer auf und ab zu wandern, getrieben von etwas,