Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman - Heinrich Mann страница 10

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

Скачать книгу

Schatten erregten ihm Furcht und Kitzel; jede Straßenecke lockte schauerlich. In enge Nebengassen ließ er sich ein wie in Abenteuer, hielt bei einem Wispern aus einem Fenster unter Herzklopfen den Schritt an. Hier und da ging eine Tür bei seinem Nahen leise auf, einmal streckte sich ein rosa bekleideter Arm nach Unrat aus. Er entfloh, ganz überrieselt, und sah sich unvermittelt am Hafen – zum zweitenmal heut, und er betrat diese Gegend sonst in Jahren nicht. Schiffe türmten sich schwarz, unter Rinnsalen von Mondlicht. Unrat kam auf den Gedanken, die Künstlerin Fröhlich sei darauf, sie schlafe in einer Kajüte; vor Morgengrauen werde das Nebelhorn brüllen und die Künstlerin Fröhlich davonfahren in ferne Länder. Bei dieser Vorstellung ward Unrats Drang zu handeln, zuzufassen, ganz ungestüm. Zwei Arbeiter stapften herbei, der eine von rechts, der andere von links. Dicht bei Unrat trafen sie sich, und der eine sagte:

      »Na, wo geit hen, Klaas?«

      Der zweite antwortete düster und im Baß:

      [52]»Duhn supen.«

      Unrat mußte sinnen über das Wort: wo er es heute schon gehört habe, und was es besage. Denn er hatte in sechsundzwanzig Jahren die Mundart nicht verstehen gelernt. Er folgte den beiden Proletariern und ihrem zu erschließenden Sprachschatz durch mehrere kotige »Twieten«. In einer etwas breiteren steuerten sie im Bogen auf ein weitläufiges Haus zu, mit ungeheurem Scheunentor, worüber vor dem Bilde eines blauen Engels eine Laterne schaukelte. Unrat vernahm Musik. Die Arbeiter verschwanden im Flur, der eine sang mit. Unrat bemerkte im Eingang einen bunten Zettel und las ihn. Er zeigte eine »Abendunterhaltung« an. Als Unrat in der Mitte war, stieß er auf etwas, das ihm Keuchen und einen Schweißausbruch verursachte, und fing, in der Furcht und der Hoffnung, sich geirrt zu haben, von vorn an. Auf einmal riß er sich los und stürzte sich in das Haus, wie in einen Abgrund.

      [53]IV

      Die »Diele« war ungeheuer breit und lang, die ehrliche Diele eines alten Bürgerhauses, worin nun »Nebendinge« getrieben wurden. Links kam aus einer halboffenen Tür Töpferasseln und ein Feuerschein. Über dem Eingang rechts stand »Saal«; und dahinter war ein dumpfer Wirrwarr von Lauten, woraus manchmal ein sehr schriller hervorstach. Unrat zauderte, ehe er die Klinke drückte; er spürte darin eine Handlung, schwer von Folgen … Ein sehr dicker, völlig unbehaarter kleiner Mann, der Bier trug, kam ihm entgegen. Er hielt ihn an.

      »Verzeihen Sie«, stammelte er, »wäre die Künstlerin Fröhlich wohl zu sprechen?«

      »Was wollen Sie mit die denn sprechen?« fragte der Mann. »Die spricht jetzt nich, die singt. Hören Sie man mal zu.«

      »Sie sind wohl der Herr Wirt zum Blauen Engel? Nun, das ist wahrlich recht brav. Ich bin nämlich der Professor Raat vom hiesigen Gymnasium und komme wegen eines Schülers, der hier zu finden sein soll. Können Sie mir vielleicht sagen, wo er ist?«

      »Tjä, Herr Professer, denn gehn Sie man gleich ’n bischen in das Hinterzimmer zu die Künstlers, da sitzen die schungen Herrn jä immer ein.«

      »Sehen Sie wohl«, sagte Unrat strafend, »das dachte ich mir. Sie müssen zugeben, Mann, daß das nicht in der Ordnung ist.«

      »Tjä« – und der Wirt zog die Brauen hoch, »mich is das man puttegal, wer für die Mädchen das Abendbrot bezahlt. Die schungen Herrn haben noch eigens Wein bestellt, [54]mehr kann unsereiner warraffig nich verlangen. Wenn ich meine Kunden vorn Kopp stoßen will, denn muß ich jä woll was hintenvor kriegen.«

      Unrat lenkte ein.

      »Drum denn, mag’s gut sein. Aber gehen Sie jetzt nunmehr hübsch hinein, Mann, und holen Sie mir den Burschen heraus.«

      »Deubel, Herr, gehn Sie selber!«

      Aber Unrats Abenteuermut war dahin, er wünschte, er hätte den Aufenthalt der Künstlerin Fröhlich nie entdeckt.

      »Muß ich denn da durch den Saal?« fragte er mit Bangen.

      »Tjä, das is woll nich anders, un denn in die Stube da achter, wo hier das Fenster von zu sehn is mit die rote Gardine vor.«

      Er ging einige Schritte mit Unrat gegen den Hintergrund der Diele und zeigte ihm eine ziemlich große, von innen rot verhängte Scheibe. Unrat wollte hindurchspähen; inzwischen kehrte der Wirt mit seinem Bier an die Saaltür zurück und öffnete sie. Unrat eilte herbei, mit ausgestreckten Armen; er bat, mit dem Ausdruck der Not.

      »Lieber Mann, so holen Sie mir doch den Schüler heraus!«

      Der Wirt, schon drinnen, wendete sich unwirsch um.

      »Welcher soll es überhaupts sein. Da sitzen jä drei auf einen Hümpel … Oll Döhsbattel«, setzte er hinzu und ließ Unrat stehen.

      »Drei?« wollte Unrat fragen; aber er befand sich nun auch schon im Saal, betäubt vom Lärm, blind von dem wütend heißen Dampf, der seine Brillengläser beschlug.

      »Tür zu, hier zucht es!« hörte er neben sich rufen. Er tappte erschreckt nach der Klinke, traf sie nicht, und hörte, wie man lachte.

      [55]»Hei speelt Blindekoh«, sagte dieselbe Stimme.

      Unrat nahm die Brille ab; er fand die Tür schon geschlossen, sah sich gefangen und äugte ratlos umher.

      »O Minsch, Laurenz, dat is jä de schnakige Kierl von hüt Namiddag. Weitst nich miehr, hei wüll den Heuerbas upptreggen.«

      Unrat verstand nicht, er fühlte nur den Aufruhr um sich und gegen sich. Wie schon alles über ihm zusammenschlug, entdeckte er am Tisch gleich neben sich einen freien Stuhl; er brauchte sich nur zu setzen. Er lüftete den Hut und fragte:

      »Sie erlauben vielleicht?«

      Eine Weile wartete er auf die Antwort, dann ließ er sich nieder. Sogleich fühlte er sich in der Menge versunken, seiner drückenden Ausnahmestellung enthoben. Niemand achtete im Augenblick auf ihn. Die Musik war wieder losgegangen; seine Nachbarn sangen mit. Unrat putzte seine Brillengläser und trachtete sich zurechtzufinden. Durch den Qualm der Pfeifen, der Leiber und der Groggläser sah er zahllose Köpfe, die alle die gleiche dumpfe Seligkeit besessen hielt, hin und her schwanken, wie die Musik es wollte. Sie waren von Haar und Gesicht brandrot, gelb, braun, ziegelfarben, und das Schaukeln dieser von Musik in das Triebleben zurückgebannten Gehirne ging wie ein großes buntes Tulpenbeet im Winde durch den ganzen Saal, bis es sich, dahinten, im Rauch verfing. Dahinten durchbrach nur etwas Glänzendes den Rauch, ein sehr stark bewegter Gegenstand, etwas, das Arme, Schultern oder Beine, irgend ein Stück helles Fleisch, bestrahlt von einem hellen Reflektor, umherwarf und einen großen Mund dunkel aufriß. Was dieses Wesen sang, vernichtete das Klavier, [56]zusammen mit den Stimmen von Gästen. Aber es dünkte Unrat, als sei die Frauensperson selbst anzusehen wie ein Gekreisch. Ein Laut, dünn und von keinem Donner totzumachen, ging manchmal von ihr aus.

      Der Wirt stellte ein Glas vor ihn hin und wollte weiter. Unrat hielt ihn am Rock fest.

      »Aufgemerkt nun also, Mann! Ist jene Sängerin etwa das Fräulein Rosa Fröhlich?«

      »Tjä, das is sie nu woll. Nu genießen Sie es man, daß Sie da sind.«

      Und der Wirt machte sich los.

      Unrat hoffte gegen alle Vernunft, sie möchte es nicht sein, der Schüler Lohmann möchte nie den Fuß in dies Haus gesetzt haben, damit Unrat des Handelns überhoben wäre. Es zeigte sich ihm jäh die Möglichkeit, das Gedicht in Lohmanns Aufsatzheft sei reine Poesie, der in der Wirklichkeit nichts

Скачать книгу