Optimierung des Menschen. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Optimierung des Menschen - Группа авторов страница 10

Optimierung des Menschen - Группа авторов Gesellschaftspolitische Texte des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim

Скачать книгу

nicht trinke, werde ich bald sterben. Mein Dulderleben wird relativ kurz gewesen sein und dann werde ich vielleicht doch noch ein Pflasterstein in der Hölle.“ Und er hat getrunken von der Milch der Rehkuh. Die hat ihm unglaublich gut geschmeckt, er hat sich sofort verboten weiterzutrinken, aber es hat immerhin bewirkt, dass er lebt. Immer wieder hat er von dieser Milch getrunken und so hat er leben können. Er hat immer zu Gott gebetet, er möge ihm doch alle Qualen schicken, die er sich nur einfallen lassen kann. Ein bisschen bibelbelesen war er und hat gesagt: „Bitte mach aus mir doch einen zweiten Hiob und ich werde dafür sorgen, dass ich lange lebe, indem ich immer ein bisschen von der Milch trinke.“ Und so ist es gewesen. Er hat ausgesehen wie ein Tier, hat in einem hohlen Baum gelebt, zusammen mit dieser Rehkuh.

      Eines Tages kam König Wamba. König Wamba war ein sehr sehr frommer König, der aber gerne auf die Jagd ging. Und der König Wamba ist hinter der Rehkuh her, die hat ihm gefallen. Er hat gesagt: „Die schieß ich!“ Die Rehkuh läuft dahin, läuft zu diesem hohlen Baum, in dem der Ägidius haust und der Ägidius kommt heraus und stellt sich vor seine Rehkuh hin und schreit den König Wamba an: „Wir alle sind Tiere und wenn du schon schießt, dann schieß auf mich und nicht auf dieses Reh, das ich beschützen möchte, weil es mir mein Leben gerettet hat.“ Der König Wamba hat ihn angeschaut und gesagt: „Ja, der sagt es ja selber – wir alle sind Tiere. Der sieht auch aus wie ein Tier. Das kann zwar reden …“ Aber das war zu einer Zeit, da ist das durchaus vorgekommen, dass Tiere reden konnten und Menschen das verstanden haben und er sagt: „Wenn der das selber schon sagt, ich soll auf ihn schießen, dann tu ich’s doch.“ Und er hat auf den Ägidius geschossen, der König Wamba. Ägidius ist niedergebrochen, lag da, schwer verwundet und hat ihn hier getroffen und der König Wamba hat gesagt: „Schauen wir uns das Tier doch mal näher an.“ Und hat zu seinen Leuten gesagt: „Rasiert den doch mal. Tut mal die Haare weg, dass man sieht wie das aussieht, dieses Tier.“ Er hat gesehen, das ist ein Mensch. Er hat gesehen, das ist ein Einsiedler – und Einsiedler waren hoch im Kurs, die haben sehr viel gegolten, ein heiliges Leben geführt. Das war dem König Wamba ganz furchtbar, dass er diesen verletzt hat. Er hat gesagt: „Komm mit in mein Schloss, ich werde dich baden und werde dich kleiden in den feinsten Kleidern, ich werde die besten Ärzte zu dir schicken.“ „Nein, das will ich nicht!“, sagte Ägidius. „Du musst mir eines versprechen, meine Wunden sollen nicht behandelt werden. Im Gegenteil, tu noch ein bisschen Salz rein, damit’s ja weh tut, weil ich möchte nicht als Pflasterstein in der Hölle enden.“ Und dem Wamba war das, wie gesagt, gar nicht recht, aber er hat ihn bewundert und er hat gesagt: „Lassen wir doch ein Kloster für dich errichten, dass du wenigstens nicht in diesem hohlen Baum wohnen musst.“ „Nein, das will ich nicht. Du kannst ruhig ein Kloster errichten, aber neben meinem Baum“, sagt Ägidius. Ägidius ist standhaft geblieben und der König Wamba der hat Krieg geführt unter dem Namen des Ägidius und hat gewonnen und das waren die Wunder, die notwendig sind. Der Herr Bischof wird’s Ihnen sicher erklären. Um heilig zu werden da braucht’s zwei Dinge: Entweder man ist Märtyrer oder man hat ein Wunder. Ägidius ist sehr alt geworden – ich mach’s ein bisschen kürzer – ist sehr sehr alt geworden, hat viel viel Zeit gehabt, Gott hat ihm viel Zeit gegeben, um viel viel Schmerzen zu ertragen, um ganz hart zu werden und am Ende dann hat Gott ein Einsehen gehabt. Er hat ihn zu sich genommen und hat dem Papst gesagt: „Komm, sprich ihn heilig, damit eine Ruh’ ist.“ Und das hat der Papst gemacht und deshalb haben wir in dieser Erzählform, in dieser Fassung einen heiligen Ägidius.

       Konrad Paul Liessmann:

      Nachdem, wie Sie wissen, Gott auch durch die Dichter spricht, wird das schon die authentische Fassung sein, die Michael Köhlmeier jetzt erzählt hat, auch wenn vielleicht der Herr Bischof etwas anderes behaupten wollte, was ich mir nicht vorstellen kann. Diese Ägidius-Geschichte, so einfach sie zu sein scheint, eine mittelalterliche Heiligenlegende, so einfach sie zu sein scheint, ist mittlerweile wirklich zu einer meiner Lieblingsgeschichten geworden, weil sie so vielfältige Deutungen zulässt. Ich erwähne nur einige Aspekte, um dann darauf zu kommen, warum wir sie hier am Beginn dieser Tagung über die Optimierung des Menschen gestellt haben. Auf den ersten Blick scheint das ja gar nichts damit zu tun zu haben. Dieser Ägidius oder diese Geschichte von Ägidius hat aber – abgesehen mal davon – eine ganze Reihe von Elementen, die man durchaus als modern bezeichnen könnte. Erinnern Sie sich daran, dass Ägidius als total behütetes Kind aufwächst. Er ist sozusagen schon in den Genuss der modernen Pädagogik gekommen. Kinder müssen behütet aufwachsen. Nur keine Gefahr. Sie wissen: Schutzhelmpflicht für Sandkasten ist heute en vogue. Nur keine Gefahr, nur nichts, das das Kind verunsichern könnte. Am meisten hat mich berührt, dieser Befehl an die Amme: Geschichten erzählen ja, aber sie dürfen nicht allzu lang sein. Und sie wissen ja, die Konzentrationsfähigkeit des Menschen liegt ungefähr bei drei Minuten, also Kurzgeschichten. Das zweite ist, sie dürfen nicht grausam sein und sie dürfen ihn innerlich nicht erschüttern. Vielleicht haben Sie das schon gelesen oder gehört, dass amerikanische Studenten und Studentinnen zurzeit fordern, dass sie bitte verschont bleiben sollen von Texten wie Homers Illias oder Shakespeares Tragödien, Goethes Werther, weil das lauter Geschichten sind, die erstens zu lang sind – die Illias kann ja kaum noch wer lesen. Die zweitens grausam sind – denken Sie an Shakespeares Tragödien. Ständig wird wer ermordet oder hingerichtet oder es passiert Ehebruch oder was auch immer. Und die jemanden erschüttern könnten. Goethes Werther begeht aus verzweifelter Liebe Selbstmord und das jetzt am Nachtkastl einer jungen College-Studentin, die vielleicht unglücklich verliebt ist, könnte katastrophale Folgen haben. Und die verlangen tatsächlich sichere Räume, so wie Ägidius, oder die Mutter von Ägidius, sichere Räume, wo sie vor solchen emotionalen Erschütterungen durch Geschichten verschont bleiben.

      Vielleicht gilt das, was für Ägidius gilt, auch für diese moderne Studentengeneration. Wir ziehen hier eigentlich Weichlinge heran und mit Weichlingen, mit den Körpern der Weichlinge ist die Hölle gepflastert. Das sollten wir uns merken. Gleichzeitig steckt darin aber was ganz ganz Fatales. Nämlich genau die Fatalität, auf die Ägidius verfallen ist. Wenn ich kein Weichling sein will – er hat sich ja nicht Geschichten zu Gemüte geführt, die ihn erschüttern hätten können, sondern die These vertreten, dann muss ich mir selbst gegenüber hart werden – dann muss ich meinem Körper etwas abverlangen, dann muss ich mir selbst Qualen zufügen. Und dieses „sich selbst Qualen zufügen“ hat wieder zwei Seiten. Das ist eine ziemlich ambivalente Geschichte. Nämlich die eine Seite, dass er da sagt: „Ich muss mir selbst Qualen zufügen. Ich darf niemand anderem Qualen zufügen. Zum Beispiel der Natur nicht, ich esse kein Fleisch. Ich pflücke nicht mal Äpfel von den Bäumen, sondern ich ernähre mich wie ein Frutarier.“ Und der Frutarier ist die Speerspitze moderner Ernährung – moralisch gesehen. Er ist nicht nur Vegetarier, also er isst nicht nur kein Fleisch, er ist nicht nur vegan, das heißt, er isst nichts wo nur nicht so irgendwie Tiere mit im Spiel sein könnten, sondern er will auch die Natur nicht vergewaltigen. Er isst nur das, was die Natur freiwillig gibt. Nämlich Fallobst und Wasser. Viel mehr gibt uns die Natur von sich aus nicht. Und das macht er.

      Auf der anderen Seite bedeutet das natürlich die Qual dem eigenen Körper gegenüber. Sich selbst solchen Qualen auszusetzen. Da könnte man sich fragen: „War das ein Masochist? Oder ging’s ihm um was anderes?“ Theologisch könnte man sagen, ging’s ihm natürlich darum, die Leiden Christi zu reproduzieren. Selbst auch so zu leiden wie der Erlöser gelitten hat. Unter einer moderneren Perspektive könnte man sagen, ging’s aber auch um was Anderes. Nämlich genau darum, herauszufinden, wie viel Leid, wie viel Schmerz kann ich mir selber zumuten, wie viel halte ich aus. Und jedes Mal, wenn er gemerkt hat: „Ja, das halte ich noch aus“, die Kälte des Schnees, die Hitze der Steine, die Entbehrungen, die ich mir auferlege, die Schlaflosigkeit, der ich mich überantworte, weil ich dem süßen Schlaf widerstehen will. Jedes Mal, wenn er die Erfahrung gemacht hat: „Ja, das halte ich aus“, mag vielleicht so etwas wie ein kleines Triumphgefühl in ihm hochgekommen sein, trotz aller Schmerzen, trotz aller Qualen, trotz aller Entbehrungen. Meine Behauptung besteht nun darin zu sagen, dieses kleine Triumphgefühl, das den Ägidius angesichts dieser schmerzhaften Selbsterfahrungen befallen haben mag, ähnelt dem Triumphgefühl des modernen Menschen, der seinen Körper optimieren will. Ägidius war vielleicht der erste und vielleicht

Скачать книгу