Die Abenteuer des Kapitän Hatteras. Jules Verne
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»Gut!« erwiderte Clifton mit Achselzucken. »Sie werden sehen, dass man so leicht nicht den Polarkreis überschreitet!«
Wie dem auch sein mag, die Anstrengungen der Mannschaft waren im Laufe dieses Tages, freitags, ohne hinreichenden Erfolg. Obgleich der Forward mit voller Dampfkraft wider die Eisberge anfuhr, gelang es ihm nicht, sie zu trennen; man musste während der Nacht sich festankern.
Am Samstag wurde infolge eines Ostwindes die Temperatur noch niedriger; das Wetter hellte sich auf, und der Blick konnte weithin über die weißen Ebenen schweifen, welche durch den Reflex der Sonnenstrahlen blendend wurden. Um sieben Uhr vormittags zeigte das Thermometer acht Grad unter Null (-21° hundertteilig).
Der Doktor war versucht, ruhig in seiner Kabine zu bleiben und Reisebeschreibungen nach dem Polarmeer zu lesen, aber er fragte sich, seiner Gewohnheit nach, was ihm in diesem Augenblick am unangenehmsten zu tun sein würde. Die Antwort war, bei diesem Kältegrad sich auf das Verdeck zu begeben und der Mannschaft zu helfen, wäre nicht sehr erquicklich. Daher verließ er, treu an seiner Regel festhaltend, seine wohlgeheizte Kabine und half mit beim Fortbringen des Schiffes. Er sah hübsch aus mit seiner grünen Brille, vermittels welcher er seine Augen gegen den Reflex der Sonnenstrahlen schützte; und bei seinen künftigen Untersuchungen war er stets sorgfältig mit Schneebrillen versehen, um Augenkrankheiten zu vermeiden, welche unter diesen hohen Breiten sehr häufig vorkommen.
Gegen Abend war der Forward einige Meilen nördlich vorwärtsgekommen, dank der Tätigkeit der Leute und der Geschicklichkeit Shandons, der gewandt alle günstigen Umstände zu benutzen wusste; um Mitternacht kam er über den sechsundzwanzigsten Breitengrad, und da die Sonde dreiundzwanzig Ellen Tiefe ergab, erkannte Shandon, dass er sich über dem niedrigen Grunde befand, worauf die Victoria sitzengeblieben war. Dreißig Meilen östlich war man dem Lande nahe.
Nun aber spaltete sich die bisher unbewegliche Eismasse und setzte sich in Bewegung; die Eisberge schienen auf allen Seiten am Horizont aufzuwachsen; die Brigg befand sich also zwischen einer Reihe schwimmender Klippen, welche mit unwiderstehlicher Gewalt zertrümmern; die Lenkung ward sehr schwierig für Garry, den besten Steuerer, am Ruderstock; die Berge drohten sich hinter der Brigg wieder aneinanderzuschließen. Durch diese Eisflotte musste man notwendig hindurch, und Klugheit wie Pflicht befahl, vorwärtszudringen. Die Schwierigkeiten wuchsen noch dadurch, dass es Shandon unmöglich ward, inmitten dieser wechselnden Punkte, welche die Stelle änderten und keine feste Perspektive gewährten, die Richtung des Schiffes zu bestimmen.
Die Mannschaft war in zwei Reihen auf der rechten und linken Seite des Schiffes verteilt; jeder derselben hatte eine lange Stange mit eiserner Spitze, um die allzu bedrohlichen Eisblöcke zurückzustoßen. Bald geriet der Forward in eine so enge Gasse zwischen zwei hohen Blöcken, dass die Enden seiner Stengen1 an den Wänden rieben, die so hart wie Felsen waren; allmählich befand er sich mitten in einem gewundenen Tal voll wirbelndem Schneegestöber, während die schwimmenden Eisblöcke widereinander stießen und mit unheimlichem Krachen zerbröckelten.
Aber bald stellte sich’s heraus, dass diese Gasse ohne Ausgang war; ein enormer Block, der in diese Enge geraten war, trieb rasch auf den Forward zu; ihm auszuweichen schien unmöglich, und ebenso unmöglich auf einem bereits versperrten Weg rückwärts zu fahren.
Shandon und Johnson erwogen, vorn auf der Brigg stehend, ihre Lage. Der erstere gab mit der rechten Hand dem Steuerer die Richtung an, welche zu nehmen war, und mit der Linken ließ er dem neben dem Ingenieur stehenden James Wall seine Befehle für Leitung der Maschine zugehen.
»Wie wird das enden?« fragte der Doktor Johnson.
»Wie es Gott fügt«, erwiderte der Rüstmeister.
Der hundert Fuß hohe Eisblock war nur noch eine Kabellänge von der Forward entfernt und drohte ihn zu zerbröckeln.
»Donner und Teufel!« fluchte Pen.
»Stille!« rief eine Stimme, die man im Sturm nicht zu erkennen vermochte.
Der Block schien auf die Brigg stürzen zu wollen, und es entstand einen Augenblick unbeschreibliche Angst; die Männer ließen ihre Stangen und flüchteten trotz der Befehle Shandons aufs Hinterteil.
Plötzlich vernahm man ein erschreckliches Getöse; eine wirkliche Trombe2 fiel auf das Verdeck des Schiffes, das von einer ungeheuren Woge emporgehoben wurde. Die Mannschaft stieß einen Schrei des Entsetzens aus, während Garry am Steuer den Forward trotz seinem erschrecklichen Gieren in guter Richtung hielt.
Und als nun die erschrockenen Blicke sich auf den Eisberg richteten, war dieser verschwunden; die Fahrt war frei, und es war der Brigg über einem langen, von schiefen Sonnenstrahlen erhellten Kanal hinaus weiterzufahren gestattet.
»Nun, Herr Clawbonny«, sagte Johnson, »können Sie diese Erscheinung erklären?«
»Es ist eine sehr einfache Sache, Freund«, erwiderte der Doktor, »und die oft vorkommt. Wenn zurzeit des Tauwetters diese schwimmenden Massen sich voneinander lösen, treiben sie isoliert und in völligem Gleichgewicht; aber allmählich, wenn sie südlicher in ein verhältnismäßig wärmeres Wasser kommen, fängt ihre durch das Anstoßen an andere Blöcke bereits erschütterte Basis an zu schmelzen, schwächer zu werden; es kommt daher ein Moment, wo der Schwerpunkt dieser Massen sich ändert, dann purzeln sie zusammen. Wenn nun dieser Eisberg zwei Minuten später gestürzt wäre, so wäre er über die Brigg gefallen und hätte sie im Fallen zerschmettert.«
1 Spenge: Verlängerung des Mastes <<<