Optimierung des Menschen. Группа авторов

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Optimierung des Menschen - Группа авторов Gesellschaftspolitische Texte des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim

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Aber er hat an sich selber die Frage gestellt: „Was tut man?“ Und der Ingenieur in ihm hat ihm die Antwort gegeben. Er hat nämlich die Vögel beobachtet und viele dieser Vögel sind gekommen und haben sich dann von den Überresten, was der Minotaurus übergelassen hat, haben sie sich ernährt und haben ihre Federn da liegen gelassen.

      Und er hat diese Federn genommen und hat die Flügel der Vögel genau beobachtet und hat sich selber Flügel gebaut aus diesen Federn und hat diese Federn verbunden mit Wachs. Er hat zwei Paar Flügel gebaut, für sich und seinen Sohn Ikaros. Er hat ihm genau erzählt, seinem Sohn, wie er zu tun hat, dass sie fliegen. Und er hat zu Ikaros noch gesagt: „Pass auf, flieg nicht zu tief! Sonst kann’s sein, dass deine Flügel mit dem Meer in Berührung kommen. Dann werden sie zu schwer, dann wirst du ertrinken. Aber flieg nicht zu hoch, weil die Sonne dann zu heiß ist und das Wachs zu schmelzen beginnt. Dann wirst du abstürzen.“ So haben sie dann das Labyrinth verlassen, aber den Ikarus, den hat es so gefreut, dass er so fliegen kann, ist so hoch hinausgeflogen und die Sonne hat das Wachs geschmolzen und er ist abgestürzt.

      Der Daidalos hat’s geschafft, er hat sich irgendwo versteckt. Bei einem anderen König ist er in Dienst getreten, der hatte Kinder. Die wollten schöne Puppen haben. Dann hat er sich erinnert, wie das war und dann hat er ihnen so kleine Maschinen gebaut. Aber der Minos wollte ihn wieder zurückhaben und der Minos hat gewusst, den lockt nur eine Aufgabe. Er hat in die Welt hinausposaunt: „Wem es gelingt, einen Faden durch ein Tritonshorn, also durch eine Muschel zu ziehen, einen Faden durch alle diese Kammern dieses Horns zu ziehen, den werde ich groß belohnen.“ Er hat gewusst, es gibt nur einen, der das kann – und wahrscheinlich wird das der Daidalos sein. Der hat das auch gekonnt, der Daidalos. Wie hat er das gemacht? Der hat eine Ameise genommen und hat an ihr Hinterbein einen dünnen Faden gebunden, hat am Ende des Tritonshorns ein bisschen Honig hingeschmiert und so ist sie durchgegangen, durch das ganze Tritonshorn. Am Schluss hat er’s dann machen können. Allerdings ist es ihm nicht gelungen, dem Minos, den Daidalos einzufangen. Der ist dann irgendwo anders hingegangen, seine Spur verliert sich. Manche behaupten er sei nach Ägypten ins Exil gezogen. Manche behaupten, bis heute könne man in Ägypten bestaunen, was er dort gebaut hat, der Daidalos.

       Konrad Paul Liessmann:

      Ja, meine Damen und Herren, diese antiken Mythologien, diese antiken Geschichten haben immer wieder Interpretationen nach sich gezogen und man könnte sagen, jede Zeit kann diese Geschichten neu interpretieren, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen. Diese Daidalos-Geschichte ist natürlich immer tradiert worden und auch in der bildenden Kunst behandelt worden, aber meistens nur unter einem Gesichtspunkt, nämlich dem Flug des Ikaros. Also diesem Absturz des Ikaros. Und darüber hat man vielleicht vergessen – gerade aus unserer Perspektive, aus der Perspektive der wissenschaftlich-technischen Zivilisation – wie viele interessante Aspekte eigentlich diese alte Geschichte, dieser Mythos darüber hinaus noch für uns bereithält. Wenn man vielleicht im 18. Jahrhundert, im 15. Jahrhundert, in der Spätantike oder auch noch im 19. Jahrhundert diese Aspekte nicht sehen musste, weil man in diesen Zeiten die Probleme, die wir heute haben, eben nicht kannte.

      Zum Beispiel, ich fang’ wieder mit einer ersten Anekdote an, die Michael Köhlmeier erzählt hat, dass Daidalos als Künstler begonnen hat, der tatsächlich Kunstwerke schaffen wollte, die ununterscheidbar vom Menschen sind. Wir wissen, dass natürlich immer wieder Künstler versucht haben, den Menschen so darzustellen als Kunstwerk, dass er aussieht wie. Aber auch noch der genialste Maler, wir wissen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur ein Gemälde ist, auch wenn’s tatsächlich – heute würde man sagen, aussieht wie eine Fotografie – aber es ist nicht der Mensch. Der genialste Bildhauer kann natürlich Menschen so schaffen, dass sie verwechselbar erscheinen bis zu dem Moment wo man draufkommt: Aber der steht dort. Der kann sich nicht bewegen. Der spricht nicht. Das ist also doch nur eine Statue und kein wirklicher Mensch. Heute wissen wir, dass viele Computerpioniere und Roboteringenieure daran arbeiten, Roboter zu bauen, die tatsächlich verwechselbar mit einem Menschen sind und es ist ein altes Problem, das wir, seit wir den Computer erfunden haben, vor uns hertragen und vor uns herschieben: Wie gehen wir mit künstlichen Intelligenzen um, die aussehen wie Menschen, sich verhalten wie Menschen, sprechen wie Menschen, aber keine Menschen sind? Das, könnte man sagen, ist das Daidalos-Problem.

      Sie kennen ihn vielleicht, es gibt einen japanischen Ingenieur, der ein Duplikat von sich selbst gemacht hat – einen Roboter, der genauso aussieht wie dieser Ingenieur, der sprechen kann, der etliche Vorträge dieses Ingenieurs einprogrammiert hat und wenn er eingeladen wird zu einem Kongress, stellt er immer die Kongressverantwortlichen vor die Wahl: Soll ich kommen oder soll mein Roboter kommen? Und alle wollen den Roboter haben. Keiner will mehr den Menschen haben, denn der hält denselben Vortrag, der kann auch rudimentär kommunizieren, der kann die Hand geben und es ist eine Maschine, die aussieht wie ein Mensch. Faszinierend! Es sind ganz wesentliche Aspekte in dieser Daidalos-Geschichte schon dringesteckt. Wie werden wir mit Wesen umgehen, die künstliche Wesen sind, aber tatsächlich menschliche Verhaltensweisen haben? Und es gibt – Sie werden vielleicht lachen – aber das hat mit diesen Optimierungsfragen natürlich zu tun, es gibt in meiner Disziplin, in der Philosophie, seit einem Jahr eine sehr ernsthafte Diskussion: Wie weit müssen künstliche Intelligenzen entwickelt sein, dass wir gar nicht umhinkönnen, ihnen Menschenrechte zu verleihen? Das heißt, wir debattieren heute nicht mehr nur über Menschenrechte für Menschenaffen, sondern Menschenrechte für artificial intelligence. Wo ist der Punkt? Wann sind sie ununterscheidbar? Wann kann ich eine Maschine nicht mehr als Maschine, sondern muss ich sie als menschliches Wesen mit seinen eigenen Interessen behandeln? Dann wäre es also eine Art von Mord, einen Computer von der Steckdose zu nehmen. Das ist das Eine.

      Das Zweite, was gerade auch mit der Geschichte dieses Ortes zu tun hat: Daidalos war offensichtlich wirklich der erste Prototyp dieses – Michael Köhlmeier hat’s angedeutet – gewissenlosen Ingenieurs. Gewissenlos deshalb, weil er alles nur unter dem Aspekt eines technischen Problems gesehen hat. Egal welche Aufgabe ihm gestellt wird, er sieht sie nur unter der Perspektive: Lässt sie sich technisch lösen? Ob diese Aufgabe selber moralisch gerechtfertigt, politisch erwünscht oder unerwünscht, irgendwelche ethischen Dimensionen hat, die vielleicht diskutierbar sind, hat ihn nicht interessiert. Eine Königin will sich mit einem Stier vereinen, was das für den Mann bedeutet, was das für das Königreich bedeutet, was das für den Stier bedeutet, das interessiert ihn überhaupt nicht. Ihn interessiert nur: Lässt sich dieses Problem technisch lösen? Und er hat – wie Köhlmeier erzählt hat – eine technische Lösung gefunden. Diese technische Lösung hat aber ziemlich viele Probleme mit sich gebracht, weil Minotaurus Menschen gefressen hat. Derjenige, der dieses Problem verursacht hat, nämlich der Ingenieur Daidalos, war auch derjenige, der dieses Problem wieder gelöst hat, nämlich durch das Labyrinth. Für ein politisches Problem eine technische Lösung.

      Und sie wissen, dass das, was auf Schloss Hartheim hier passiert ist, diese Euthanasieprogramme der Nationalsozialisten, nicht möglich gewesen wäre ohne Ärzte, ohne Ingenieure, ohne Techniker, die sich nicht gefragt haben: „Wie legitim ist das, was ich hier tue?“ Sondern, die es nur als technisches Problem gesehen haben und die natürlich dann nach dem Ende des sogenannten Dritten Reiches gar keine Probleme hatten, ihre technische Intelligenz einem anderen Herrn anzudienen. Derselbe Mann, der für die Nazis die ersten sprengstofftragenden Raketen gebaut hatte, mit der zum Beispiel englische Städte angegriffen worden sind, derselbe Mann hat die Raketen gebaut, die die ersten Amerikaner zum Mond gebracht haben, Wernher von Braun. Ein später Nachfahre des Daidalos.

      Stichwort: Raketenbau. Das ist sozusagen das Dritte, für das Daidalos berühmt geworden ist: Der erste Mensch, der fliegen konnte. Auch hier war’s für ihn nicht eine Utopie, die er realisiert hat, sondern er musste ein Problem lösen. Nämlich das Problem, wie kommt er jetzt aus dem von ihm selbst gebauten Labyrinth raus. Beachten Sie die unglaublich starke Symbolkraft dieses Bildes: Die Technik, die uns in ein Problem hineinstürzt, aus dem uns nur Technik wieder befreien kann. Seien wir uns ehrlich, die meisten Probleme, die wir heute auf der Welt haben – nicht alle, aber doch sehr viele – sind Resultat von Technik. Warum haben

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