Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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der Ausbildung unheimlich schwer. Die öffentlichen Verwaltungen haben vor eineinhalb Jahren noch Schwerbehinderte eingestellt, damit sie die Quote erreichen, und die privaten Unternehmen zahlen lieber diese Strafe, nein, diese Abgabe, na ja!

      FRITZ SIMON(zur Schwester) Das klingt eher so, als wäre er nicht ganz zufrieden mit seinem beruflichen Werdegang. Zumindest höre ich das so raus. Ich weiß nicht, vielleicht höre ich es auch hinein. Was meinen Sie, wenn er jetzt den idealen Chef hätte, wäre er dann im Moment mit seinem beruflichen Werdegang zufrieden?

      SCHWESTER(an den Bruder gerichtet) Na ja, vor dieser Leberzirrhosengeschichte hast du sicher andere Träume gehabt als dieses Finanzdienstdingens. Ich weiß gar nicht genau, wie das heißt. Deine Träume waren andere!

      ERNSTSicher, ich hab Auslandspraktikum gemacht. Ich wollte eigentlich ins Ausland. Ich war voll mobil, was damals unheimlich gefragt war! Und dann ist halt die Lebergeschichte gekommen …

      FRITZ SIMONWie kam die? Aus heiterem Himmel oder wie?

      ERNSTNa ja, nicht ganz. So Alkohol und solche Dinge … von einer Reise hab ich mir irgend etwas mitgebracht, was erst nicht erkannt worden ist. Und dann bin ich viel zu spät zum Arzt gegangen, und dann hab ich mich auch wieder nicht vernünftig verhalten.

      An dieser Stelle wird deutlich, wie schnell man sich durch die berichteten – ja zweifellos wichtigen – Geschehnisse in der Vergangenheit von der Klärung des Ziels abbringen läßt. Es ist aber nicht weiter problematisch, ein paar Schleifen zu drehen, Hauptsache man kommt wieder zu der ursprünglichen Frage zurück. Da mag es von Nutzen sein, eine Art Checkliste im Hinterkopf zu haben, was man alles während einer ersten Sitzung erfragen möchte (sie findet sich am Ende des Buches).

      FRITZ SIMONVielleicht kommen wir darauf noch einmal zurück, aber ich würde gern erst einmal bei dieser Zielvorstellung bleiben, wo es eigentlich hingehen könnte oder sollte, weil das ja auch für mich Konsequenzen hat. Ich muß ja einschätzen: Kann ich überhaupt von Nutzen beim Erreichen solcher Ziele sein. Also: Sie würden dann im Alltag den Chef nicht so wichtig nehmen, auf Deutsch gesagt.

      Der Patient mag ja ohne Therapieziel auskommen, der Therapeut braucht es. Andernfalls kann er nicht überprüfen, ob er sinnvoll arbeitet oder nicht.

      ERNSTUnd dies nicht nur einmal!

      FRITZ SIMONHätte das Auswirkungen auf das Familienleben zu Hause?

      ERNST(zur Mutter) Ich glaube, momentan ist es nicht so schlimm, oder?

      FRITZ SIMONNa ja, das ist ja so schön bei diesen Gedankenexperimenten: Man kann an allen möglichen Schrauben drehen, irgend etwas verändern und die Maximalvorstellung angucken. Wenn das Wünschen helfen würde – was es manchmal tut, nebenbei gesagt! –, (zur Mutter) was wär’s, aus Ihrer Sicht? Wenn eine gute Fee käme und alle Probleme beseitigen würde, wie sähe dann Ihr Leben aus, das Leben Ihres Sohnes, das Familienleben?

      Gedankenexperimente sind eines der nützlichsten Instrumente menschlichen Denkens. Sie sind ökonomisch sinnvoll (d. h., sie kosten wenig), laden ein zu kreativem Denken, geben der Phantasie eine Chance und aktivieren den Möglichkeitssinn.

      MUTTERAls Mutter muß ich sagen, daß ich ihn eigentlich am besten von allen kenne. Er war ein sehr strebsamer junger Mann, der mit sehr viel Optimismus und Strebsamkeit im Studium war, bis diese Sache mit der Zirrhose kam.

      Eine gute Antwort, wenn auch wiederum nicht auf die Frage des Therapeuten. Also: eine neue Schleife. Hier zeigt sich, daß sich beim Versuch, die Merkmale einer zukünftigen Lösung zu erfahren, viel über die Vergangenheit und Gegenwart erfahren läßt. Das ist nicht so erstaunlich, da die Lösung meist am besten durch den Unterschied zu dem als problematisch erlebten Zustand definiert werden kann.

      FRITZ SIMONWann war das?

      MUTTERDas war ja dann (wendet sich zum Sohn) im wievielten Semester?

      ERNSTIm achten!

      MUTTERIm achten Semester.

      FRITZ SIMON(zum Sohn) Wie alt waren Sie da?

      ERNSTDa war ich 26 Jahre alt.

      MUTTERDann kam die Transplantation und die letzten zwei Semester nach der Transplantation, und eigentlich war es dann ein Rückschritt. Er hat den Mut verloren, er hat den Lebenswillen verloren, und er hat gedacht, es geht auch so. Dann war er fertig mit dem Studium, und dann kamen die Bewerbungsschreiben. Die Antworten waren alle negativ. Er war immerhin organtransplantiert, und in der öffentlichen Wirtschaft gab’s da keine Möglichkeit. Ja, zurück zur guten Fee. Ich würde ihn mir so wünschen, wie er gewesen ist: als erfolgreichen, netten, strebsamen Menschen. Optimistischer vor allen Dingen. Das ist das Ausschlaggebende; er müßte mehr Selbstvertrauen kriegen, mehr mit Optimismus in die Zukunft schauen; daß er wirklich die passiven Dinge auf der Seite liegen läßt und die positiven Seiten mehr schätzen würde.

      Die Mutter hat offensichtlich in der Familie die Rolle derjenigen übernommen, die stets an allem die positive Seite sieht. Das dürfte für sie in ihrem Leben eine nützliche Überlebensstrategie gewesen sein. Bezogen auf die anderen Familienmitglieder kann dies eine Vorbildfunktion haben, es kann aber auch zu einer Rollenaufteilung kommen, bei der ein oder mehrere andere Familienmitglieder auf die andere Seite der Ambivalenz gehen (fast alles hat schließlich – mindestens – zwei Seiten) und eine pessimistische Sichtweise vertreten. Die Balance zwischen Optimismus und Pessimismus ist dann innerhalb der Familie durch unterschiedliche Protagonisten gesichert.

      FRITZ SIMONIch würde mir das gern genauer vorstellen können, wie das dann weiterginge. Also nehmen wir einmal an, heute Nacht kommt die gute Fee und gibt ihm eine große Injektion Optimismus, Strebsamkeit, Erfolg! Wie würde es dann weitergehen?

      MUTTEREs ist so … ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist, wenn ich jetzt dieses Thema anspreche … Er leidet unter Prüfungsangst. Und diese Prüfungsangst oder Streßsituationen, die meint er dann mit einem Schluck aus der Flasche bewältigen zu müssen. Ich würde mir dann als gute Fee wünschen, daß er überhaupt keine Lust mehr, kein Verlangen mehr auf so etwas hätte. Daß er sagt: „Alkohol brauche ich nicht! Es geht auch so! Ich bin, wer ich bin. Ich kann das! Ich komme ohne aus!“ Und es würde seiner Gesundheit gut tun. Es würde ihn nicht immer wieder zurückwerfen. Mit der transplantierten Leber, ein Schluck Alkohol oder zwei oder drei verschlechtert die Laborwerte. Und dann ist der positive Weg wieder unterbrochen. Es geht ab in die Klinik. Es ist immer ein gewisser Rückschritt.

      FRITZ SIMONDas klingt so, als wenn Sie da schon Erfahrungen haben mit „Einen Schluck nehmen“ … Kann man das so sagen?

      MUTTER(zum Sohn) Ja, kann ich doch so sagen?

       (Sohn zuckt die Achseln)

      FRITZ SIMONEs ist Ihrer Mutter jetzt etwas unangenehm. Soll sie darüber reden oder nicht?

      In Familiensitzungen werden häufig Themen angesprochen, die im Alltag aus gegenseitiger Rücksichtnahme oder zur Vermeidung von Konflikten eher tabuisiert sind. Als Therapeut läuft man immer Gefahr, solche Tabus entweder zu stabilisieren, indem man sich an sie hält und manche Themen ausklammert, oder aber Geheimnisse zu „knacken“, was immer einen Hauch von Gewalttätigkeit gegenüber der Familie hat. Beide scheinen keine guten therapeutischen Strategien zu sein, da sie im allgemeinen die familiären Muster eher bestätigen. Wer Geheimnisse knackt, wird als Eindringling erlebt und früher oder später ausgegrenzt, wer in Tabus einsteigt, bestätigt die familiären Kommunikationsregeln. Daher sollte die Familie stets die Verantwortung dafür

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