Der neue Dr. Laurin Box 1 – Arztroman. Viola Maybach
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Doch Marco hatte den Schlag kommen sehen und konnte den Kopf noch drehen, so dass er nur an der Schulter getroffen wurde. Er kam etwas aus dem Gleichgewicht, fing sich aber schnell wieder. Zwei gute Schläge konnte er landen, einen an Toms Hals, den anderen an der Schläfe. Er hatte ein Boxtraining gemacht, seit er früher oft verprügelt worden war. Ihn hatten die größeren Jungs als leichte Beute angesehen, weil er schmal war und den Eindruck erweckte, ein kräftiger Schlag genüge, um ihn zu Boden zu schicken. Doch diese Zeiten waren vorüber. Er hatte gelernt, sich zu wehren.
»Seid ihr verrückt geworden?«, hörte er jemanden rufen. »Hört sofort auf! Wollt ihr Ärger mit den Bullen haben? Die fahren hier überall Streife und warten nur auf zwei wie euch.«
Sascha Buder! Wo kam der jetzt auf einmal her? Aber Marco war nicht böse über dessen Auftauchen. Nicht, dass sie direkt Freunde gewesen wären, aber er kannte Sascha ganz gut, und er wusste, dass Tom ihn auch kannte. Sascha war in Ordnung.
»Halt dich da raus, Sascha!«, hörte er Tom knurren.
Marco sah ihn zu einem weiteren Schlag ausholen, und plötzlich packte ihn der Zorn. Er wollte sich nicht prügeln, aber um dieser lächerlichen Schlägerei ein Ende zu bereiten, musste er Tom wohl zuerst k.o. schlagen. Er duckte sich und zielte dann direkt auf Toms Gesicht, das er auch traf. Es krachte wieder, Tom schrie auf.
»Aufhören, aufhören!«, rief Sascha Buder.
Fast zeitgleich blitzte etwas in Toms Hand auf, das Marco zu spät sah. Tom, mit seinem blutenden Gesicht, stürzte sich mit wütendem Gebrüll auf ihn, und gleich darauf verspürte er einen heftigen Schmerz in der Brust, ohne zu begreifen, was geschehen war. Schon im Fallen holte er aus und versetzte Tom noch einen heftigen Tritt zwischen die Beine, der diesen mit einem Schmerzensschrei zu Boden schickte.
Dann landete Marco auf dem Bürgersteig, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Sascha Buder blickte sich hektisch um, dann holte er sein Handy heraus und rief einen Rettungswagen. Als dieser wenig später kam, erklärte er, die beiden Verletzten nicht näher zu kennen, er sei rein zufällig vorbeigekommen. In welches Krankenhaus man sie denn bringen werde?
Nachdem er das in Erfahrung gebracht hatte, gelang es ihm, zu verschwinden, bevor die Polizei am Ort des Geschehens eintraf. Das Messer steckte in einer Plastiktüte in seiner Tasche.
*
»Sie sind ja wach«, sagte Schwester Marie, als sie neben Eva Maischingers Bett trat. Verwundert war sie nicht darüber: Flora Müthen hatte wieder angefangen zu schreien, und die Wände in der Notaufnahme waren dünn.
»Ich kann bei dem Geschrei nicht schlafen«, erwiderte Eva. »Wieso schreit die Frau überhaupt so?«
»Sie bekommt Zwillinge, und es gibt Komplikationen. Ich weiß, eine Notaufnahme ist kein Aufenthalt in einem Kurhotel. Wir verlegen Sie morgen auf die Gynäkologie.«
»Auf keinen Fall!«, erklärte Eva. »Morgen gehe ich nach Hause. Ich hätte überhaupt nicht hier bleiben sollen, Sie reden mir hier nur Sachen ein. Aber Sie können mich nicht gegen meinen Willen festhalten.«
»Das stimmt, das können wir nicht, aber wir können an Ihre Vernunft appellieren, Frau Maischinger. Und wenn wir Ihnen sagen, dass Sie noch Ruhe brauchen, dann ist das so, glauben Sie mir.«
»Mir geht es bestens«, behauptete Eva. »Das war ein kleiner Schwächeanfall – na, und?«
»Das war kein kleiner Schwächeanfall, und das wissen Sie auch. Sie waren bislang noch bei keiner Vorsorgeuntersuchung, und es hat sich herausgestellt, dass Ihr Baby ziemlich klein ist. Wollen Sie denn nicht, dass es gesund zur Welt kommt?«
»Welches Baby?«, fragte Eva. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden. Ich bin nicht schwanger.«
Marie schwieg. Sie waren schon einmal weiter gewesen, aber offenbar hatte sich die junge Frau entschieden, zu ihrer vorherigen Haltung zurückzukehren und ihre Schwangerschaft zu leugnen.
Sie griff in ihre Tasche, holte ein Ultraschallbild heraus und legte es auf den Nachttisch der jungen Frau. »Das ist ein Bild von Ihrer kleinen Tochter«, sagte sie sanft. »Ich lasse es hier, falls Sie es sich später ansehen möchten. Es ist ein Bild, auf dem man ziemlich viel erkennen kann. Nicht alle Ultraschallbilder sind so klar.«
Nach diesen Worten ging sie leise hinaus. Als sie später noch einmal einen Blick in Eva Maischingers Zimmer warf, hielt die Patientin das Ultraschallbild in der Hand und betrachtete es mit unbewegtem Gesicht.
Marie seufzte. Warum machten sich nur manche Menschen das Leben so schwer?
*
Flora Müthens erster Zwilling, ein kleiner Junge, war bereits auf der Welt, als die Komplikationen einsetzten: Der zweite Zwilling, ein Mädchen, ließ sich Zeit, und irgendwann konnte Leon keine Herztöne mehr hören. Er entschied sich für einen Kaiserschnitt, und das rettete dem Mädchen das Leben, denn die Nabelschnur hatte sich um seinen Hals gelegt und drohte es zu ersticken. Es vergingen bange Sekunden, bis es den ersten zaghaften Schrei ausstieß, dann jedoch kannte das Glück der jungen Eltern keine Grenzen.
Leon war müde, als er wenig später mit Eckart einen Kaffee auf dem Stationsflur trank. »Das war knapp«, sagte er.
»Bei mir auch«, erwiderte Eckart. »Eine blutige Notoperation.«
»Der Motorradunfall?«
»Ja, Unfall mit Fahrerflucht, es gibt Zeugen. Hoffentlich erwischen sie den Flüchtigen.« Eckart leerte seine Tasse. »Fahr nach Hause, Leon, du hast morgen Vormittag eine OP.«
»Ich weiß, aber im Augenblick bin ich hellwach. Außerdem muss ich noch einmal nach Frau Müthen und ihrem Mann sehen. Und nach ihren Zwillingen natürlich.«
Robert Semmler erschien im Laufschritt und unterbrach ihr Gespräch. »Zwei Verletzte, Schlägerei und Messerstecherei – ob wir sie aufnehmen können? Die anderen Notfallambulanzen sind überlastet …«
»Ja, natürlich nehmen wir sie auf«, sagten Leon und Eckart wie aus einem Mund.
Fünf Minuten später wurden zwei junge Männer in die Notaufnahme gebracht, von denen einer zwar eine gebrochene Nase und Quetschungen im Genitalbereich hatte, sonst aber keine größeren Verletzungen aufwies, während der andere eine böse Stichwunde in Herznähe abbekommen hatte. Das Messer hatte das Herz nur um wenige Zentimeter verfehlt. Allerdings waren etliche Blutgefäße verletzt worden, so dass sich Leon und Eckart kurz darauf in einem Operationssaal wiederfanden, während sich Michael Hillenberg um den anderen jungen Mann kümmerte.
»Jetzt bist du wohl doch froh, dass ich noch nicht nach Hause gefahren bin, oder?«, fragte Leon eine Stunde später.
Eckart nickte. »Ich muss gestehen, dass ich Frau Müthens Zwillingen aufrichtig dankbar bin, dass sie dich hergeholt haben«, gestand er. »Für Herrn Hillenberg und mich wäre das alles doch ein bisschen viel geworden.« Ein Blick auf den Monitor zeigte ihm, dass der junge Mann stabil war. »In den Aufwachraum mit ihm«, sagte er.
Sie tranken erneut Kaffee, als zwei Polizeibeamte erschienen und sich nach den beiden Männern erkundigten, die in eine Schlägerei und Messerstecherei verwickelt gewesen waren.
»Ein Mann wurde mit einem Messer verletzt, das wir aber nicht gefunden haben«, erklärte Leon. »Der andere