Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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für Krankheiten im allgemeinen gesagt werden kann, kann auch für die sogenannten „psychischen Krankheiten“ gesagt werden. Allerdings ist die Unsicherheit, wie auf diese Art von Krankheit zu reagieren ist, viel größer. Schließlich ist auch „gesundes Verhalten“ irgendwie psychisch bedingt, so daß die Grenzziehung zwischen Schuld und Nichtschuld, Verantwortung und Nichtverantwortung, Einflußmöglichkeit und Einflußlosigkeit uneindeutig ist.

      Jeder Familie mit einem identifizierten Patienten – und in der Folge jedem Therapeuten – stellt sich die Frage: Wer kann was bewirken? Ist es der Patient selbst, sind es seine Angehörigen oder die Ärzte? Stets geht es um die Zuschreibung von Verantwortung – für die Entstehung des „Problems“ wie für die Entstehung der „Lösung“.

      Von den jeweiligen Erklärungen (d. h. der gedanklichen Konstruktion von Mechanismen, die das „Problem“ oder die „Lösung“ entstehen lassen) hängt es ab, wo und mit welchen Mitteln nach einer Lösung gesucht wird. Mutter Bastian hält das Verhalten ihres Sohnes zum Beispiel für eine Sucht oder zumindest eine Art psychischer Krankheit. Das heißt, daß sie ihm keine oder nur wenig Verantwortung für sein Verhalten zuschreibt. Es ist die Sucht, die den Alkohol (irgendwie) in ihn hineinschüttet. Also braucht er Hilfe gegen diese höhere Macht. Als verantwortungsbewußte Mutter fühlt sich Frau Bastian nun aufgerufen, ihm zu helfen. Logischerweise macht sie das, was ihrer Meinung nach eine heilsame Wirkung hat: Sie versucht ihn zu verstehen, in ihn „einzudringen“, mit ihm zu reden. Denn bei psychischen Problemen hilft Vertrauen und Verständnis, so ist offenbar ihre Lösungsidee bzw. die daraus abgeleitete Lösungsstrategie. Ob sie erfolgreich ist, bleibt zu überprüfen.

      Aber auch Therapeuten kommen nicht umhin, Hypothesen darüber zu entwickeln, wie ein Problem entsteht oder zumindest, wie eine Lösung entstehen könnte. Auch sie müssen sich Gedanken darüber machen, in welchem Bereich der Wirklichkeit – dem Organismus, der Psyche, dem Kommunikationssystem – sie versuchen sollen, Veränderungen herbeizuführen. Im Gegensatz zu Vertretern manch anderer Therapieschulen richten systemische Therapeuten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf problemerhaltende oder lösungsfördernde Interaktions- und Kommunikationsmuster. Wenn es gelingt, ein Therapieziel positiv zu definieren (z. B. neue Verhaltensweisen oder Kommunikationen, die vor der Therapie nicht gezeigt wurden), dann empfiehlt sich die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die interaktionellen und kommunikativen Mechanismen, die zu solch einer Lösung führen können. Wenn aber – wie bei Familie Bastian – das Ziel negativ definiert ist („Ernst soll nicht mehr zur Flasche greifen“), ist es günstiger, sich auf die Mechanismen zu konzentrieren, die sich mit diesem Verhalten verknüpfen lassen. Auf diese Weise lassen sich eher Ideen entwickeln, wie dieses Muster unterbrochen („gestört“) werden kann und wie alternative Muster an ihre Stelle gesetzt werden können.

      Ein weiterer Ausschnitt aus dem Erstinterview mit Familie Bastian soll zeigen, wie sich mit familiären Erklärungen umgehen läßt. Ganz allgemein kann man sich als Therapeut an die Einsicht halten, daß es eine der wichtigsten Wirkungen von Erklärungen ist, weiteres Fragen zu verhindern. Wenn der Therapeut dieselben Erklärungen verwendet wie der Klient oder die Klienten, dann fällt ihm auch nichts Neues mehr ein. Er „weiß“ dann genausoviel (oder -wenig) wie seine Gesprächspartner. Und wer weiß, stellt bekanntlich keine Fragen. Wer weiterfragen will, darf die ihm angebotenen Erklärungen nicht zu schnell verstehen …

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      FRITZ SIMON(zur Schwester) Wie erklären die beiden sich denn dieses Verhalten? Man sucht ja nach Erklärungen. Warum macht er das? Intelligenter Mensch! Erfolgreich! Warum macht er das? Ihre Mutter denkt, wenn ich das richtig verstanden habe, es ist eher etwas, wo er nicht selber die Verantwortung hat, etwas Psychisches … Denkt sie, er könnte es anders, wenn er wollte?

       Die Unterscheidung zwischen „gesund“ und „krank“ hat für die Spielregeln der Interaktion eine ähnliche Bedeutung wie die zwischen „Erwachsener“ und „Kind“. Im einen Fall hat man es mit jemandem zu tun, der für sich selbst sorgen kann und der schuldfähig ist; im anderen Fall mit einem hilfsbedürftigen Wesen, das nicht voll und ganz für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden kann. Dementsprechend bestimmen diese Zuschreibungen, welche Erwartungen von den jeweiligen Interaktionspartnern an den oder die so etikettierte Person gerichtet werden. Kann er etwas ändern oder nicht?

      SCHWESTERDaß es überhaupt soweit mit dieser Leberzirrhose gekommen ist, das war für mich eine schleichende Form von Selbstmord. Und da ist die Trennung von einer Freundin vorausgegangen, die er sehr geliebt hat, und diese Trennung war lange nicht bewältigt. Ich weiß nicht, ob sie es jetzt ist. Wir haben heute morgen einmal darüber geredet, (zum Bruder gewandt) da hast du gesagt, daß du das Gefühl hast, du kannst zumindest die Dinge, die ihr gemeinsam angeschafft habt, anschauen.

      Die Schwester des Patienten bringt eine neue Hypothese für sein Verhalten zur Sprache: seine selbstzerstörerischen Tendenzen. Betrachtet man die abzusehenden Wirkungen seines Trinkens, so läßt sich solch eine Interpretation sicher nicht von der Hand weisen.

      FRITZ SIMONWann war diese Trennung von der Freundin?

      ERNSTVor zehn Jahren.

      SCHWESTERJa, ungefähr zwei Jahre vor der Transplantation. Und ich hab das Gefühl … was für mich halt immer mitschwingt, ist, daß das so verletzend und zerstörend gewirkt hat, was sein Selbstwertgefühl betrifft, daß der Ernst da nie wirklich rausgekommen ist. Zum Teil hat er Abstand gewonnen, aber er ist nie wirklich rausgekommen.

      FRITZ SIMONSehen Sie das immer noch so, daß es jetzt auch noch eine schleichende Form von Selbstmord ist, wenn er mit dem Schlückchen Sekt spielt?

      SCHWESTERJa, Ja!

      FRITZ SIMONDaß er überlegt: Will ich überhaupt leben?

      ERNSTDas ist so!

      FRITZ SIMON(zu Ernst) Sie sehen es auch so? Das sieht sie richtig? Kennt sie Sie gut genug?

       (Ernst nickt)

      FRITZ SIMONAha. (zur Mutter) Sehen Sie es auch so, daß das so ein Stück Spiel mit dem …

      MUTTER… mit dem Feuer! Ja, das seh ich auch so!

      FRITZ SIMONMehr als mit dem Feuer mit dem Feuerwasser, mit dem Tod. So ein bißchen Selbstmord auf Raten …

      MUTTERIch hoffe nicht, daß es diesen ernsthaften Hintergrund hat. Ich meine eher, daß Kleinigkeiten mit dem Alkohol bewältigt werden sollen. Er hat zwar schon manchmal gesagt, er wäre ganz froh, wenn’s irgendwann mal zu Ende wäre. Aber ich meine, daß da noch andere Wege beschritten werden können, bis es soweit ist. Deswegen haben wir ja auch einen psychologischen Rat gesucht, um einen anderen Weg zu finden, denn eine Lösung ist das ja nicht.

      Das Mienenspiel der Mutter erweckt den Eindruck, als sei ihr die Thematisierung der unglücklichen Liebe ihres Sohnes nicht angenehm.

      FRITZ SIMON(zur Schwester) Wenn ich Ihre Mutter richtig verstanden habe, wäre es ihr lieber, wenn es nicht so etwas Lebensbedrohliches – was die psychologischen Hintergründe angeht – wäre. Diese Trennungsgeschichte würde sie nicht gerne so wichtig nehmen? Habe ich das richtig verstanden? (…)

       Hier ist eine Lücke im Transkript. Es wurde eine weitere Schleife gedreht, bei der darüber gesprochen wurde, wie die Familie, speziell die Mutter, mit schwierigen und belastenden Situationen umgeht. Es wird deutlich, daß aggressive Konfrontationen eher vermieden werden und alle Familienmitglieder leicht mit Schuldgefühlen darauf reagieren, wenn es einem anderen schlechtgeht. Die Vermeidung von Schuldgefühlen ist für alle Beteiligten wichtig und ein hoher familiärer

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