Menschen unter Zwang. Clara Viebig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Menschen unter Zwang - Clara Viebig страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Menschen unter Zwang - Clara Viebig

Скачать книгу

gleich zu freundlich, zu weich, sonst dachte die Iöre vielleicht, sie könne sich alles erlauben. „Sieh auf“, sagte sie und fasste die Kniende mit knöchernen Fingern unter die Achseln, „geschwind, setz dich an deine Arbeit. Das Kissen wird niemals fertig, wenn du die Zeit so vertrödelst.“

      „Es wird fertig.“ Lore erhob sich von der Fussbank, aber sie blieb doch noch vor der alten Frau stehen. Jetzt, fühlte sie, jetzt, heute so allein mit der Urma, war die beste Gelegenheit, die zur Rede zu stellen. Sie holte tief Luft: „Oh, wie konntest du nur damals von Pensionsgeld, von Bezahlung sprechen! Britta braucht nichts zu bezahlen. Niemals. Ich will das nicht. Unter Verwandten, unter Freunden handelt man nicht.“ Sie sagte das, selber sich schämend, und auch in der Hoffnung, dass jetzt andere sich schämen würden.

      Aber Friederike Längnick war nur amüsiert: was dieser Kiekindiewelt für Ideen hatte! Heutzutage, wo das Geld rar war und immer rarer wurde, musste man eben rechnen, mehr als je zuvor. „Liegt dir denn so viel dran, dass das Mädel kommt?“ fragte sie nach einer Weile.

      „Oh, Urma, sehr viel!“ Lores Augen glänzten.

      „Und wenn sie nun nicht zu dir passt?“

      „Sie passt sicher zu mir. Denn ich werde sie lieben!“ Lore sagte es sehr bestimmt. „Wenn man sich wirklich lieb hat, passt man auch zueinander.“

      „So, so.“ Friederike Längnick wusste es besser. Hatte ihr Paul denn zu seiner Frau gepasst? Er hatte die mehr als lieb gehabt, und sie passten doch nicht zusammen. Sie wiegte zweifelnd den Kopf, aber sie sagte nichts mehr. — — —

      Als Lore heute abend längst zu Bette lag, tastete die alte Frau sich über den oberen Gang. Friederike Längnick hatte zeitlebens einen harten Tritt, sie hätte es aber nicht nötig gehabt, hier so behutsam aufzutreten, Schmiedeberger Teppiche, hochgeschoren und dick, dämpften überall den Schritt. Lautlos konnte man auf dem Gang gehen, lautlos auch auf der Treppe und in der Diele unten, denn der Schlossherr konnte es nicht vertragen, Schritte zu hören; sie waren ihm wie Schläge auf den Kopf, wurden ein Lärm für sein überreiztes Ohr. Der Gang war halbdunkel, das Licht der einzigen schwachen elektrischen Birne an seinem Anfang reichte nicht bis zu seinem Ende. Und sehr kalt war er auch. Als Fräulein Mittler einmal vorstellig geworden war, hier einen Ofen setzen zu lassen, war sie bei der alten Gnädigen schlecht angekommen. Schon Verschwendung genug, so viele Zimmer zu heizen: Esszimmer, Wohnzimmer, Schulzimmer, Herrn Längnicks Zimmer. Die Schlafzimmer wurden sämtlich nicht geheizt, man hatte ja Federbetten, und es war ungesund, warm zu schlafen. Wenn im Winter die Dienstmädchen klagten, das Wasser sei ihnen alle Morgen so eingefroren, dass sie sich nicht waschen könnten, sagte die Schlossherrin: „Dann wascht euch nicht.“ Die Mädchen konnten sich ja Holz sammeln gehen in den Forst, aber sie fürchteten den Förster, die dummen Dinger!

      Der allnächtliche Wind hatte sich wiederum aufgemacht, er pfiff höhnisch durch den kahlen Gang und wischte den Porträts an den getünchten Wänden, von denen man nicht wusste, wer und von wannen sie waren — Ahnenbilder des vorigen Besitzers — über die verwunschenen, spinnwebfarbenen Gesichter. Sie schauten geisterhaft aus ihren Rahmen, denn nur ab und zu, wenn ein Windstoss schwere Schneewolken am Himmel auseinanderfegte, huschten sie für Augenblicke in seltsamem Licht aus dem Dunkel, um blass und wesenlos gleich wieder zu verschwimmen. Die Dienstmädchen fürchteten sich abends im Dunkeln, selbst die Rotenbücher, die wahrlich keck war, wusste Gruselgeschichten zu berichten. Aber die Greisin fürchtete sich nicht. Wovor? Tote tun einem nichts Leides mehr an, die schlafen für immer; und die hier an den Wänden, die waren zudem nur Ölfarbe und Leinwand. Sie unterdrückte ein Gehüstel, das ihr in der Kälte kam. Sie war jetzt nicht mehr in schwarzer Seide und auch das Spitzendeckelchen auf dem Kopf fehlte, sie hatte jetzt schon den alten zerschlissenen Morgenrock an, den sie aus Sparsamkeitsgründen immer auf ihrem Zimmer trug; im Zugwind flatterten ihre schütteren, kurz gewordenen Haare.

      Sie hüstelte in sich hinein: was sagte sie nun, wenn das Kind vielleicht noch nicht schlief oder wach wurde? Aber es schlief; Kinder schlafen fest, sowie sie im Bett liegen. Aber war Lore denn noch ein Kind? Ihre Hand drückte leise die Klinke nieder. Es war finster in dem Mädchenstübchen, das nach Frische und Sauberkeit und nach Jugend — ha, nach Jugend! — roch. Die Greisin schnüffelte in die Dunkelheit hinein: ob sie es wagen könnte, Licht zu machen? Hätte sie doch ihren Wachsstock und die Streichhölzer nicht vergessen! Oh, dass sie das Kind doch mal im Schlaf ganz unbeobachtet sehen könnte! Sie hatte einen wahren Heisshunger danach. Als erriete der Himmel ihren Wunsch, so schickte er jetzt seinen Mond. Scheu und zitternd kroch der bleich durchs Fenster, aber man sah doch genug bei seinem Schein. Ein schlafendes rosiges Kind, einen Arm über dem Kopf, den anderen mit leichter Rundung auf die Brust gelegt.

      Lieb sah sie aus! Friederike Längnick trat nahe ans Bett und forschte mit spähenden Augen: neben aller Lieblichkeit war da etwas — was war es doch? — etwas, das über der Nasenwurzel in einer Falte sass. Und kein Lächeln war im Schlaf um den Mund, ein fester, fast eigenwilliger Zug hielt die Lippen geschlossen aufeinander. Ah, die war eine Längnick, eine Längnick! Friederike Längnick atmete tief auf: eine Längnick, in direkter Linie von ihr, der Urgrossmutter, her. Das fremde Blut war ausgemerzt, nur eine äussere Ähnlichkeit da. Grossvater und Vater waren auch ausgemerzt. Wie in zitternder Freude hauchte die Greisin in die Luft: ah, das tat gut, das tat gut! Hier war eine, deren sie sich nicht zu schämen brauchte, Wille von ihrem Willen, ein eigener Wille. Endlich!

      Eine grosse Genugtuung hob der Greisin Seele: wenn man lange genug gewartet hat, dann kommt doch endlich das, auf das man schon geglaubt hat, verzichten zu müssen. Lange blickte sie so in das ernsthafte junge Gesicht, das ihr im Schlaf mehr offenbarte als im Wachen. Sie dachte nicht mehr daran, dass Lore aufwachen könnte und dass sie dann hier stehen würde ertappt; sie konnte sich gar nicht losreissen. Erst als Lore, von dem starrenden Blick in ihrem Schlaf beunruhigt, anfing, sich zu regen, den über den Kopf gelegten Arm herunterfallen liess, floh sie.

      Lore war erwacht, sie setzte sich aufrecht. Ihr war es gewesen, als hätte etwas ihre Stirn berührt. Und hatte ihre Tür nicht geklappt? Tappte nicht auch draussen im Gang etwas? Nun der Vater nicht da war, war man so ganz ohne Mann im Haus. Aber freilich, der hätte auch nichts genützt. Entschlossen sprang sie aus dem Bett und zündete Licht an. Merkwürdig, ihre Tür war nur angelehnt. Aber draussen im Gang war niemand. Aha, das hatte der Wind getan, der Wind, der greuliche Wind! Sie drehte den Schlüssel im Schloss herum: nun konnte der nicht mehr aufmachen.

      In dieser Nacht brannte bei der alten Längnick noch lange die Lampe. Sie hatte in ihrem Zimmer noch immer eine Petroleumlampe, die gab ihr ein Licht, an das sie gewohnt war von früher her. Und billiger war diese Art von Beleuchtung auch. Sie schrieb einen Brief an Frau Ingeborg Bade, jetzt verehelichte Till, schrieb ziemlich ausführlich, warum und weswegen sie Brigitte her zu haben wünsche. Sie war keine Heldin mit der Feder, aber was sie wollte, brachte sie schon zu Papier. Von einer Pensionszahlung war nicht mehr die Rede; alles sollte Brigitte hier frei haben und genau gehalten werden wie Lore. Sie schloss mit einer Wendung, von der sie überzeugt war, dass sie den gewünschten Erfolg haben würde.

      ‚Wenn Brigitte Bade als liebevolle Gefährtin und treu ergebene Freundin bis zu Lores Verheiratung bei derselben bleibt, gebe ich ihr bei ihrer etwaigen eigenen Verheiratung die Aussteuer. Für den Fall, dass ich dann nicht mehr lebe, bekommt Brigitte Bade ein Kapital von fünfzehntausend Mark ausgezahlt. Ich lege das fest.

      Hochachtungsvoll

      Frau Friederike Längnick-Güldenaue.‘

      IV

      „Lies mal“, sagte Frau Ingeborg. Ihr Mann nahm den Brief, den sie aus Güldenaue erhalten hatte; erst las er ihn ziemlich interesselos, das, was da Schönes von einer Freundschaft zwischen der Erbin und Britta stand, war ja ohne Belang. Aber dann wurde er aufmerksamer: also man legte so viel Wert auf Brittas Kommen, dass man ihr eine Aussteuer respektive

Скачать книгу