Menschen unter Zwang. Clara Viebig

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Menschen unter Zwang - Clara Viebig

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mächtig viel“, rief Ingeborg. „Die Alte hat ja mit ihrem Landschacher Millionen verdient. Eine grässliche Frau, Geld, Geld und nochmals Geld! Schon früher wollte sie Britta haben. Aber ich sollte Pension zahlen — wo Geld ist, wollen sie immer noch mehr Geld — das sollte mir gerade fehlen! Wir haben unser Geld nötig, wir brauchen sowieso viel zu viel.“

      „Ich nicht“, sagte er trocken. „Du brauchst zu viel. Kleider, Pelzmäntel, immer Neues und das Allermodernste. Und dann deine Reisen. Ich erinnere nur an Berlin, alle Nase lang Berlin!“

      „Ich habe das nötig“, sagte sie aufbegehrend. „Das ewige Einerlei hier macht mich krank, martert mich zu Tode.“

      Er sah sie finster an, sein jugendlich hübsches Gesicht zeigte plötzlich einen ganz anderen Ausdruck. „Dann hättest du mich nicht heiraten sollen. Ich habe dir ja gesagt, dass ich nichts mehr habe. Mein Bruder schickt auch nichts mehr, seit ich eine reiche Witwe geheiratet habe.“ Er hob das ‚reiche‘ besonders hervor mit einem anzüglichen Auflachen. „Wir haben uns eben getäuscht, uns selber was vorgemacht, du in deiner Liebe, ich mit meinem“ — er stockte — „nun mit meinem Wunsch, in den Sattel zu kommen. Wenn ich dreissigtausend Mark hätte, könnte ich mich morgen schon an einem glänzenden Unternehmen beteiligen: Baumaterialien, Schiefer aus rheinischen Schieferbrüchen, Ziegel aus der neuen Ziegelei bei Ketzin. Man könnte viel dabei verdienen. Vielleicht wird wieder eine neue Gedächtniskirche gebaut!“ Er sah sie fest und ausdrucksvoll dabei an. „Aber ich habe die Dreissigtausend ja nicht.“

      „Na, dann nimm sie dir doch schon“, rief sie leichtsinnig und warf sich ihm an den Hals. „Ich bin nicht knickrig, wahrhaftig nicht. Nun hab’ mich aber auch wieder lieb!“ Sie suchte seinen Mund mit verlangenden Lippen. Und er küsste sie dann.

      So endete es immer, jede Meinungsverschiedenheit, jeder Vorwurf, jede Auseinandersetzung, jede Ehezwistigkeit.

      Oh, dass er doch diese alternde Verliebte nicht geheiratet hätte! Der Achtundzwanzigjährige empfand die Vierzigjährige wie eine Last. Er hatte es gleich in den ersten acht Tagen gewusst, dass er sie lieber nicht hätte heiraten sollen. Was hatte ihn nur dazu getrieben? Es gab so viele hübsche frische Mädchen, er wusste, dass er auf Frauen Eindruck machte, immer Eindruck, er brauchte gar keine besonderen Künste anzunwenden — aber diese Mädchen hatten alle kein Geld. Und er brauchte Geld, er wollte Geld. Schon von früher Jugend an wusste er den Wert des Geldes einzuschätzen. Als er noch auf nackten Füssen über die staubig-harte Landstrasse lief, die von der verfallenen Behausung des Vaters in die Stadt zur Schule führte, war er sich dessen bereits bewusst gewesen. Geld, Geld! Sein Vater war so heruntergekommen, dass er, statt selber noch Herr zu sein, die Schafe des Herrn hütete. Zweihundert weisse und schwarze Schafe, die mit ihrem dummen ‚bäh, bäh‘ dem Knaben Ekel einflössten. Nie hätte er so fleissig gelernt, so unermüdlich strebsam, wenn er ihnen nicht hätte entfliehen wollen. Die Gutsherrin hatte einen Narren an dem Jungen gefressen, der am Wege stand, wenn sie mit ihrem Dogcart an ihm vorbeifuhr und sie mit seinen Augen, die blau und blitzend wie Edelsteine waren, anstarrte. Sie war es, die das Schulgeld für ihn bezahlte. Sie half ihm auch weiter, sie brachte ihn beim Kaufmann in die Lehre; da wohnte er schlecht genug im Gewölbe zwischen Reissäcken und Heringstonnen, aber immer doch besser noch als daheim. Armselige Heimat, heruntergekommener Vater, verarbeitete Mutter mit schwarzen Fingernägeln und ungepflegten Haaren! Das lehrte ihn früh, dass man Geld haben muss. Er hasste diese Heimat; er trieb sich lieber nächtelang auf den Feldern herum, schon als Fünfjähriger, als dass er da untergeschlupft wäre. Nur wenn Schäfer Buss, ein alter weisshaariger Mann, seinen Vater aufsuchte, dann war er gern dabei. Mit weitaufgerissenen Augen, schwitzend vom angestrengten Aufhorchen, hörte er zu. Buss war ein Wunderdoktor, er heilte mit Tees, die er auf den Äckern sammelte, wenn der Mond voll war. Meilenweit kamen die Leute zu ihm gelaufen. Wenn die Tees nicht halfen, half sein Besprechen. Er hatte eine zwingende Gewalt über Mann und Frau, über Bursch und Mädchen. Er brauchte sie nur vor sich zu haben, ein blinkendes Stückchen Glas oder sonst etwas Blankes ihnen vorzuhalten: ‚Sieh hierher‘, oder auch nur zu sagen: ‚Sieh mir in die Augen‘, so bannte er sie. Und sie fielen in einen Schlaf, in dem sie dachten, sprachen und taten, alles genau so, wie er es wollte. Auch an dem Jungen ohne Schuh versuchte Buss seine Zauberkunst; er tat es unentgeltlich, aus Spass an einem gelehrigen Schüler. Und nicht nur wie man hypnotisiert auf primitivste Art, weit mehr lernte der Schüler: Menschen erkennen und sie bestimmen. Lernte ihr Schicksal in seine Hand nehmen.

      Tom Till sah seine Frau mit einem Schimmer verächtlichen Bedauerns an: was war sie für eine hohle Nuss! Hätte er die doch bereits weggeworfen oder zertreten. Aber es fand sich schon einer, der sie ihm wieder abnahm — nur Geduld, Geduld! Sich noch nichts anmerken lassen von einer Ungeduld, die sich täglich mehr steigerte bis zur Abneigung. Die Törichte, die Eitle! Wie hatte er, er, der Berechnende, sich nur so festnageln lassen können von einer so dummen Frau! Warum hatte er sie nicht so stark beeinflussen können, dass sie ihm willig ihr Geld gab, auch ohne Standesamt und feierliche Trauung, ohne weissgekleidete Kinder, ohne Orangenblütenkranz und Tränen der Rührung?! An ihrer Heiratsversessenheit hatte die eigene Macht, an die er fest glaubte, zum erstenmal Schiffbruch erlitten. Aber nun sollte sie ihm auch die dreissigtausend Mark geben. Sie musste! Er hatte es satt, sich von ihr aushalten zu lassen, er musste, musste die günstige Gelegenheit ergreifen, um sich in die Baumaterialien-Firma, die momentan unter Geldknappheit litt, hineinzuschmuggeln. Er gierte nach einer Betätigung. War er denn nicht fähig genug, hatte er nicht Kraft und Lust zur Arbeit? Aber ohne Geld kann keiner etwas anfangen.

      Der Mann nahm die Frau auf seinen Schoss, streichelte ihr die Wangen und drückte seine Lippen auf ihren willigen Mund. Er kniff die Augen dabei zu: ach, wie war ihr bisschen Reiz ihm doch zuwider! Er fühlte nichts mehr dabei, als sie sich auf seinen Knien wiegte, ihn am Ohrläppchen zupfte: ‚Du Schlimmer‘, und das ganze Register ihrer Liebkosungen aufzog.

      „Bis wann kannst du mir die Dreissigtausend verschaffen?“

      „Ich werde zu Baum nach Berlin fahren; der Justizrat ist mein und der Kinder Vermögensverwalter. Ich muss erst hören, was er dazu sagt.“

      „Wieso? Du bist doch Herrin deines Vermögens. Was Bade hinterlassen hat, gehört dir.“

      „Und den Kindern. Ich kann doch meine Kinder nicht bestehlen, indem ich einfach dreissigtausend Mark vom Vermögen wegnehme und dir gebe.“

      „Ich gebe es ihnen doppelt und dreifach wieder. Ich verzinse es ja glänzend zu zehn Prozent.“

      „Ach!“ Sie zog die Achseln, eine Spur von Nachdenken trat in ihr vom Liebesgetändel erhitztes Gesicht. „Das sagst du so, zehn Prozent — aber wenn du’s nicht kannst? Ich bin doch meinen Kindern Rechenschaft schuldig. Wenn die mich nun später fragen: wo hast du das Geld? Nein, nein, ich muss es mit Baum überlegen!“

      „Ich fahre mit.“

      Aber das wollte sie nicht, es war besser, sie sprach mit Baum allein. Und sie dachte dabei: vielleicht ist es möglich, dass Vennhof auch gerade nach Berlin muss, dann könnten wir einen vergnügten Abend zusammen verleben. Tom war nicht für Vergnügungen zu haben — tanzen in einer Bar, Sekt trinken?! ‚Nutzlos vergeudetes Geld‘, das hätte sie wochenlang zu hören bekommen. Und sie gerade liebte es so. „Nein, nein, bleib du hier! Ich fahre allein. Ich will eben nicht, dass du mitfährst — ach, du verdirbst einem aber auch jedes Vergnügen!“

      Er liess sie ungeduldig vom Schoss gleiten, schüttelte sie so unsanft von sich, dass sie hart auf den Boden fiel.

      „Au, du tust einem ja weh!“ Sie klagte.

      Er half ihr nicht auf, er liess sie am Boden liegen. Er war ganz blass geworden und sagte kein Wort. —

      Von dem Brief aus Güldenaue war nicht weiter die Rede gewesen. Am Abend fiel es Frau Ingeborg jedoch

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