Zirkuläres Fragen. Fritz B. Simon

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Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon Systemische Therapie

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ungenutzte Einflußmöglichkeiten. Aus diesem Grund wird der Versuch des Patienten, zu erzählen, was er eigentlich zur Lösung dieses Problems tun sollte, unterbrochen und erneut der Blick auf seine destruktiven Möglichkeiten gerichtet. Die Botschaft, die implizit gegeben werden soll, lautet: Auch selbstzerstörerische Verhaltensweisen lassen sich als Resultat von Entscheidungen verstehen.

      FRITZ SIMONNein, mich interessiert jetzt nicht, wie Sie das Trinken wegkriegen können. Mich interessiert genau das Umgekehrte. Nehmen wir an, Sie haben ein Jahr lang nicht an Alkohol gedacht, überhaupt nicht … Wie könnten Sie dafür sorgen, daß Sie wieder trinken. Nehmen wir an, Sie bekämen 100 000 DM dafür, daß Sie wieder trinken – für ein medizinisches Experiment: Lebertransplantation plus Alkohol vs. Lebertransplantation ohne Alkohol. Die Pharmaindustrie sponsert es. Und die brauchen jemanden, der Alkohol trinkt, auch wenn er weiß, daß es ihm nicht bekömmlich ist. Sie sind in der einen Vergleichsgruppe, die anderen sind in der anderen. Wie könnten Sie sich die Lust auf Alkohol erhöhen, wie können Sie sie herbeiholen, wenn sie eigentlich nicht von sich aus spontan kommt. Was müßten Sie tun?

       (Ernst zuckt die Achseln)

      Das ist die übliche Antwort, die man zunächst auf solche Fragen erhält. Das ist aber nicht weiter schlimm, weil Fragen ja immer auch dazu dienen, Ideen zu streuen und Sichtweisen in die Welt zu setzen, die nicht spontan in der Familie entstehen würden. In solch einem Fall ist Beharrlichkeit angesagt.

      FRITZ SIMONWäre es eine gute Chance, in das Zimmer zu gehen?

      ERNSTNee!

      FRITZ SIMONAlte Photoalben durchblättern?

      ERNSTDann wird vielleicht … Es kommt immer darauf an …

      FRITZ SIMONSich zu einer Prüfung anmelden? Was hilft am besten?

      MUTTER(lacht) Prüfung vor sich zu haben!

      ERNSTEventuell. Oder etwas vor sich zu haben, was mir wahnsinnig unangenehm ist.

      Mutter und Sohn greifen auf die Hypothese zurück, daß die Prüfungsangst ursächlich für das Trinken ist. Sie scheint irgendwie angenehmer. Wahrscheinlich liegt sie aus alltagspsychologischer Sicht auch näher. Als Therapeut hat man zu akzeptieren, wenn die eigenen, implizit oder explizit angebotenen Deutungsschemata nicht angenommen werden. Es reicht, die Idee gestreut zu haben. Wenn sie von den Klienten als relevant erachtet wird, arbeitet sie weiter und taucht irgendwann wieder auf. Das ist eine der „störenden“ Wirkungen von Fragen. Wenn die Beziehung zum Therapeuten für die Klienten eine gewisse Wichtigkeit erlangt hat (was man bei einem Erstinterview nicht voraussetzen sollte), werden sie das, was er sagt, nicht einfach zur Seite schieben. Sie setzen sich damit auseinander, und manchmal ändert sich im Verlaufe dieses Prozesses ihr Weltbild ein wenig: Sie verwerfen alte Erklärungen, konstruieren neue und verhalten sich anders (aber, wie gesagt: manchmal).

      FRITZ SIMONUnd was ist das Unangenehmste, was Sie sich da vorstellen können?

      Die Konfrontation mit schwarzen Phantasien ist ein gutes Mittel gegen Wunschdenken und Vermeidungsstrategien.

      ERNSTPfffff … was wär das Unangenehmste?

      MUTTERDie Angst, es nicht zu schaffen, vielleicht.

      ERNSTDa muß ich bloß mal den alten Alptraum kriegen. Das ist: Ich geh in die Prüfung rein, habe das Blatt vor mir, habe die Aufgabe vor mir und habe von Tuten und Blasen keine Ahnung und weiß, das ist die entscheidende Prüfung, und ab da ist absolut keine Chance. Ab da ist alles versaut.

      FRITZ SIMONAber das ist ja mit diesen Alpträumen so eine Sache, die kommen ja nicht zuverlässig. Frage: Wie könnten Sie selber diesen Alptraum herbeiführen oder all solche Situationen? Haben Sie da schon Erfahrungen?

      Erneut der Versuch, hypothetisch Einfluß zuzuschreiben.

      ERNST(schüttelt den Kopf) Vielleicht …

      FRITZ SIMONSie haben natürlich Erfahrung mit sich.

      ERNSTJa, sicher!

      FRITZ SIMONAlso, wenn Sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollten, solch einen Alptraum zu bekommen?

      ERNSTVielleicht, wenn ich sie sehen würde.

      FRITZ SIMONMich?!

      Ein Scherz! Eine Einladung, mit dem Therapeuten zu spielen bzw. mit der therapeutischen Beziehung.

      ERNSTNein, die Frau mit ihren zwei Kindern und dem Mann!

      Die Saat ist offenbar schneller als erwartet aufgegangen. Die ehemalige Freundin kommt zurück in den Fokus der Aufmerksamkeit, die Prüfungsangst tritt wieder in den Hintergrund.

      FRITZ SIMONWissen Sie, wo sie wohnt?

      ERNSTIch weiß es, ja.

      FRITZ SIMONMüßten Sie da öfter mal vorbeigehen und gucken?

      ERNSTNee.

      FRITZ SIMONNa, ich mein ja nur, wenn Sie das wollten. Ich will Ihnen das nicht raten. Mich interessiert nur, wie Sie Einfluß nehmen können. Das wäre eine Möglichkeit. Dann hätten Sie eine größere Chance, daß Sie sie sehen.

      ERNST(schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln) Ich war da noch nie!

      FRITZ SIMONDas wundert mich. Ich würde da dauernd vorbeilaufen!

      ERNSTJa? Das geht zu weit! (lacht)

      FRITZ SIMONHätte jemand anderes in der Familie die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen? Ich bin immer noch bei diesem Gedankenexperiment, Sie würden ganz viel Geld dafür kriegen, daß Sie mehr Alkohol trinken, als Sie sollten, und würden irgendeinen Grund dazu brauchen. Könnte irgend jemand anderes Ihnen noch behilflich sein in der Familie?

       (Ernst lacht)

      FRITZ SIMONIch gebe zu, es ist absurd! Aber …

      MUTTERDas ist ja so, daß dann der Alkohol mit Gewißheit das restliche Leben zerstören würde.

      Die hier verwendete Technik beruht auf dem Glauben des Therapeuten an „die positive Kraft des negativen Denkens“. Für die Mutter, die all ihre Hoffnungen in die Kraft des positiven Denkens gesetzt zu haben scheint, ist es schwer erträglich, solch einer Fragestellung zu folgen. Hier besteht die Gefahr, die Mutter zu verlieren, da die Beziehung nach der kurzen Zeit wahrscheinlich noch nicht tragfähig genug ist. Diese Gefahr besteht immer, wenn der Therapeut Ansichten vertritt oder Verhaltensweisen zeigt, die nicht anschlußfähig sind, d. h. zu weit vom Weltbild und den Werten der Klienten abweichen.

      FRITZ SIMONDaß Sie das nicht wollen, ist ja klar. Darüber brauchen wir, glaube ich, jetzt gar nicht zu reden.

      MUTTERNein, das wäre der reine Selbstmord. Aber da können wir ihm ja nicht zureden!

      FRITZ SIMON(zur Mutter) Aber viele Leute machen selbstmörderische Dinge! Manche fahren Autorennen, was höchst risikoreich ist. Die kriegen viel Geld dafür und sagen: O. K., ich rechne mir das aus! Andere Leute machen Bungee-Springen an irgendeiner Kordel in die Tiefe. Die kriegen noch nicht einmal dafür Geld, sondern müssen dafür bezahlen. Also, das wäre für mich noch kein ausreichender Grund, warum er es nicht machen sollte. Aber ich denke, Sie sprechen einen wichtigen

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