Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Sir Arthur Conan Doyle

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Die Abenteuer des Sherlock Holmes - Sir Arthur Conan Doyle

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hier ist etwas,“ sagte John Openshaw. Er durchsuchte seine Rocktasche, zog ein Stück bläulich gefärbtes Papier hervor und legte es auf den Tisch. „Ich erinnere mich dunkel, dass damals, als mein Oheim die Papiere verbrannte, die schmalen, unverkohlten Ränder in der Asche von solch eigentümlicher Farbe waren. Dieses einzelne Blatt fand ich am Boden in seinem Zimmer, und fast vermute ich, es könnte aus den papieren herausgefallen und so der Zerstörung entgangen sein. Es sieht aus, als wäre es ein Blatt aus einem Tagebuch. Sie finden die Kerne darin erwähnt, sonst hat es wohl wenig Wert für uns. Die Schrift ist unbedingt die meines Oheims.“

      Homes zog die Lampe näher, und beide neigten wir uns auf das Blatt, dessen zerrissener Rand deutlich zeigte, dass es zu einem Heft gehört hatte. ,März 1869‘ stand obenan und darunter folgende rätselhafte Notizen:

      „4. Hudson gekommen. Dieselbe alte Plattform.

      „7. Die Kerne an Mc. Kauley, Paramore und John Swain von St. Augustine aufgegeben.

      „9. Mc. Kauley erledigt.

      „10. John Swain erledigt.

      „12. Paramore besucht. Alles gut.“

      „Danke,“ sagte Holmes, faltete das Blatt und gab es dem jungen Mann zurück. „Und nun dürfen Sie um keinen Preis mehr einen Augenblick verlieren. Wir haben nicht einmal die Zeit, das Be sprochene näher zu erörtern. Sie müssen sofort nach Hause und handeln.“

      „Was soll ich thun?“

      „Nur eines ist möglich, und das muss sofort geschehen: Dies Stück Papier, das Sie uns zeigten, muss in den Metallkasten kommen; Sie legen einen Zettel bei, der besagt, dass alle anderen Papiere von Ihrem Oheim verbrannt wurden und nur dieses zurückgeblieben ist. Sie müssen die Notiz so abfassen, dass sich an der Wahrheit Ihrer Aussage nicht zweifeln lässt. Dann stellen Sie das Kästchen auf die Sonnenuhr, wie verlangt wird. Haben Sie verstanden?“

      „Vollkommen.“

      „Denken Sie jetzt weder an Rache noch an sonst dergleichen. Das werden wir wohl später auf gesetzlichem Wege erlangen können. Für jetzt haben wir unser Netz noch zu spinnen, während der Feind bereits seine Beute umgarnt hat. Vor allem gilt es, der grossen Gefahr zu entgehen, die Sie bedroht. Dann muss der Schleier gelüftet werden, und die Schuldigen finden ihre Strafe. Wie kehren Sie zurück?“

      „Mit dem Zuge vom Waterloobahnhof.“

      „Es ist noch nicht neun Uhr. Die Strassen sind jetzt belebt, und so hoffe ich, Sie sind sicher. Doch können Sie nicht vorsichtig genug sein.“

      „Ich bin bewaffnet.“

      „Das ist recht. Morgen nehme ich Ihren Fall in Angriff.“

      „So darf ich Sie in Horsham erwarten?“

      „Nein, Ihr Geheimnis liegt in London verborgen; hier muss ich danach forschen.“

      „So werde ich Sie in den allernächsten Tagen aufsuchen und Ihnen über Kasten und Papiere berichten. Ihr Rat soll genau befolgt werden.“

      Er reichte uns die Hand und verabschiedete sich. Draussen heulte der Wind noch immer, und der Regen schulg an die Fenster. Es war, als hätten die entfesselten Elemente diese merkwürdige Begebenheit zu uns hereingeweht — wie einen von den Wogen angeschwemmten Büschel Seetang, den nun das tobende Meer wieder verschlang.

      Schweigend sass Sherlock Holmes und starrte sinnend in die rote Feuerglut. Dann steckte er seine Pfeife an, lehnte sich bequem zurück und blickte den einzelnen Rauchringen nach, die zur Decke emporstiegen.

      „Mich dünkt, Watson,“ bemerkte er endlich, „ein so phantastischer Fall ist uns noch nicht vorgekommen.“

      „Höchstens der des ,Zeichen der Vier‘. 2

      „Nun ja, den nehme ich aus. Und doch glaube ich, dass John Openshaw in noch grösserer Gefahr schwebt, als damals die Scholtos.“

      „Hast du irgend welche bestimmte Vermutung über die Art dieser Gefahr?“

      „Darüber ist kein Zweifel möglich.“

      „So sprich! Wer ist dieser K. K. K., und warum verfolgt er die unglückliche Familie?“

      Sherlock Holmes schloss die Augen, stützte die Ellenbogen auf die Lehnen seines Stuhles und legte die Fingerspitzten aneinander. „Der vollendete Denker,“ sagte er, „müsste eigentlich imstande sein an der Hand einer einzigen Thatsache, welche ihm in allen ihren Beziehungen klar geworden ist, sowohl die Begebenheiten, die daraus folgten, als auch diejenigen, welche vorausgingen, zu ermitteln. Genau so, wie Cuvier den Bau eines ganzen Tieres bei der Betrachtung eines einzigen Knochen festzustellen vermochte. Wir sind uns noch viel zu wenig bewusst, was wir alles durch blosse Geistesarbeit erreichen können. Mit Hilfe des Studiums vermag man Probleme zu lösen, an welchen diejenigen verzweifeln, die die Lösung nur vermittelst ihrer fünf Sinne zu finden trachten. Der Höhepunkt der Kunst lässt sich jedoch nur erreichen, wenn der Forscher es versteht, alle Fakta zu benutzen, die zu seiner Kenntnis gelangen. Das hat aber ein so universelles Wissen zur Voraussetzung, wie es selbst in unserer Zeit freier und allgemeiner Bildung nur wenigen zugänglich ist. Dagegen scheint es mir nicht so ganz unmöglich, dass ein Mensch alles Wissen besitzt, das ihm in seinem Fach nützlich werden kann, und dies zu erwerden habe ich mich redlich bemüht. Entsinne ich mich recht, so hast du einmal in den Tagen unsrer frühsten Freundschaft die Grenzen meiner Fähigkeiten sehr genau verzeichnet.“

      „Jawohl,“ erwiderte ich lachend, „es war eine gelungene Liste. Philosophie, Astronomie und Politik waren darin — wenn ich mich recht erinnere — mit einer Null versehen. In Botanik warst du ungleich, in Geologie dagegen sehr gründlich, namentlich mit Bezug auf Dreckspuren aus jeder beliebigen Gegend im Umkreis von London; mit Chemie stand’s brillant; Kenntnisse in Anatomie unsystematisch; in Kriminallitteratur ein hervorragender Kenner. Im übringen guter Boxer, Fechter, Jurist. So lauteten wohl die Hauptpunkte meiner Analyse.“

      Holmes lachte. „Und ich sage heute wie damals: Der Mensch soll seine kleinen Gehirnkammern mit dem füllen, was er voraussichtlich brauchen wird, das übrige kann er in den dunkelsten Winkel seiner Bibliothek stecken, wo er es im Notfall findet. In einem Fall, wie der und heute abend vorgelegte, gilt es eine Musterung von allem, was uns nur irgend zu Gebote steht. Bitte, reiche mir den Buchstaben K der Amerikanischen Encyklopädie, die auf dem Regal hinter dir steht. — Danke. — Nun lass uns die Sache näher betrachten und sehen, was man daraus folgern kann. Vor allem ist mit ziemlicher Gewissheit anzunehmen, dass Oberst Opensham einen sehr triftigen Grund hatte, Amerika zu verlassen. Männer seines Alters ändern nicht leicht ihre Gewohnheiten und vertauschen nicht gern das liebliche Klima Floridas gegen das einsame Leben einer englischen Provinzialstadt. Seine übergrosse Zurückgezogenheit in England lässt uns vermuten, dass er sich vor jemand oder vor etwas fürchtete, und dass ihn diese Furcht aus Amerika vertrieben hat. Was dies Befürchtete war, können wir uns aus den schrecklichen Briefen folgern, die er und seine Familie erhielten. Hast du die Postzeichen auf den Briefen bemerkt?“

      „Der erste kam aus Ponditscherri, der zweite aus Dundee und der dritte aus London.“

      „Aus Ost-London. Was folgerst du daraus?“

      „Es sind drei Seehäfen. Also war der Schreiber an Bord.“

      „Vortrefflich. Da halten wir schon einen Faden. Es ist unbedingt anzunehmen — ja, fast zweifellos, dass der Schreiber an Bord eines Schiffes ist. Und nun

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