KLEINER DRACHE. Norbert Stöbe

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KLEINER DRACHE - Norbert Stöbe

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er sich verneigte, bemerkte sie ein winziges Zögern im Bewegungsablauf. »Ist noch etwas, Zhang?«

      »Nein, Xialong. Es ist alles in Ordnung.«

      Xialong nickte und ging zum Lift. Er hatte sie bereits identifiziert, die Tür hatte sich einladend geöffnet.

      Von ihrem Büro im ersten Stock aus konnte Xialong den Verkaufsraum überblicken. Die Modelle standen auf unterschiedlich großen Podesten, unter den Staubschutzhüllen in gleichförmigen Posen des Wartens erstarrt. In diesem Moment hatten sie etwas Unheimliches an sich und glichen weder Maschinen noch den Menschen, die sie verkörperten, sondern einem Dritten – einer archaischen Art von Gespenst, die hier nicht nur ausgestellt, sondern gleichzeitig gebannt und daran gehindert wurde, anderswo ihr Unwesen zu treiben. Erst als die Angestellten die Plastikhauben entfernten, verflog der verstörende Eindruck. Die Bots erwachten inmitten ihrer Miniaturmilieus nach und nach zum Leben und nahmen die monotonen Tätigkeiten auf, die sie erst dann unterbrechen würden, wenn ein Kunde Interesse an ihnen zeigte und eine erweiterte Demonstration ihres Funktionsspektrums verlangte. Ein Altenbetreuer hob eine leblose Puppe vom Bett in einen Rollstuhl, schob sie einmal im Kreis und legte sie wieder zurück. Eine klassische Gesellschafterin im Wickelgewand arrangierte Kunstblumen zu einem kunstvollen Gesteck. Ein Kind unbestimmten Geschlechts spielte mit Plastikfiguren und schaute immer wieder mit großen, traurigen Augen auf, als erwarte es das Erscheinen seiner geliebten Eltern. Eine Begleiterin, kopfunter an einer Chromstange hängend, vollführte einen zeitlupenhaften Salto, der ihre langen Beine zur Geltung brachte.

      Xialong setzte sich hinter den Schreibtisch und rief den Tageskalender auf. Während sich der Monitor aus dem Schlitz in der Tischplatte entrollte, dachte sie flüchtig an Choum, mit dem sie in dieser Nacht das Bett geteilt hatte, nicht zum ersten, sondern schon zum dritten Mal. Er war Ingenieur und arbeitete für eine Softwarefirma in Hongkong. Kennengelernt hatte sie ihn auf der Robotikmesse in Beijing, an einem Stand für extrem geländegängige Kampfroboter. Dass er allein aus kindlichem Interesse die Ausstellung besuchte und den Tötungsmaschinen eine abstrakte, ganz und gar unschuldige Bewunderung entgegenbrachte, hatte sie fasziniert. Er war wichtig genug, um sie nicht zu kompromittieren, und unwichtig genug, um nicht aufzufallen. Sie konnte sogar hoffen, dass ihre Mutter nicht von ihm erfahren würde, denn schon morgen musste er wieder abreisen. Sie mochte sein herzhaftes Lachen und seinen Geruch, der ihr aus irgendeinem Grund raubtierhaft vorkam. Dass er ein großer Junge aus dem Süden war, machte das Ganze nur noch reizvoller. Vielleicht würde sie sich heute mit ihm zu einem späten Abendessen treffen. Vielleicht …

      Sie stutzte. Sie hatte sich den Tag für die auf zwei Uhr anberaumte Videokonferenz frei gehalten. Vorher brauchte sie nur noch das neue Modell zu begutachten, falls es denn termingerecht angeliefert wurde. Die übrige Zeit wollte sie fürs Studium der Standort- und Marktanalysen, den Friseur und einen kleinen Imbiss im Büro verwenden. Vielleicht war das alles ein wenig übertrieben, doch sie hatte sich zu lange auf die Übernahme der Verantwortung für die vierzehn Premiumstores vorbereitet, um irgendetwas dem Zufall zu überlassen. Dieser Posten war der nächste und vorletzte Schritt vor der Übernahme der Leitung des Dachkonzerns Jiqiren, der auf Arbeits- und Militärroboter sowie autonome Drohnen spezialisiert war. Wenn alles nach Plan verlief, würde es in zwei Jahren so weit sein. Dafür hatte sie gelernt, studiert, gearbeitet. Ihr ganzes Leben war eine Gleichung gewesen, deren Ergebnis von vorneherein festgestanden hatte. Für Zufälle war da wenig Raum gewesen. Sie hatte ihre Rolle gespielt, weil ihr nichts anderes übrig geblieben war, und die kleinen Lücken im großen Plan zu nutzen gewusst. Umso größer war ihr Erstaunen darüber, dass der Zwei-Uhr-Termin in der Tagesübersicht fehlte.

      »Ken?«, sagte sie.

      »Womit kann ich dir helfen, Xialong?«, tönte die Stimme ihres körperlosen PA aus den Tischlautsprechern.

      »Ich habe heute um zwei einen Termin, aber ich sehe ihn nicht.«

      »Ich weiß von keinem Termin um zwei, Xialong.«

      »Aber gestern war er noch in der Wochenübersicht aufgeführt!«

      »Das kann ich leider nicht bestätigen. Handelt es sich möglicherweise um einen Irrtum?«

      Ken konnte so verdammt höflich sein. Mit seiner rhetorischen Frage deutete er an, sie selbst könne sich geirrt haben, aber das war ausgeschlossen. Die ersten Vorbesprechungen hatten schon vor anderthalb Monaten stattgefunden. Seit Wochen bereitete sie sich auf ihre neuen Aufgaben vor, und seit Tagen nahm sie unter der Haut ein elektrisches Vibrieren wahr, das von einer Mischung aus Beklommenheit und freudiger Erwartung herrührte. Der Fehler musste bei Ken liegen. Aber Ken machte keine Fehler.

      »Hast du heute oder gestern eine Terminlöschung vorgenommen?«, fragte sie.

      »Die Frage kann ich eindeutig mit Nein beantworten.«

      Erst gestern hatte sie den Dienstagtermin für die Massage abgesagt, weil sie sich den Abend hatte frei halten wollen. Ken aber hatte das vergessen – falls man in diesem Fall von »vergessen« sprechen konnte. Sie blickte in den Showroom hinunter. Alle Verkaufsmodelle waren ausgepackt und hatten ihre Routinen aufgenommen. Zwei Angestellte nahmen beiderseits des Eingangs Aufstellung, um die ersten Kunden zu begrüßen, und jeden Moment würde Zhang Sammo von seinem Büro aus die Doppeltür entsperren. Dann würde für das Himmlische Geschöpfe ein ganz normaler Arbeitstag beginnen.

      »Ken, verbinde mich mit Hosenga in Shenyang.« Hosenga leitete die dortige Filiale, und es war sicherlich kein Zufall, dass sie in diesem Moment ausgerechnet an diesen Langweiler dachte, der das Wort Überraschung vermutlich schon im frühen Kindesalter aus seinem Vokabular gestrichen hatte. Auf einmal hatte sie das Gefühl, die Luft aus der Klimaanlage sei mindestens zwei Grad kühler geworden.

      »Hosenga ist derzeit nicht im Büro«, meldete Ken.

      »Dann ruf Dadei in Chongqing an.«

      »Dadei ist nicht erreichbar«, meldete Ken nach wenigen Sekunden.

      »Wer sagt das?«

      »Ihre Sekretärin.«

      »Ist sie noch in der Leitung?«

      »Nein, aber ich kann sie gerne noch einmal anrufen. Soll ich mich erkundigen, wo Dadei sich aufhält?«

      »Tu das.«

      Während sie wartete, betraten die ersten Besucher den Ausstellungsraum, von den Empfangsdamen mit tiefen Verneigungen begrüßt. Es waren zwei Männer in dunklen, teuren Anzügen. Nach einem kurzen Blick in die Runde steuerten sie das Podium mit der Sternballerina an, die laut Funktionsbeschreibung auch für Küche und Haushalt geeignet war. Sie tauschten ein paar Bemerkungen aus, dann lupfte der eine ihr Kleid, und der andere zog ihr das Höschen herunter, wohl um zu prüfen, ob sie auch noch für andere Zwecke zu gebrauchen war.

      Xialong wandte sich angewidert ab. Sie hielt nichts vom Ab-achtzehn-Konzept der Premiumstores. Eine noch so geschmackvolle Präsentation konnte nicht verhindern, dass immer wieder Leute ohne Manieren den Weg in die Läden fanden. Wenn sie die Konzernleitung innehatte, würde sie die Sexbots aus den Läden herausholen und ganz ins Internet verbannen. Anstatt geiler Geldsäcke würden dann lachende Kinder die Läden bevölkern und sich zusammen mit ihren Eltern ihren neuen Spielkameraden aussuchen. Um diese Neuausrichtung durchzusetzen, musste sie jedoch erst die Konzernleitung übernehmen. Und dieses Ziel, die große Konstante ihres Lebens, schien auf einmal ohne ersichtlichen Grund zu wanken. Vielleicht war ihre Reaktion aber auch vorschnell und allein der enttäuschten Erwartung geschuldet – denn was bedeutete schon ein geplatzter Termin, ein Fehler im Programm? In diesem Moment meldete Ken sich zurück und verkündete, Dadei

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