Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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mit dem Ehepaar Schneider läßt sich dies verdeutlichen. Beide haben offensichtlich einen persönlichen Konflikt, so daß sich die Frage ergibt, auf wessen Seite der Therapeut steht. Es geht aber nicht nur um die persönliche Beziehung zu Herrn oder Frau Schneider, sondern auch um die Sachfrage, ob das Verhalten von Frau Schneider Symptom einer Erkrankung oder einer Eheschwierigkeit ist. Wenn er keinen der beiden Klienten verlieren will, scheint der Therapeut im Dilemma. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß er in einem Tetralemma steckt, das heißt, sein Handlungsspielraum ist nicht auf zwei Optionen begrenzt, sondern er hat vier unterscheidbare Verhaltensmöglichkeiten.

       Abb. 1: Tetralemma

      Wie die Familienmitglieder steht er vor der Frage, sich auf die Seite der einen Partei (Pro) zu stellen, auf die der anderen Partei (Kontra), eine „neutrale“ Weder-Pro-noch-Kontra-Position einzunehmen oder eine „allparteiliche“ Sowohl-Pro-als-auch-Kontra-Position zu wählen. In unserem Fall hieße Pro beispielsweise, die Partei des Ehemanns zu ergreifen oder, weniger personenbezogen, die Sichtweise zu vertreten, Frau Schneiders Verhalten sei krankheitsbedingt. Kontra hieße dagegen, ihr Verhalten als Ausdruck ehelicher Not zu deuten und/oder ihre Partei zu ergreifen (s. Abb. 1).

      Es gibt aber noch die beiden, keiner Partei zuzuordnenden Positionen des Weder-noch (neutral) und des Sowohl-als-auch (allparteilich). Die Sowohl-als-auch-Position ist allerdings damit verbunden, daß sich der Therapeut sehr ambivalent, womöglich auch widersprüchlich oder paradox zeigt. Wenn – wie im vorliegenden Fall – zwei Therapeuten als Team arbeiten, ergibt sich die Möglichkeit des Splitting. Einer vertritt die Auffassung, es handle sich um eine organische Erkrankung, der andere vertritt die Ansicht, alles, was passiert sei, lasse sich durch die Eheprobleme erklären. Wenn beide sich – in Anwesenheit der Klienten – darauf einigen können, daß die Frage, wer recht hat, nicht zu entscheiden ist, eröffnet sich die Chance, einen dritten, pragmatischen Weg zu suchen, jenseits der Parteilinien oder Weltanschauungen des Entweder-oder.

      3. Das Ziel der Therapie (Familie Bastian, Teil 1)

      Die Situation eines Familientherapeuten ist in mancher Hinsicht mit der eines Taxifahrers zu vergleichen, zu dem mehrere Personen in den Wagen steigen, die unterschiedliche Fahrtziele angeben. Der eine möchte zum Bahnhof, der andere zum Flughafen, ein dritter sagt, ihm sei es egal, wohin die Fahrt gehe, er wolle nur weg von hier, und ein vierter will eigentlich da bleiben, wo er ist, wird aber von den anderen in den Wagen gezerrt. Aber selbst wenn alle sich einig sind, ist meist nicht klar, wohin sie wollen. Schon zur Orientierung des Therapeuten ist es daher wichtig, sich zu Beginn einer jeden Therapie geraume Zeit damit zu beschäftigen, wohin die Reise denn gehen soll. Solch eine „Zielklärung“ ist – konstruktivistisch betrachtet – eigentlich eine Zielerfindung, da die Beteiligten sich häufig erst Gedanken über das Ziel einer Therapie machen, wenn sie danach gefragt werden. Der sich so entwickelnde Dialog ist mühsam und scheint sich auf den ersten Blick mit nebensächlichen Themen zu beschäftigen, bedenkt man, welch dramatische und manchmal tragische Begebenheiten berichtet werden. Doch wenn das Ziel der Therapie nicht thematisiert wird und der Therapeut sich sofort in die angebotenen Inhalte „verliebt“, kann dies dazu führen, daß er sich – vorauseilend verstehend – seinen Auftrag selbst gibt. Und der muß nicht immer der sein, der ihm von seinen Klienten gegeben würde, wenn er genau nachfragen würde.

      Die gemeinsame Beleuchtung der Frage, was das Ziel der Therapie sein könnte, ist im allgemeinen ein wichtiger Aspekt des therapeutischen Prozesses, da die Beziehung zwischen Therapeut und Klient bzw. Klientensystem eben doch einige Unterschiede zu der zwischen Taxifahrer und Passagier aufweist: Die Passagiere des Therapeuten müssen selbst fahren. Damit sie das tun zu können, sollten sie wissen, woran sie merken würden, daß sie dort sind, wo sie hinwollen (siehe Abb. 2).

      Dieser Teil des therapeutischen Prozesses ist wenig spektakulär und erscheint ziemlich kleinkariert. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß die meisten Therapeuten sich zu schnell mit irgendwelchen Abstraktionen abspeisen lassen oder zu schnell glauben, sie wüßten, was ihre Klienten meinen. Entscheidend ist, daß die Klienten konkrete und von mehreren Personen beobachtbare Merkmale benennen, an denen man die „Lösung“ erkennen kann. Da die Gefühle und Gedanken menschlicher Individuen von außen nicht direkt beobachtbar sind, sollte immer nach Verhaltensweisen gefragt werden. Da individuelles Verhalten fast immer als Element von Interaktionsmustern betrachtet werden kann, kommen so auch die Mitspieler und Beziehungspartner ins Blickfeld, die für den Therapieerfolg von Bedeutung sind.

       Abb. 2: Veränderungsrichtung bei positiv definiertem Therapieziel

      Solch eine Ziel- oder Auftragsklärung sollte nicht mit einem juristischen Kontrakt verwechselt werden, da sich im Laufe der Therapie die Ziele verändern können. Sie stellt aber einen Maßstab zur Verfügung, an dem gemeinsam überprüft werden kann, ob überhaupt Bewegung in der Therapie ist. Die Fokussierung auf ein hypothetisches Ziel, das obendrein in der Zukunft liegt, hilft auch deutlich zu machen, daß therapeutische Beziehungen aufgabenorientiert und zeitlich begrenzt sind.

      Zur Illustration solch eines Zielklärungsprozesses hier einige Ausschnitte aus dem Erstinterview mit Familie Bastian.

      Zum Gespräch erscheinen drei Familienmitglieder: Frau Bastian, 64 Jahre alt, ihr Sohn Ernst, 33 Jahre alt, und ihre Tochter Helga, 42 Jahre, das älteste Kind der Familie. Der Vater und zwei weitere Brüder sind nicht zum Gespräch erschienen. Sie wissen zwar davon, aber der Mutter erschien es besser, erst einmal nur mit dem Sohn und der Tochter zu kommen. Die drei sind von weit her angereist: Mutter und Sohn leben zusammen mit dem Vater im elterlichen Haus in Norddeutschland. Die zwei nicht anwesenden Brüder wohnen in derselben kleinen Stadt, nicht weit vom Elternhaus entfernt. Die Schwester, das älteste Kind, lebt mit ihrer eigenen Familie (sie hat zwei Kinder) in der Schweiz.

      Überweiserin ist die Schwester, die einen psychosozialen Beruf ausübt und vor einiger Zeit Teilnehmerin an einem Seminar über Psychosen-Therapie bei FS war. Sie hat telefonisch einen Termin vereinbart, weil sie sich solche Sorgen um ihren Bruder macht. Er habe vor einigen Jahren eine Lebertransplantation erhalten; da er immer wieder Alkohol trinke, befürchte sie das Schlimmste; sie sei mit ihrem Latein am Ende; wenn er nicht aufhöre zu trinken, sei sein Leben ernsthaft bedroht – wie ihr die behandelnden Ärzte mitgeteilt hätten. Ernst, der identifizierte Patient, ist das dritte von vier Kindern.

      Der hier wiedergegebene Ausschnitt des Interviews beginnt nach der Klärung des Überweisungskontextes (Was hat die Schwester über den Therapeuten erzählt? Welche „Versprechungen“ hat sie gemacht, die der Therapeut jetzt halten soll? Welche Vorerfahrungen gibt es mit Therapeuten? Antwort: „Schlechte, die zwei bislang aufgesuchten Psychologen waren immer nur an der Frage der Honorierung interessiert“ usw.) mit Fragen zum Ziel dieses Gesprächs. Bis dahin war bereits deutlich geworden, daß die Mutter von allen Anwesenden die größten Hoffnungen an das Gespräch knüpft.

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      FRITZ SIMON(zur Schwester) Ja, ich fange einmal bei Ihnen an. Das haben Sie nun davon, daß Sie da so aktiv waren! (Mutter lacht) Also, wenn das hier optimal liefe, woran würde Ihre Mutter es merken? Also, was wäre das Wunschziel Ihrer Mutter für das Gespräch hier und heute? Was denken Sie?

       Wer Informationen gewinnen will, muß nach Unterschieden fragen. Nur wer eine Vorstellung davon hat, was

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