Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon страница 15

Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

Скачать книгу

      ERNSTNee!

      FRITZ SIMONNein? Was denn?

      ERNSTIch mein, das vielleicht auch … daß ich da übertrieben hab mit der Fürsorge. Aber ich glaube eher, das war der Kreis, in den sie da reingekommen ist. Sie war mit lauter Medizinern und Juristen zusammen, und das ist ja sowieso ein eigenes Volk. Und da wollte sie dann öfters zu irgendeiner Feier. Und dann bin ich zweimal mit dabei gewesen und auch gefragt worden: „Ja, was machst denn du? Was studierst du denn? – Ach so, nur BWL!“ Absolut die Nase hoch! Und da habe ich gesagt: „Da gehe ich nicht mehr mit! Weil mir das zu blöde ist.“ Du wirst sofort abgekapselt, wenn du nicht Jura oder Medizin studierst. Sie wollte da immer hin, weil das eben Leute waren aus dieser Studentenverbindung. Dann habe ich gesagt: „Da kannst du alleine hin, dann gehe ich halt meiner Wege am Samstagabend!“ Na ja und …

      FRITZ SIMONUnd dann hat sie etwas „Besseres“ gefunden – in Anführungsstrichen.

      MUTTERAnscheinend …

      ERNSTOffensichtlich!

      FRITZ SIMONIch kapier immer noch nicht – und es mag ja sein, daß ich da zu blöd bin –, wie da nach der langen Zeit jetzt noch die Zusammenhänge sind. Wie ist das jetzt?

       Sich zu seinem Nichtverstehen zu bekennen und als Konsequenz daraus weitere Fragen zu stellen ist eine der nützlicheren Interviewstrategien. Dem steht meist entgegen, daß Therapeuten meinen, sie würden ihre Qualitäten zeigen, wenn sie möglichst schnell – und manchmal gar ohne Worte – verstehen. Doch wenn sie ehrlich sind, tun sie das ja gar nicht, sondern sie tun nur so, als ob …

      ERNSTDas ist ganz einfach! Wir haben uns, zum Beispiel, das eine Zimmer zusammen eingerichtet. Jedes Mal, wenn ich da heraufkomme, kommen die Erinnerungen. Also ich gehe sehr selten da rein.

      FRITZ SIMONDas gibt es noch, das Zimmer?

      ERNSTJa, ich meine, das sind Sachen für fünf-, sechs-, sieben-, achttausend Mark, die schmeiß ich nicht hinaus deswegen!

       Was ist mehr wert, fragt sich der außenstehende Beobachter natürlich gleich, Möbel für achttausend Mark oder die Befreiung von unangenehmen Erinnerungen? Aber vielleicht sind die Möbel ja nur der Vorwand, sich immer wieder schmerzlich erinnern zu dürfen …

      FRITZ SIMONIch wollte nur wissen: Haben Sie etwas verändert, oder ist es immer noch so wie damals?

      ERNSTMan kann nicht so viel verändern. Es ist ein relativ kleines Zimmer.

      FRITZ SIMONDas ist wo? In der Wohnung (blickt zur Mutter) bei Ihnen?

       (Mutter nickt)

      ERNSTJa!

      FRITZ SIMONDas ist so etwas wie eine Hauskapelle?

      Zugegeben, wieder eine etwas despektierliche Bemerkung angesichts der Gefühle, die mit diesem Ort verbunden sind. Aber Gefühle sind Bewertungen. Wer sie zu sehr respektiert und nicht irgendwie in Frage stellt, läuft Gefahr, diese Bewertungen zu bestätigen.

      ERNSTKapelle würde ich das nicht nennen! Eine Kapelle, wo ich die Stereoanlage stehen habe, ist das …

      Der Patient nimmt das Spiel mit der Despektierlichkeit an, indem er den Begriff Kapelle „mißversteht“ … Dadurch wird der Ernst (= Gegensatz zu „Spaß“ und = Patient) etwas aus der Situation herausgenommen. Wer humorvoll auf eine Situation blickt, ist emotional immer etwas distanzierter. Auf diese Weise wird es möglich, auch sehr belastende Themen relativ entspannt zu betrachten.

      FRITZ SIMONSo meinte ich Kapelle nicht, wo Sie Ihr Schlagzeug stehen haben; … sondern daß das der Reliquienschrein für Ihre frühere, verlorengegangene Beziehung ist.

      ERNSTJa, sicher, das ist so. Jetzt beim Aufräumen bin ich an verschiedene Sachen gekommen, die mich da halt wieder total dran erinnert haben.

      FRITZ SIMONUnd wie hilft Ihnen da der Alkohol? Das versteh ich noch nicht!

      Auch hier zielt das Nichtverstehen des Therapeuten erneut darauf, den Patienten mit in die Außenperspektive gegenüber sich selbst bzw. seinen psychischen Mechanismen zu nehmen. Es unterhalten sich zwei Experten, wobei nur einer von beiden – der Patient – die Prozesse, über die gesprochen wird, direkt beobachten kann. Der andere – der Therapeut – ist auf die Beschreibung des Patienten, d. h. auf Hörensagen, angewiesen. Ein Augen-, Ohren- und Bauchzeuge, der Experte für sein subjektives Erleben, konferiert mit einem Experten für allgemein menschliches Erleben.

      ERNSTDann vergesse ich das. Dann wird es leichter. Das ist ja die Wirkung des Alkohols, daß er enthemmt. Dann kommt das Gefühl: die blöde Kuh, die blöde!

      FRITZ SIMONAh, das ist eher ein aggressives Gefühl ihr gegenüber?

      ERNSTIhr gegenüber, ja.

      FRITZ SIMONAh ja.

      Die Äußerung aggressiver Gefühle gehört nicht zu den im Rahmen der Spielregeln der Familie Bastian erlaubten oder gar gebotenen Verhaltensweisen. Hier scheint die Funktion des Alkohols darin zu bestehen, etwas ansonsten Verbotenes zu ermöglichen.

      ERNSTNormalerweise nicht …

      FRITZ SIMONNormalerweise, d. h. ohne Alkohol, haben Sie keine aggressiven Gefühle ihr gegenüber?

      ERNSTOhne Alkohol denke ich gar nicht dran. Also nur, wenn ich bestimmte Dinge sehe.

      FRITZ SIMONNoch mal anders gefragt. Nehmen wir einmal an, Sie haben überhaupt keine Lust, etwas zu trinken, und Sie wollten die Chance erhöhen, daß Sie Lust dazu bekommen, dann müßten Sie in dieses Zimmer gehen und an Ihre ehemalige Freundin denken?

      ERNSTNee, das ist Quatsch. Das ist die falsche Reihenfolge. Absolut falsche Reihenfolge!

      Da hat er natürlich recht. In unserem Alltagsdenken, in dem wir zwischen Ursachen und Wirkungen unterscheiden, hat die Ursache zeitlich vor der Wirkung lokalisiert zu sein. Eine der Möglichkeiten, Erklärungen zu dekonstruieren und die Option für die Konstruktion alternativer Erklärungen zu eröffnen, liegt daher in der Veränderung der zeitlichen Reihenfolge. In der vom Therapeuten gestellten Frage ist aber noch eine andere Neukonstruktion enthalten. Es wird – rein hypothetisch – das Erreichen eines negativ bewerteten Verhaltens („Trinken“) als Resultat einer Entscheidung behandelt. Wenn der Patient die Absicht hätte … dann müßte er … Die Beschreibung aus der Außenperspektive führt zu der regelhaften Verknüpfung von In-den-Schrein-Gehen und Trinken. Solch eine Regel läßt sich in vielerlei Hinsicht nutzen, um das Trinken wahrscheinlicher zu machen oder um es unwahrscheinlicher zu machen. Die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten bleibt beim Patienten.

      FRITZ SIMONDas glaube ich Ihnen. Das habe ich aber bewußt so gesagt! Das ist ja nicht zufällig. Mich interessiert: Wie können Sie Einfluß darauf nehmen. Können Sie das so …?

      ERNSTNein! Ich muß einfach mehr …

      Es widerspricht einfach den üblichen Denkgewohnheiten, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie man ein Symptom oder sonst einen offiziell unerwünschten Zustand herbeiführen kann. Alle Welt schaut immer nur, wie Lösungen gefunden werden können. Daher besteht für lösungsorientierte Therapeuten die Gefahr, nur das zu sagen, was ein wohlmeinender Nachbar auch schon gesagt hat. Kehrt er die Perspektive hingegen um und schaut er

Скачать книгу