Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich Mann

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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

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Gespanntheit nachzulassen – abzurüsten, sei es nur auf ein Viertelstündchen.

      Der dicke Mann holte unter einem Paar Unterhosen zwei deutsche Flaggentücher hervor, schnaufte und blinzelte dabei Unrat zu, als sei er mit ihm im Einverständnis. [66]Die dicke Frau hatte alle Schrecken verloren; Unrat hatte Muße gehabt zu erkennen, daß die scheinbare Abgefeimtheit ihres Blickes durch schwarze Malerei künstlich erzeugt war. Nur zu der Künstlerin Fröhlich fand er kein unbefangenes Verhältnis. Doch stand sie abgewendet und mit sich beschäftigt; sie nähte an ihren aufgerafften Rock ein Gewinde von Stoffblumen.

      Das Klavierstück endete mit Wucht. Es klingelte. Der Artist sagte:

      »Wir müssen raus, Guste.«

      Und zu Unrat, gönnerhaft:

      »Sehen Sie sich das man mal an, Herr Professor, wie wir arbeiten.«

      Er warf seine alte Jacke ab, die Frau ihren Abendmantel. Sie drohte Unrat noch mit dem Finger:

      »Nur immer hübsch anständig mit der Rosa. Nich wieder so temperamentvoll.«

      Da ward die Tür von draußen halb aufgemacht, und Unrat sah mit Erstaunen die beiden dicken Leute ganz unvermittelt in ein anmutiges Getänzel verfallen und, die Arme rückwärts gestemmt und den Kopf im Nacken, ein von sich selbst entzücktes Lächeln annehmen, das zu Beifall herausforderte. Wirklich ging, kaum daß sie dem Saal zu Gesicht kamen, ein erfreutes Lärmen an.

      Die Tür hatte sich geschlossen, Unrat war allein mit der Künstlerin Fröhlich. Er war in Unruhe darüber, was nun kommen würde, und schlich mit den Augen durch das Zimmer. Beschmutzte Handtücher trieben sich am Boden umher, auf dem Wege von dem Toilettenspiegel mit den Blumensträußen bis zum Tisch, neben dem er saß. Außer den zwei Weinflaschen trug der Tisch viele Gläser und [67]Büchsen mit allerlei Fetten, nach denen es roch. Die Weingläser standen auf Notenblättern. Unrat rückte das seinige ängstlich aus der Nähe eines Korsetts, das die dicke Frau daneben gelegt hatte.

      Auf einen der mit abenteuerlichen Kleidungsstücken bedeckten Stühle stützte die Künstlerin Fröhlich ihren Fuß, indes sie nähte. Unrat sah es nicht selbst: so viel unternahm er nicht; er erfuhr es nur durch den Spiegel, dem sie zugekehrt stand. Daraus ging bei Unrats erstem, gehetztem Hinsehen hervor, daß auf ihren langen, sehr langen schwarzen Strümpfen veilchenblaue Stickerei war. Eine Weile wagte Unrat nichts mehr. Dann machte er die angstvolle Entdeckung, daß ihr zwischen den Maschen eines schwarzen Netzes blau hervorschimmerndes Seidenkleid nicht einmal bis unter die Achseln reichte, und daß, so oft sie mit Nadel und Faden weit in die Luft fuhr, in der Höhle unter ihrem Arm etwas Blondes erschien. Darauf sah Unrat nicht mehr hin …

      Die Stille bedrückte ihn. Auch draußen ging es viel ruhiger zu als vorher. Nur kurze, gestöhnte Laute, etwas heiser und verfettet, wie von dicken Leuten, die sich abarbeiteten. Nun völliges Schweigen; darin das Ächzen und Klirren von etwas Metallischem, das gebogen ward. Etwas schwer zu Bestimmendes, wie das Atmen einer Menge. Plötzlich das Wort »Ab« und zwei schwere Plumpse, kurz nacheinander. Und aus dem losbrechenden Beifall hervor: »Gottsdunner!« und »Nu soll doch!«

      »Das war gemacht«, sagte die Künstlerin Fröhlich und hob den Fuß vom Stuhl. Sie war fertig.

      »Na und Sie? Sie sagen ja gar nischt mehr.«

      Unrat mußte wohl hinsehen; aber sie verwirrte ihn [68]gleich wieder durch ihre Buntheit. Ihr Haar war rötlich, eigentlich rosig, fast lila, und enthielt mehrere geschliffene grüne Glasstücke, in ein verbogenes Diadem gefaßt. Die Brauen über den trockenblauen Augen waren sehr schwarz und kühn. Aber der Glanz der schönen bunten Farben in ihrem Gesicht, rot, bläulich, perlweiß, hatte gelitten vom Staub. Die Frisur sah eingesunken aus, und als sei von ihrer Leuchtkraft etwas davongeflogen in den qualmigen Wirtssaal. Die blaue Schleife an ihrem Hals hing welk, die Stoffblumen um ihren Rock nickten mit toten Köpfen. Der Lack blätterte von ihren Schuhen, zwei Flecke waren auf ihren Strümpfen, und die Seide ihres kurzen Kleides schillerte aus ermatteten Falten. Das schwach gerundete, leichte Fleisch ihrer Arme und ihrer Schultern kam einem abgegriffen vor, trotz seiner Weiße, die bei jeder raschen Bewegung davon abstäubte. Ihr Gesicht kannte Unrat schon sehr hochfahrend, mit feindseligen Zügen, die noch in der Bildung waren, und die die Künstlerin Fröhlich bislang leicht glättete und vergaß. Sie lachte los, über die Welt, über sich selbst.

      »Und vorhin waren Sie noch so lebhaft«, setzte sie hinzu.

      Aber Unrat horchte. Plötzlich machte er einen steifen Sprung, wie eine alte Katze. Die Künstlerin Fröhlich entwich mit dünnem Aufkreischen. Unrat riß das rote Fenster auf … Nein, der Kopf, dessen Umriß er hinter der Gardine bemerkt hatte, war schon wieder weg.

      Er kam zurück.

      »Sie erschrecken ja die Leute«, sagte sie. Er, ohne sich zu entschuldigen, ganz bei der Sache:

      »Sie kennen wohl viele junge Leute aus hiesiger Stadt?«

      Sie drehte sich leicht in den Hüften hin und her.

      [69]»Ich bin mit jedem höflich, der anständig zu mir ist.«

      »Ei freilich. Da würde denn wohl. Und die Schüler vom Gymnasium haben im allgemeinen traun recht zierliche Sitten?«

      »Ja, glauben Sie denn, ich sitz’ hier tagtäglich mit Ihrer ganzen Schulstube? Ich bin doch keine Kindergärtnerin.«

      »Das hinwiederum zwar nicht.«

      Nachhelfend, in mahnendem Ton:

      »Meistens tragen sie Mützen.«

      »Wenn sie Mützen tragen, kenn’ ich sie. Überhaupt ist man ja nich ohne Erfahrung.«

      Er griff zu:

      »Nein, das sind Sie wohl sicherlich nicht.«

      Sofort setzte sie sich zur Wehr.

      »Wie meinen Sie das, bitte?«

      »Ich meinte Menschenkenntnis –«

      Er kehrte ihr die Fläche einer erhobenen Hand zu, erschreckt und um Frieden bittend.

      »Menschenkenntnis meine ich. Nicht jeder hat die; die ist schwer – und bitter.«

      Um ihre Gunst nicht zu verlieren, um sich ihr zu nähern, weil er sie brauchte, weil sie ihm Furcht machte, gab er etwas von sich preis, mehr als sonst das Volk zu sehen bekam.

      »Und bitter. Erkannt aber fürwahr muß man sie haben, um sie sich dienstbar zu machen und, sie verachtend, über sie zu herrschen.«

      Sie hatte verstanden.

      »Nich wahr? Is das ’ne Kunst, aus dem Pack was rauszuschlagen!«

      Sie zog sich einen Stuhl heran.

      »Haben Sie ’ne Ahnung von dem Dasein. Jeder, der hier [70]rein kommt, meint, man hat bloß auf ihn gewartet. Alle wollen was, und nachher, das glaubt man gar nich, droht einer womöglich mit der Polizei! Sie –«

      Und sie berührte mit der Fingerspitze sein Knie.

      »– kommen einem mit der gleich vorher. Das hat was für sich.«

      »Die einer Dame geschuldete Ehrerbietung wollte ich dadurch keineswegs verletzen«, erklärte

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