Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich Mann

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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

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      »Ich bin ganz närrsch drauf.«

      Er griff in seinen Rock, errötete wolkig, zog die Hand leer zurück, wagte es noch einmal … Sie las endlich Lohmanns Verse, angestrengt, wie ein Kind über der Fibel. Dann, aufwallend:

      »Das is aber wirklich ’ne Niedertracht. ›Und kommst du erst mal in die Wochen‹. Wer woll eher in die Wochen kommt.«

      Und nachdenklich:

      »Aber so dumm wie ich dachte, is er nich mal.«

      »Sehen Sie wohl, Sie kennen ihn!«

      Sie, sehr schnell:

      »Wer sagt das? Nee, Männeken, fangen gibt’s nich.«

      Unrat sah sie giftig an. Plötzlich stampfte er auf; so viel hartnäckige Verlogenheit nahm ihm die Fassung. Ohne nachzudenken, log er selbst.

      »Ich weiß es, ich habe ihn ja gesehen!«

      »Denn is alles in Ordnung«, sagte sie gelassen … »Übrigens, jetzt möcht’ ich ihn wohl kennen lernen.«

      Sie beugte unerwartet ihre Büste vor, tastete mit ganz leichten Fingern unter Unrats Kinn, auf die kahlen Flecken zwischen seinen Barthaaren, und machte einen Mund, wie zum Saugen.

      »Stellen Sie ihn mir vor, ja?«

      Aber sie mußte lachen; er sah aus, als ob ihre zwei leichten Finger ihn erdrosselten.

      »Ihre Schüler sind überhaupt flotte Jungen. Das kommt gewiß, weil sie so ’nen flotten Lehrer haben.«

      [76]»Welchen mögen Sie von den jungen Leuten denn nun wohl am liebsten?« fragte Unrat, unerklärlich gespannt.

      Sie ließ ihn los und bekam ohne Übergang wieder ein ganz stilles, vernünftiges Gesicht.

      »Wer sagt Ihnen, daß ich von den dummen Jungen überhaupt einen mag. Wenn Sie wüßten, unsereiner – all die Windbeutel gäb’ ich mit Freuden hin für einen bessern Mann in reifern Jahren, dem es nich bloß wegen dem Amüsieren is, sondern mehr wegen dem Herzen und wegen dem Reellen … Das wissen die Männer man nich«, setzte sie hinzu, mit leichter Trauer.

      Die beiden dicken Leute kamen zurück. Die Frau fragte, noch ehe sie verschnauft hatte:

      »Nu, wie hat er sich geschickt?«

      Das Klavier machte sich sofort an das Nächste.

      »Na, rin ins Vergnügen«; und die Künstlerin Fröhlich legte sich einen Shawl über die Schultern und ward dadurch noch bunter.

      »Sie wollen nu woll nach Haus?« fragte sie. »Das begreif’ ich; ’n Paradies is es hier ja nich. Aber Sie müssen morgen wiederkommen, wissen Sie, sonst machen Ihre Schuljungen hier Unfug, das können Sie sich selber sagen.«

      Und sie ging.

      Unrat war noch verwirrt durch den seltsamen Abschluß ihres Gesprächs, er ließ wortlos über sich bestimmen. Der Artist öffnete die Tür.

      »Gehen Sie man immer hinter mir her, dann kommen Sie ohne Krawall durch.«

      Unrat folgte ihm um den Saal herum, durch eine freie Bahn, die er vorhin verfehlt hatte. Ein Stück vorm Ausgang [77]schwenkte der Artist ab. Unrat sah nochmals dahinten ein Paar Arme, eine Schulter, irgendein heftig beleuchtetes Stück Fleisch inmitten einer Drehung bunter Farben aufglänzen, über dem Rauch, über dem Lärm … Er war draußen. Der Wirt kam eben wieder mit dem Bier; er rief:

      »Nabend auch, Herr Professer, und beehren Sie mein Lakal bald wieder!«

      Im Torgang verweilte Unrat noch und suchte sich wiederzufinden. Er verspürte die Wirkung der kalten Luft auf seinen Kopf und bemerkte, daß ohne Wein und Bier zu der ungewohnten Stunde dieses ganze Erlebnis schwer zustande gekommen wäre … Er machte einen Schritt auf das Gäßchen und erschrak: an der Hauswand lungerten drei Gestalten. Er schielte hin aus den Brillenecken; und es waren Kieselack, von Ertzum und Lohmann.

      Unrat machte eine scharfe Wendung; hinter sich hörte er ein Schnaufen, das aus der breitesten der drei Brüste kommen mußte, aus Ertzums Brust, und das nach Empörung klang. Da erscholl Kieselacks Quetschstimme:

      »In dem Haus, wo eben einer rausgekommen is, soll es aber ’ne ganze Masse sittlichen Unrat geben.«

      Unrat zuckte empor; vor Wut und Angst fletschte er die Zähne.

      »Ich werde Sie alle zerschmettern. Morgen bringe ich – wahrlich doch! – das Geschehene zur Anzeige!«

      Niemand antwortete. Unrat machte nochmals kehrt und schlich zwei, drei Schritte weiter, in einem drohenden Schweigen. Da, ganz langsam, sagte Kieselack, und Unrat zuckte bei jedem der zwei Worte mit dem Nacken:

      »Wir auch!«

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