Das Bildnis des Dorian Gray. Oscar Wilde
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„Ich möchte nicht, dass du mit ihm zusammenkommst.“
„Du möchtest nicht, dass ich mit ihm zusammenkomme?“
„Nein.“
„Herr Dorian Gray ist im Atelier, gnädiger Herr“, sagte der Diener, der im Garten erschien.
„Jetzt musst du mich vorstellen“, rief Lord Henrr lachend.
Der Maler wandte sich an seinen Diener, der im Sonnenlicht blinzelnd dastand. „Bitten Sie Herrn Gray, einen Augenblick zu warten, Parker, ich komme sofort.“ Der Mann verbeugte sich und verschwand.
Dann blickte er Lord Henry an. „Dorian Gray ist mein teuerster Freund“, sagte er. „Er ist ein einfacher und wundervoller Mensch. Deine Tante hatte ganz recht mit dem, was sie über ihn sagte. Verdirb ihn nicht. Versuche nicht, ihn zu beeinflussen. Dein Einfluss würde schlecht sein. Die Welt ist gross, und es gibt viele wundervolle Leute darin. Nimm mir nicht den einzigen Menschen, der meiner Kunst den ganzen Zauber gibt, den sie überhaupt besitzt; mein Leben als Künstler hängt an ihm. Denk’ daran, Harry, dass ich dir vertraue.“ Er sprach sehr langsam und schien sich die Worte fast widerwillig abzuringen.
„Was für einen Unsinn du sprichst!“ sagte Lord Henry lächelnd, nahm Hallward beim Arm und führte ihn beinahe ins Haus.
Zweites Kapitel
Als sie eintraten, sahen sie Dorian Gray. Er sass am Klavier mit dem Rücken zu ihnen und blätterte in einem Band von Schumanns „Waldszenen“. „Die musst du mir leihen, Basil“, rief er. „Ich möchte sie lernen. Sie sind einfach entzückend.“
„Das hängt ganz davon ab, wie du heute Modell stehst, Dorian.“
„Oh, ich habe das Modellstehen satt, und ich brauche kein Bildnis in Lebensgrosse von mir“, antwortete der Jüngling und drehte sich auf dem Musikstuhl in einer eigenwilligen, übermütigen Weise um. Als er Lord Henrys ansichtig wurde, glitt ein leichtes Erröten einen Augenblick lang über seine Wangen, und er sprang auf. „Ich bitte um Verzeihung, Basil, aber ich wusste nicht, dass du Besuch hattest.“
„Das ist Lord Henry Wotton, Dorian, ein alter Oxforder Studienfreund. Ich habe ihm gerade erzählt, was für ein glänzendes Modell du bist, und jetzt hast du alles verdorben.“
„Aber nicht mein Vergnügen, Ihnen zu begegnen, Herr Gray“, sagte Lord Henry mit einem Schritt auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Meine Tante hat zu mir oft von Ihnen gesprochen, Sie gehören zu ihren Bevorzugten und, ich, fürchte, auch zu ihren Opfern.“
„Ich stehe jetzt in Lady Agathes schwarzem Buch“, antwortete Dorian mit komisch zerknirschtem Ausdruck. „Ich versprach, letzten Dienstag mit ihr in einen Klub in Whitechapel zu gehen, und ich habe es wirklich ganz vergessen. Wir hätten ein Duett miteinander spielen sollen — drei Duette, glaube ich. Ich weiss nicht, was sie mir sagen wird. Ich habe viel zu viel Angst, um hinzugehen.“
„Oh, ich werde sie mit meiner Tante versöhnen. Sie ist ganz entzückt von Ihnen. Und ich glaube, es war wirklich nicht schlimm, dass Sie nicht dort waren. Das Publikum hat wahrscheinlich gedacht, es sei ein Duett. Wenn Tante Agatha sich ans Klavier setzt, macht sie genug Lärm für zwei.“
„Das ist abscheulich gegen sie und nicht sehr nett gegen mich“, antwortete Dorian lachend.
Lord Henry sah ihn an. Ja, er war sicherlich wunderbar schön, mit seinen feingeschwungenen Scharlachlippen, seinen kühnen, blauen Augen und seinem goldblonden Kraushaar. In seinem Gesicht war etwas, was einem sofort Vertrauen einflösste. Die ganze Offenheit der Jugend lag darin und ihre ganze leidenschaftliche Reinheit. Man fühlte, dass er sich von der Welt unbefleckt bewahrt hatte. Kein Wunder, dass Basil Hallward ihn vergötterte.
„Sie sind zu reizend, um sich mit Philanthropie zu befassen, Herr Gray, viel zu reizend.“ Und Lord Henry warf sich auf den Diwan und öffnete seine Zigarettendose.
Der Maler hatte inzwischen eifrig seine Farben gemischt und seine Pinsel vorbereitet. Er sah gequält aus, und als er Lord Henrys letzte Bemerkung hörte, warf er ihm einen Blick zu, zögerte ein wenig und sagte dann: „Harry, ich möchte dieses Bild heute fertig malen. Würdest du es arg unhöflich von mir finden, wenn ich dich bäte, zu gehen?“
Lord Henry lächelte und blickte Dorian Gray an. „Soll ich gehen, Herr Gray?“ fragte er.
„Oh, bitte nicht, Lord Henry. Ich sehe, dass Basil wieder mal brummiger Laune ist; und ich kann ihn nicht ertragen, wenn er brummt. Ausserdem möchte ich, dass Sie mir sagen, warum ich mich nicht mit Philanthropie befassen soll.“
„Ich weiss nicht, ob ich Ihnen das sagen werde, Herr Gray. Es ist ein so langweiliger Gegenstand, dass man unbedingt ernsthaft darüber sprechen müsste. Aber ich werde sicher nicht fortlaufen, jetzt, wo Sie mich gebeten haben, zu bleiben. Du hast doch ernstlich nichts dagegen, Basil, nicht wahr? Du hast mir oft gesagt, es sei dir lieb, wenn deine Modelle jemanden zum Plaudern haben.“
Hallward biss sich auf die Lippen. „Wenn Dorian es wünscht, musst du natürlich bleiben. Dorians Launen find Befehle für jedermann, ausser für ihn selbst.“
Lord Henry griff nach Hut und Handschuhen. „Du drängst mich zwar sehr, Basil, aber ich fürchte, ich muss gehen. Ich habe einem Bekannten versprochen, ihn im Orleans zu treffen. Leben Sie wohl, Herr Gray. Besuchen Sie mich einmal nachmittags in der Eurzon Street. Um fünf Uhr finden Sie mich fast immer zu Hause. Schreiben Sie mir, wann Sie kommen. Es täte mir leid, Sie zu verfehlen.“
„Basil,“ rief Dorian Gray, „wenn Lord Henry Wotton geht, werde ich auch gehen. Du machst nie den Mund auf, während du malst, und es ist entsetzlich langweilig, auf einem Podium zu stehen und ein liebenswürdiges Gesicht zu schneiden. Bitte ihn zu bleiben. Ich bestehe darauf.“
„Bleib, Harry, Dorian zuliebe und mir zuliebe“, sagte Hallward, ohne den Blick von der Leinwand zu wenden. „Es ist ganz richtig, ich spreche nie während der Arbeit und höre nicht einmal zu, und es muss schrecklich eintönig für meine unglücklichen Modelle sein. Ich bitte dich zu bleiben.“
„Aber was wird aus meinem Bekannten im Orleans?“
Der Maler lachte. „Ich glaube nicht, dass dies Schwierigkeiten machen wird. Setz’ dich wieder, Harry. Und jetzt, Dorian, stell’ dich auf das Podium und mach’ nicht zu viel Bewegungen und achte nicht auf das, was Lord Henry sagt. Er hat einen sehr schlechten Einfluss auf alle seine Freunde, mich allein ausgenommen.“
Dorian Gray bestieg die Estrade mit der Miene eines jungen griechischen Märtyrers und machte ein Schmollgesicht gegen Lord Henry, für den er geradezu eine Vorliebe gefasst hatte. Er war so ganz anders als Basil. Sie bildeten einen wundervollen Gegensatz. Und er hatte eine so schöne Stimme. Nach einer kleinen Weile sagte er zu ihm: „Haben Sie wirklich einen schlechten Einfluss, Lord Henry? So schlecht, wie Basil sagt?“
„Es gibt keinen guten Einfluss, Herr Gray. Jeder Einfluss ist unmoralisch — unmoralisch vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus.“
„Warum?“
„Weil einen Menschen beeinflussen so viel ist, wie ihm die eigene Seele geben. Er denkt nicht mehr seine natürlichen Gedanken, er glüht nicht mehr in seinen natürlichen Leidenschaften. Seine Tugenden haben für ihn keine Wirklichkeit. Seine Sünden, wenn es so etwas wie Sünden gibt, sind geliehen.