Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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      In die Therapie kommt ein Ehepaar, beide etwa gleich alt (Mitte 40); er arbeitet als Ingenieur in leitender Stellung in einem international tätigen Großunternehmen; sie hat bis zur Geburt der Kinder als Sozialpädagogin gearbeitet. Die beiden haben drei Kinder im Alter zwischen 12 und 5 Jahren. Identifizierte Patientin ist die Ehefrau, die schon mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung war. Vor dem Gespräch haben beide einen Fragebogen ausgefüllt, aus dem die wenigen hier genannten Daten ersichtlich sind. Das Gespräch findet in einem Raum mit Einwegscheibe und Videokameras statt. Die Therapeuten in dieser Sitzung sind Fritz B. Simon und Gunthard Weber. Die Kommentare des Transkriptes sind durch Kursivdruck hervorgehoben.

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      Das Paar und die Therapeuten nehmen Platz. Die beiden schauen sich um.

      FRITZ SIMONJa, Sie schauen sich um. Ich möchte Ihnen zuerst einmal diesen Raum und unsere Arbeitsweise erklären. Ich weiß nicht, ob Sie unseren Brief bekommen haben? Normalerweise schicken wir einen Brief, in dem wir schreiben, wie wir arbeiten.

      Da unsere Arbeitsweise – Teamarbeit, Videoaufzeichnung, Beobachter hinter einer Einwegscheibe – von dem abweicht, was üblicherweise bei einem Arztbesuch zu erwarten ist, informieren wir unsere Patienten im voraus, um ein Gefühl der Überrumpelung zu vermeiden. Das heißt, eigentlich senden wir solch einen Brief … Da dies hier – warum auch immer – offenbar nicht geschehen ist, bedarf es längerer Erklärungen.

      HERR SCHNEIDER(hastig, ins Wort fallend) Nein, überhaupt nicht. Da gab’s also überhaupt einige Unklarheiten, und wir würden das auch erstmals als Vorgespräch auffassen.

      FRITZ SIMONDas wollte ich Ihnen auch gerade sagen, daß wir das wollen. Aber bevor wir überhaupt über irgend etwas reden, muß ich Ihnen den Raum erklären, damit Sie wissen, ob Sie überhaupt den Mund aufmachen wollen … Sie sehen, wir haben hier einige Apparate. Wir arbeiten hier im Rahmen eines Forschungsprojektes in einem Viererteam. Das heißt, zu dem Viererteam gehört noch der Herr Weber, den sehen Sie hier neben mir, der Herr Stierlin, der hinter dieser Scheibe sitzt, und der Herr Retzer, der auch hinter der Scheibe sitzt.

       Solch eine Teamzusammensetzung mit zwei Personen im Raum und zwei Personen hinter einer Einwegscheibe ist natürlich ein Luxus, der im allgemeinen nur im Rahmen von Forschungsprojekten finanziert werden kann. Im Alltagsbetrieb einer Klinik oder Praxis ist ein derartiger Aufwand sicher nicht nötig, manchmal auch nicht sinnvoll. Auch als einzelner Therapeut kann man Familientherapie betreiben. Dennoch besteht kein Zweifel, daß sich durch Teamarbeit – mit oder ohne Einwegscheibe – therapeutische Optionen ergeben, die einem einzelnen Therapeuten verschlossen bleiben. Dazu später mehr …

      FRITZ SIMONWir machen von solchen Sitzungen immer Videoaufnahmen, damit wir es uns noch einmal anschauen können und damit Sie es sich noch einmal anschauen können – wenn Sie wollen. Das hat sich bewährt. Das ist etwas, was häufig vorkommt, daß Familien sagen: Wir wollen uns das gern noch einmal anschauen. Wenn Sie am Ende so einer Sitzung, dieser Sitzung, dieses Vorgesprächs, das Gefühl haben sollten, da ist irgend etwas gesagt worden, was Sie auf gar keinen Fall auf Band haben wollen, dann sagen Sie es. Dann löschen wir das gleich.

      Hier stellt sich natürlich die Frage nach der Vertraulichkeit und Intimität psychotherapeutischer Sitzungen. In der Familientherapie entsteht von Beginn an eine andere Situation als in der Einzeltherapie, da die Zweierbeziehung zwischen Patient und Therapeut die Ausnahme darstellt. Wer sich in der Sitzung äußert, weiß, daß mehrere Personen zuhören. Er wird daher von Anbeginn vorsichtiger und zurückhaltender sein, manches nicht sagen, was er in der Intimität und Vertraulichkeit einer Zwei-Personen-Situation offenbart hätte. Das hat weitreichende Folgen für die therapeutische Beziehung: Jeder Teilnehmer an solch einer Sitzung behält die Verantwortung für die Bewahrung seiner Geheimnisse. Der Therapeut wird nicht in gleichem Maße wie in der Einzeltherapie zum Vertrauten einer einzigen Person. Seine Verantwortung gilt allen, den beiden Partnern, der ganzen Familie. Sie ist daher sowohl umfassender als auch begrenzter als in der Einzeltherapie.

      Einwegscheibe und Videokamera haben aber noch eine andere Wirkung: Es wird stillschweigend und ohne Worte eine Außenperspektive eingeführt. Wer sich beobachtet weiß, verhält sich anders, als wenn er sich unbeobachtet fühlt. Das mag einer der Gründe sein, warum Therapeuten sich häufig scheuen, sich filmen zu lassen. Ihre Arbeit würde dann auf einmal überprüfbar, mehr oder auch weniger wohlmeinende Kollegen oder gar die Öffentlichkeit könnten die Videobänder anschauen und ihr Urteil über die Qualität der Therapeut-Patienten-Beziehung oder die Arbeitsweise des Therapeuten abgeben. Traditionellerweise ist die Einstellung von Psychotherapeuten zur Kontrolle ihrer Arbeit seltsam gespalten: Auf der einen Seite wird die Wichtigkeit regelmäßiger Supervision und einer ausführlichen Reflexion der Therapeut-Patienten-Beziehung betont und daher zu einem wichtigen Bestandteil der Ausbildung gemacht, auf der anderen Seite hat aber jeder Therapeut das Privileg, vollkommen unbeobachtet zu arbeiten. Was er macht, findet hinter gepolsterten Türen statt, so daß kein Kollege zufällig hören kann, was tatsächlich in der Sitzung geschieht. Die Kontrolle seiner Arbeit beschränkt sich darauf, daß er selbst erzählt, was er meint, was wer wie gesagt hat, was passiert ist, was wichtig war usw. Der Patient ist daher immer irgendwie dem Therapeuten ausgeliefert: Ein anerkannter Experte steht jemandem gegenüber, der psychische Probleme hat. Das ist ein wenig so, als wenn sich Geschwindigkeitskontrollen darauf beschränkten, Autofahrer zu befragen, wie schnell sie denn gefahren seien. Um solch einer Situation zu entgehen, kommen gelegentlich Patienten gerade deswegen zu uns, weil sie wissen, daß jemand zuschaut bzw. Video-aufnahmen gemacht werden. Die Frage des Schutzes der Intimität und Vertraulichkeit ist also doppelbödig, und die Schweigepflicht schützt erfahrungsgemäß nicht nur die Patienten, sondern auch die Therapeuten.

      Das Mit-nach-Hause-Geben der Videobänder hat aber noch eine andere Wirkung. Werden die Bänder von Familien später noch einmal betrachtet, so entfalten sie eine über den Augenblick hinausgehende, längerfristige Wirkung. Oft werden dadurch zu Hause weitere Diskussionen und Auseinandersetzungen ausgelöst, die keinerlei Kontrolle durch die Therapeuten unterworfen sind. Wer dies nicht möchte, sollte keine Videobänder nach Hause mitgeben. In jedem Fall ist für die Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung wichtig, von Beginn an ganz deutlich zu machen, daß die Patienten das Recht haben, die Aufnahme zu verweigern oder sie löschen zu lassen.

      GUNTHARD WEBEREs kann sein, daß die Kollegen hinter dem Spiegel mal vorkommen und mal an die Tür klopfen – wenn wir zum Beispiel parteilich werden und einen besonders berücksichtigen und den anderen vernachlässigen –, daß die dann kommen und uns zur Ordnung rufen. Es kann sein, daß wir mal eine Pause machen. Auf alle Fälle machen wir nach so einem Gespräch von etwa einer bis anderthalb Stunden auf alle Fälle eine Pause, wo wir uns noch einmal zusammensetzen, sehen, was ist im Gespräch gelaufen, was können wir Ihnen raten angesichts der Situation, in der Sie im Augenblick stehen.

      Die hinter der Scheibe sitzenden Kollegen haben zwangsläufig eine andere Perspektive auf den Sitzungsverlauf, die Therapeut-Patienten-Beziehung oder die geäußerten Inhalte als die Therapeuten in der Sitzung. Wann immer sie denken, die Einführung dieser Außenperspektive könnte für den Verlauf der Therapie von Nutzen sein, so unterbrechen sie die Sitzung, geben Kommentare oder diskutieren die Situation mit den Kollegen vor der Scheibe. Vor Abschluß der Sitzung empfiehlt es sich immer, eine Pause zu machen – auch wenn man allein arbeitet –, da häufig erst ein gewisser Abstand vom Handlungsdruck während der Sitzung ermöglicht, in Ruhe das Gehörte und Gesehene zu überdenken. Ohne Pause fällt den meisten Therapeuten erst auf dem Weg nach Hause ein, was sie noch hätten fragen oder sagen sollen. Mit Pause kann dies noch unmittelbar in der Sitzung getan werden.

      FRITZ SIMONWir verstehen das Ganze erst einmal als ein klärendes Vorgespräch, um herauszufinden, ob Sie hier überhaupt an der richtigen Adresse sind, ob wir Ihnen überhaupt behilflich sein können, in der einen

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