Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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ziemlich genau, was sie meint, wie sie es sieht, ja, meist sogar, wie es ihr geht. Wenn er die Perspektive wechselt und sagt, was seine Frau meint, kann sie überprüfen, wie sie von außen gesehen wird, und eventuell Korrekturen vornehmen. Allerdings werden solche Fragen nicht immer gleich beantwortet, da sie den gewohnten Mustern zuwiderlaufen. Dann bedarf es beharrlichen Nachfragens.

      HERR SCHNEIDERNa, der Unterschied ist: Wenn es manisch-depressiv ist, kann man es behandeln. Das haben uns die Ärzte versichert.

      FRITZ SIMONIst das jetzt Ihre Meinung oder die Ihrer Frau?

      HERR SCHNEIDERDas ist auch die Meinung der Ärzte in der Psychiatrie …

      FRITZ SIMONWas denken Sie, was für Ihre Frau den Unterschied macht?

      HERR SCHNEIDERJa, meine Frau hat vielleicht zu viele Bücher auch gelesen, und fällt dann (zu seiner Frau gewandt) – ich sag dir ja nichts Neues – von einem Extrem ins andere. Nachdem sie ein halbes Jahr überhaupt nie gehört hat oder wissen wollte, wie ich die Sache sehe, ist sie jetzt teilweise ins andere Extrem gefallen und sagt dann: „Ich bin halt verrückt oder irre.“ Was sonst kein Mensch verwendet. Weil sie der Meinung ist, das wäre eine Geisteskrankheit, statt zu sagen, das ist eine psychische Krankheit, die man behandeln kann.

      FRITZ SIMONAlso manisch-depressiv hieße für Ihre Frau, sie ist geisteskrank?

      HERR SCHNEIDERJa, sie sieht es jetzt halt so …

      FRAU SCHNEIDERJa, psychische Krankheit oder Geisteskrankheit ist im Grunde nur eine andere Übersetzung!

      HERR SCHNEIDERIst eine Krankheit und eine Krankheit, die man behandeln kann.

      FRITZ SIMONUnd im anderen Fall? Was hieße es im anderen Fall für Ihre Frau?

      herr schneiderJa, im anderen Fall hieße es, daß ich an all den Sachen offenbar Schuld war (zuckt die Achseln, schaut seine Frau an).

      frau schneiderNein … also für mich hieße das im anderen Fall, daß du versucht hast … oder daß du meine Versuche – die durchaus aggressiv waren –, in unserer Ehe etwas zu verändern, unter dem Gesichtspunkt manisch-depressiv abgeschoben hast. So würde ich das sehen!

      FRITZ SIMONUnd was wäre für Ihren Mann der Unterschied, aus Ihrer Sicht? Wenn Ihr Verhalten manisch-depressiv war, wenn wir das so etikettieren oder diagnostizieren müßten, könnten, sollten …?

      FRAU SCHNEIDERNa ja, daß ich dann behandelt werde und daß diese Phasen der Aggression nicht wiederkommen, und dann, ja, ein Eheleben wieder möglich ist.

      FRITZ SIMONUnd im anderen Falle, was hieße es im anderen Falle? Wenn es nichts Krankhaftes in diesem Sinne ist?

      FRAU SCHNEIDERJa, daß das dann eben unerträglich wäre für ihn.

      FRITZ SIMONUnd das hätte welche Konsequenz, langfristig?

      FRAU SCHNEIDERDaß man überlegen müßte, ob man überhaupt zusammenbleibt!

      FRITZ SIMONDenkt er eher, daß er derjenige wär, der sich trennt, oder daß Sie dann eher diejenige wären, die sich trennt?

      FRAU SCHNEIDEREr denkt dann, daß wir uns trennen und er die Kinder kriegt.

      FRITZ SIMONHm, hm. Und denkt er denn, daß Sie das so mitmachen würden …?

      FRAU SCHNEIDERIch meine, er hofft, daß alles wieder voll behebbar ist und wir wieder ein friedliches Leben führen.

      FRITZ SIMONAlso gibt er Ihrer Ehe bessere Chancen, wenn es manisch-depressiv ist.

      FRAU SCHNEIDERJa!

      FRITZ SIMON(an den Mann gewandt) Wie sieht’s Ihre Frau? Wann sieht sie bessere Chancen für Ihre Ehe? Wenn es manisch-depressiv ist oder wenn es nicht manisch-depressiv ist?

      HERR SCHNEIDERIch glaub, das wechselt im Moment alles noch etwas sehr, nicht?

      FRAU SCHNEIDERDas kann sein, ja!

      HERR SCHNEIDERWir wollen ja auch nicht vergessen, sie steckt noch in der Depression drin. Und ich weiß nicht, ob wir das jetzt alles auf einmal aufarbeiten können. Ich kann klar sehen. Ich seh sehr gute Chancen. Wenn es wirklich krankhaft ist, kann es behandelt werden.

      FRITZ SIMONUnd Ihre Frau, denken Sie, sie schwankt eher, ob sie mehr Chancen sieht, wenn es krankhaft ist?

      HERR SCHNEIDERDa würde ich im Moment sagen, sie schwankt sehr, ob sie es überhaupt akzeptiert oder nicht.

      In diesem Abschnitt zeigt sich, daß die Diagnostizierung einer Krankheit nicht nur vergangenheitsbezogen im Blick auf die Schuld an den gemeinsam durchgestandenen Problemen weitreichende Bedeutung hat, sondern auch zukunftsbezogen. Allerdings sind die beiden in einer Sackgasse: Herr Schneider kann sich nur eine Zukunft für die Ehe vorstellen, wenn seine Frau krank ist. Nur dann hat er die Hoffnung auf eine erfolgreiche Behandlung, das heißt, daß sie ihr Verhalten ändert und das Zusammenleben wieder so wird wie früher. Frau Schneider hingegen will gerade dieses Zusammenleben ändern, das heißt, sie möchte, daß ihr Mann sein Verhalten ändert. Wenn er anerkennen würde, daß ihr Verhalten das Ergebnis von Eheproblemen ist, dann bestünde wieder Hoffnung für die Ehe. Beide miteinander konkurrierenden Diagnosen sind also mit unterschiedlichen Änderungsforderungen an ihn bzw. sie verbunden. Falls aber keiner sich ändert, hat die Diagnose Auswirkungen auf das Schicksal der Kinder. Es könnte „Gewinner“ und „Verlierer“ geben.

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      In dieser Sequenz wird eine der grundlegenden Fragestellungen deutlich, der sich jeder systemische Therapeut ausgesetzt sieht. Wer mit mehr als nur einem Patienten oder Klienten arbeitet, läuft immer Gefahr, zwischen die Fronten von Konfliktparteien zu geraten. Im Gegensatz zur Einzeltherapie, wo er sich als parteilich für seinen Klienten sehen kann, ist der Therapeut nun mit mehreren Personen konfrontiert, die nicht nur unterschiedliche Weltbilder und Werte haben, sondern auch nur zu oft widersprüchliche Ziele, Wünsche und, eng damit verbunden, unterschiedliche Aufträge an ihn.

      In der Geschichte der Familientherapie finden sich unterschiedliche Ansätze, mit diesem Problem technisch umzugehen. Als Allparteilichkeit wird eine Haltung des Therapeuten bezeichnet, bei der er sich mit jedem Familienmitglied verbündet. Wo es um Konflikte geht, ist dies allerdings ein hoher Anspruch, zumal der Therapeut sich dabei sehr widersprüchlichen Forderungen ausgesetzt sehen kann. Daher kann Allparteilichkeit sicher nicht in jedem Moment der Sitzung realisiert werden, sondern lediglich im Laufe der Zeit, wenn nacheinander jeder der Beteiligten sich und sein Anliegen vom Therapeuten vertreten sehen kann.

      Weit geringere Forderungen stellt das Konzept der Neutralität an den Therapeuten. Hier wird nicht verlangt, daß sich jeder der Teilnehmer vom Therapeuten vertreten sieht, es reicht, wenn keiner den Eindruck hat, der Therapeut sei parteilich für einen anderen.

      Beiden Konzepten, dem der Allparteilichkeit und dem der Neutralität, ist gemeinsam, daß sie sich auf Personen bzw. Koalitionen, Parteien oder Subsysteme beziehen, die aus Personen gebildet werden. In unserer Arbeit hat sich ein anderes, weitergehendes Modell der Neutralität als nützlich erwiesen. Es umfaßt nicht nur die Positionen der Allparteilichkeit und Neutralität im dargestellten personenbezogenen Sinn, sondern es bezieht sich auch auf miteinander in Konflikt stehende Inhalte der Kommunikation. Der Therapeut nimmt auch gegenüber Sichtweisen, Bewertungen, Erklärungen (z. B. der Frage, ob Veränderung gut oder schlecht ist usw.) eine neutrale

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