Lektorat, Programmplanung und Projektmanagement im Buchverlag. Michael Schickerling
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Praxisbeispiel 2
In Asien bereits ein Riesentrend: ›Sports Fantasy‹, kurze Romane mit cricketspielenden Gnomen und Elfen. Die Lektorin hat dazu gerade ein erstes Angebot vorliegen, aber eine kurze Marktrecherche ergibt: Cricket kennt hierzulande kaum jemand. Aber wenn man das Ganze vielleicht ins Eishockeymilieu verlegt und als Setting die Alpenlandschaft um ein verzaubertes Neuschwanstein wählt? Dann könnte man die Lizenz auch gut ins Ausland verkaufen. Die Lektorin überzeugt ihre Programmleiterin, es zunächst mit einem Titel zu versuchen, und den Marketingchef, dafür eine starke Social-Media-Kampagne zu entwickeln. So lässt sich die avisierte junge, vorwiegend weibliche Leserschaft, die sie bei ihrer Zielgruppenrecherche als erfolgversprechend identifiziert hat, am besten erreichen.
Praxisbeispiel 3
Die bisher erfolgreiche Ratgeberreihe, Aushängeschild des Verlags, verkauft sich von Jahr zu Jahr immer schleppender. Um herauszufinden, woran das liegt und was man besser machen könnte, arbeiten der verantwortliche Lektor, ein Kollege aus dem Marketing und die Vertriebschefin mit der Business-Model-Canvas. Ihre Leitfrage: Welche Faktoren gefährden das Geschäft mit unserer Buchreihe? Schnell wird klar: Die Leser informieren sich zunehmend in kleinen Häppchen im Internet, oft auf Special-Interest-Seiten, die teils eine erstaunlich große und engagierte Fangemeinde haben. Die eigenen Produkte müssten in Zukunft also viel flotter und übersichtlicher als bisher aufbereitet werden. Und der Verlag sollte eine eigene Online-Community rund um seine Themenwelt aufbauen oder Kooperationen mit Influencern eingehen. Gut gemachte Bücher allein reichen für den Erfolg jedenfalls nicht mehr.
Immer mehr Bücher – immer weniger Zeit zum Lesen. 2019 erschienen auf dem deutschen Buchmarkt etwa 78.800 Titel erstmals oder in einer Neubearbeitung,3 immerhin 18 Prozent weniger als im Spitzenjahr 2007.4 Hinzu kommen 9.500 Novitäten in Österreich5 und 4.800 deutschsprachige Neuerscheinungen in der Schweiz6 Da stellt sich die Frage: Wer soll das alles lesen? Denn nur 31 Prozent der Bevölkerung nehmen zumindest einmal pro Woche ein gedrucktes Buch in die Hand, 32 Prozent tun das nie, und bei E-Books sieht es noch schlechter aus. Bücher lesen gehört damit schon lange nicht mehr zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen – und rangiert weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Fernsehen (94 Prozent) oder der Nichtaktivität Ausschlafen (61 Prozent).7Für die Lektüre von gedruckten und digitalen Büchern stehen täglich durchschnittlich 26 Minuten zur Verfügung – während es für die Lektüre im Internet 101 Minuten sind, wozu auch Social-Media-Beiträge oder Produktbeschreibungen in Online-Shops zählen, 89 Minuten für das Lesen und Schreiben von E-Mails, SMS und Messenger-Chats sowie 22 Minuten für Zeitungen und Zeitschriften.8 Bücher haben es immer schwerer, im Medienwettbewerb zu bestehen – und finden entsprechend von Jahr zu Jahr immer weniger Käufer.9
Konzentrationsprozesse in der Medienbranche haben ebenfalls Auswirkungen auf die Lesekultur. Auf der einen Seite verdrängen wenige große Buchhandelsketten viele mittelständische Buchhandlungen. Auf der anderen Seite versammeln große internationale Verlagskonzerne zahlreiche #Imprints unter ihrem Dach, die sich auf immer kleinere Zielgruppen spezialisieren. Doch damit sinken die Verkaufszahlen pro Titel, verstärkt durch die digitale Konkurrenz – eine schwierige Situation für Verlage. Für die Programmmacher stellt sich daher die Frage: Wie muss ein Buch aussehen, damit es den Nerv der Zielgruppe trifft? Der Handel hat dabei hohe Erwartungen an die Verlage: schnelle Verkäuflichkeit bei guter inhaltlicher und herstellerischer Qualität. Aber soll es überhaupt noch ein gedrucktes Buch sein?
Verlage stehen vor der schwierigen Aufgabe, den zahlreichen Novitäten weitere Titel hinzuzufügen – für deren Lektüre niemand so recht Zeit hat. Den richtigen Riecher haben nur wenige; der hängt mehr von glücklichen Umständen ab als von durchdachter #Programmplanung. Darauf können #Verleger und Lektoren also ebenso wenig bauen wie darauf, dass sie die richtigen Bücher schon irgendwie finden werden. Denn in einem heiß umkämpften Markt, in dem gleichzeitig um die Aufmerksamkeit der Leser und der Medien sowie um knappe Regalflächen im Handel gerungen wird, sind erfolgreiche Verlagsprodukte fast immer das Ergebnis klarer Konzepte. Das Stichwort lautet Programm- beziehungsweise Produktpolitik. Sie ist Teil des klassischen Marketingmix, dem 4-P-Konzept.10 Eine Neuinterpretation, welche die Kundeninteressen mehr in den Vordergrund rückt, bietet das hier integrierte SAVE-Modell:11
4-P-KONZEPTDieses Konzept als klassische Säule des Marketingmix stammt ursprünglich aus dem Jahr 1960 von Edmund Jerome McCarthy Perreault, damals Professor für Marketing an der Harvard University. Das Modell hat seitdem einige Erweiterungen und Abwandlungen erfahren, zum Beispiel als 7 P (zusätzlich People, Process und Physical Evidence), oder Neuinterpretationen wie den SAVE-Ansatz (Solution, Access, Value, Education).
•ProduktWelche Produkte (Buch, Hörbuch, E-Book oder App) oder Dienstleistungen (Aktualisierungen via Internet, Diskussionsforen oder anderes) sollen zu welchen Themen und für welche Zielgruppen angeboten werden? Noch mehr als das einzelne Produkt muss eine Lösung (Solution) im Hinblick auf die Kundenbedürfnisse im Vordergrund stehen.
•PlatzierungWelches sind die geeigneten Absatzkanäle (Buchhandel, Online-Shops, Direktvertrieb, Nebenmärkte wie Lebensmittelgeschäfte, Apotheken oder Tankstellen)? Optimale Verfügbarkeit und Zugänglichkeit (›Access‹) spielen für Kunden dabei eine wichtige Rolle.
•PreisWas ist der richtige #Ladenpreis? Wie sind die Lieferbedingungen (Rabatte, Valuta oder Skonto)? Dabei sind für die Kunden weniger der Preis oder die Kosten entscheidend als Nutzen und Wert (›Value‹) des Angebots.
•PromotionWelche Bestandteile hat das Kommunikationskonzept (Werbung, Verkaufsförderung, Öffentlichkeitsarbeit oder Social Media)? Was sind die Werbebotschaften? Welches sind die optimalen Medien für Marketing und PR? An die Stelle mehr oder weniger aufdringlicher Werbebotschaften tritt Wissen (›Education‹) in Form attraktiver und hochwertiger Inhalte, die Kunden inspirieren, unterhalten oder informieren.
Der Kern verlegerischer Aktivitäten ist die Programmgestaltung. Hierzu zählen die Entwicklung und Herstellung sämtlicher Produkte und Dienstleistungen, die ein Verlag anbietet. Daran orientieren sich die anderen Instrumente des Marketingmix. Auch der umgekehrte Weg ist möglich: Die Marketingstrategie verlangt unter Umständen eine bestimmte Gestaltung des #Covers, unterschiedliche Vertriebskanäle erfordern unterschiedliche Ausstattungen, und nicht zuletzt hat der Ladenpreis großen Einfluss auf die Aufmachung eines Buchs. Die Grundlinien der Programmpolitik werden vom Lektorat oder von der Verlagsleitung festgelegt, oft in enger Abstimmung mit der Marketingabteilung. Dabei lauten die beiden wesentlichen Fragen:
•TitelpositionierungWie lassen sich einzelne Titel innerhalb des eigenen Verlagsprogramms und nach außen in Abgrenzung zum konkurrierenden Gesamtmarkt eindeutig positionieren?
•ProgrammentwicklungWie wird aus der Vielzahl der Einzeltitel ein profiliertes und erfolgreiches Verlagsprogramm?
Bei jedem Buchprojekt werden Lektoren immer auch mit Fragen der Programmentwicklung konfrontiert. Das gilt umso mehr, wenn sie neue