Das Monster im 5. Stock. Regina Mars

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Das Monster im 5. Stock - Regina Mars

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du. Unfair ist das. Wenn so ein Adonis wie du die Olle mal richtig …«, der Mann machte eindeutige Bewegungen mit Händen und Hüften, »hernimmt, dann legt die bestimmt ein gutes Wort bei der Hausverwaltung ein. Wenn sie dich nicht gleich mit nachhause nimmt. Hat sie dir 'ne feste Bleibe in ihrer Möse angeboten?«

      »Nah«, sagte Wastl. »Will ich auch gar nicht. Aber falls ich dich mal so richtig hernehmen soll, sag Bescheid. Ich steh auf greisliche Arschköpfe.«

      Die Antwort war Schweigen. Und eine heruntergeklappte Kinnlade, sowie Tischtennisball-Augen. Glücklich, dass heute immerhin etwas geklappt hatte, zog Wastl die Tür auf und trat ins Freie.

      ***

      »Na, Blondchen? Wie lief die Besichtigung?« Vronis Atem schlug ihm ins Gesicht. Bierbraten-Atem. Die ganze Finanzbuchhaltung war heute im Löwenbräukeller eingekehrt. Nur Wastl war mal wieder auf Wohnungsjagd gegangen.

      Wastl brummte etwas Unverständliches. Er versuchte, professionell und schwer beschäftigt auszusehen. Aber das beeindruckte Vroni nicht. Ihre mehrfach beringte Hand blieb auf seiner Stuhllehne liegen. Sie drehte sich sogar um und brüllte durchs halbe Büro.

      »Jutta, hast du nicht was für das Blondchen? Das Kerlchen hat immer noch keine Wohnung!«

      »Ach wo! Das tut mir ja leid.« Juttas Augen, treu und schön wie die einer Kuh, sahen Wastl an. Er räusperte sich.

      »Kein Problem«, behauptete er. »I … Ich find schon was.«

      »Der arme Kleine.« Jetzt wagte Vroni es auch noch, ihm die Haare zu tätscheln. »Sag mal, Adelheid, war über euch nicht ein Zimmer frei?«

      War es das? Wastl drehte sich um, aber Adelheid schüttelte den Kopf. »Da ist schon wer eingezogen. Die Wohnung war so schnell weg, das glaubt mir keiner. Drei Stunden hat's gedauert, meint die Sluzalek von nebenan.«

      »Ach so.« Wastl unterdrückte ein Seufzen und zuckte männlich mit den Achseln. »Na dann …«

      Innerlich weinte er. Aber das konnte er sich nicht anmerken lassen. Die restlichen Finanzbuchhalter, oder eher Finanzbuchhalterinnen, behandelten ihn sowieso schon wie einen kleinen Bruder. Einen leicht verblödeten kleinen Bruder. Er war der einzige Mann in der Abteilung, und mit seinen dreiundzwanzig Jahren maximal halb so alt wie die anderen. Ernst genommen zu werden war ein Ding der Unmöglichkeit.

      »Ach, Blondchen.« Noch ein Haarwuscheln, dann ging Vroni endlich weiter. »Nicht traurig sein. Das wird schon irgendwann.«

      »Kein Problem«, wiederholte er. »Ich hab ja noch ein paar Wochen.« Genau in diesem Moment stieß sein Fuß gegen den Rucksack unter seinem Schreibtisch. Heute Morgen war er extra als Erster gekommen, damit niemand das Ding sah. Damit niemand ahnte, dass er ab sofort obdachlos war. Klar, er hätte Jutta oder Vroni (oder Adelheid oder Rita oder Gitte oder Susanne) fragen können, ob er ein, zwei Wochen auf ihrem Sofa pennen konnte. Aber dann wäre er nie aus der Verblödeter-Kleiner-Bruder-Nummer rausgekommen. Daran hätten sie ihn noch erinnert, wenn er in 40 Jahren die Firma verlassen hätte, mit Buckel, Arthritis und goldener Uhr. Obwohl, dann wäre Vroni ja schon fast hundert … Nicht, dass sie sich davon abhalten lassen würde, vorbeizukommen, ihm über die Glatze zu rubbeln und ihn Blondchen zu nennen.

      Wastl sah ihrem hennaroten Schopf und ihrem weinroten Strickpulli nach und seufzte.

      Arbeite, Junge, dachte er. Heulen kannst du nachher. Wenn du unter dem Schreibtisch pennst.

      Obwohl, der Teppich im Meetingraum wirkte so schön weich. Das war bestimmt die bessere Wahl.

      Den ganzen Nachmittag über hoffte er auf ein Wunder. Eine Mail. Einen Anruf von einer der 36 Hausverwaltungen, deren Antwort noch ausstand. Es kamen drei Absagen. Bei jeder Mail hielt er den Atem an, nur um einen Mund voll Enttäuschung zu kassieren. Egal. Das würde werden. Irgendwie.

      Der Siebermann-Verlag, sein neuer Arbeitgeber, war von mittlerer Größe. Zwei Stockwerke des altehrwürdigen Barockgebäudes nahm er ein. So altehrwürdig, dass es immer ein wenig nach Staub und altem Bohnerwachs roch.

      Überstunden waren die Ausnahme und so leerte sich das Büro schon gegen fünf. Immer mehr Deckenlampen gingen aus. Wastl konnte durch die Glaswand ihres Büros sehen, wie es allmählich dunkel wurde. Vor den Fenstern war längst alles Licht verschwunden. Nur die Weihnachtsdeko des Büros gegenüber blinkte und glitzerte aggressiv. Es war viel zu früh für die rot-grüne Pracht. Sie hatten doch erst November. Ein dickbackiger Weihnachtsmann grinste ihm zu und erinnerte ihn daran, dass dies das erste Weihnachten ohne Mama sein würde. Er schluckte.

      Nein. Verzweifeln ist für Feiglinge, das hatte seine Mutter ihm eingebläut. Er würde sich nicht davon verrückt machen lassen, dass er Weihnachten ganz alleine unter einer Brücke verbringen würde … Er schüttelte sich.

      »Alles wird gut«, flüsterte er, obwohl er längst der Letzte in der Abteilung war. »Du packst das. Der Kullberger Wastl lässt sich nicht unterkriegen. Merkt euch das, ihr Großstädter.«

      ***

      Der Teppichboden im Meetingraum roch nach Zitronen-Lufterfrischer und Gummisohlen. Wastl streckte sich darauf aus. Die Tasse Früchtetee aus der Küche stellte er auf seinem Bauch ab. Sie wärmte fast so gut wie eine Bettdecke. Zumindest, wenn man sich das ganz fest einbildete. Und die verstaubten Kekse, die in einer Schale auf dem Tisch standen, waren beinahe ein vollwertiges Abendessen, also, auf jeden Fall waren sie gratis und er war pleite.

      Gute Nacht, dachte er. Morgen wird alles besser.

      Der Duft des Früchtetees vermischte sich mit dem Bürogeruch nach Plastikvorhängen und verbrauchter Luft. Das Summen aus dem Serverraum nebenan klang wie rauschender Wind. Fast war es ein wenig heimelig. Fast. Wehmütig trank Wastl den Tee und machte die letzte Deckenlampe aus. Obwohl er todmüde war, schlief er lange nicht ein.

      ***

      Das Licht flackerte und stach in seine Pupillen wie Glassplitter. Wastl fuhr hoch.

      »Wos …« , begann er, dann sah er die Frau in der Tür. Ihre braunen Augen starrten ihn an. Sie war mager, trug ein schillernd grünes Kopftuch und wirkte einen Moment lang genau so erschrocken wie er. Dann verdüsterte sich ihr eichenholzfarbenes Gesicht.

      »Wos machst du denn do?«, herrschte sie ihn an. »Du kannst doch do ned penna, du Oarschwichtl!«

      Wastl starrte sie an. »Entschuidigung, i dochte …« Dann erinnerte er sich daran, dass die Vroni ihn ermahnt hatte, hochdeutsch zu sprechen, solange er in der Firma war. Ach ja, und er erinnerte sich daran, dass sie irgendwas von der nächtlichen Putztruppe erwähnt hatte, und dass die nie richtig saubermachten. Daran hätte er wirklich denken können.

      »Entschuldigung«, begann er erneut. »Ich dachte, es wäre nachts keiner da. Sehen Sie, ich habe meine Wohnung verloren und ich wusst nicht, wo ich schlafen soll, da dachte ich, es merkt keiner, wenn ich ein, zwei Nächte hier …«

      »Arbeidest du hier?« Sie verschränkte die Arme vor der schmalen Brust.

      »Ja«, sagte er wahrheitsgemäß und hoffte, dass das morgen auch noch stimmen würde. »Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Es ist nur … Ich weiß nicht, wohin.«

      Sie schwieg. In der Gesprächspause konnte Wastl neue Geräusche ausmachen. Eine Maschine brummte. Ein Staubsauger? Hinter der Frau

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