Maigret und Pietr der Lette. Georges Simenon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Maigret und Pietr der Lette - Georges Simenon страница 3
»Grüner Mantel, blonder Schnurrbart?«
»Ja, genau. Gehen Sie zur Rezeption.«
Leute rannten, um dem Platzregen zu entkommen. Maigret betrat das Hotel gerade rechtzeitig, ehe Regentropfen, groß wie Haselnüsse, kalt wie Eis, fielen.
Die Angestellten und Dolmetscher hinter der Mahagonitheke waren stilvoll und korrekt wie immer.
»Polizei … Ein Reisender, grüner Mantel, kurzer blonder Schnurrb…«
»Nummer 17. Sein Gepäck wird gerade hinaufgetragen.«
2 Der Freund der Milliardäre
Schon allein Maigrets Anwesenheit im Majestic hatte etwas Feindseliges. Er bildete sozusagen einen Block, den die dort herrschende Atmosphäre nicht in sich aufzunehmen vermochte.
Nicht dass er ausgesehen hätte wie der typische Polizist, den man aus der Karikatur kennt. Weder trug er einen Schnurrbart noch Schuhe mit Gummisohlen. Seine Kleidung war gut geschnitten und aus gutem Tuch. Zudem rasierte er sich jeden Morgen und hatte gepflegte Hände.
Sein Körperbau aber war plebejisch. Er war groß, massig und starkknochig. Harte Muskeln zeichneten sich unter dem Jackett ab und zerbeulten schnell auch die neuesten Hosen.
Bemerkenswert war vor allem sein Auftreten, das sogar einigen seiner Kollegen durchaus missfiel.
Es war mehr als Selbstsicherheit und war doch nicht Hochmut. Er kam irgendwohin, als in sich geschlossener Block, und von da an schien es, als müsste sich alles an ihm brechen, ob er sich nun bewegte oder breitbeinig stehen blieb.
Die Pfeife steckte wie festgewachsen zwischen seinen Zähnen. Selbst im Majestic nahm er sie nicht heraus.
Vielleicht war es im Grunde ein trotziges Bekenntnis zur Gewöhnlichkeit, ein Zeichen von Selbstvertrauen?
In der hell erleuchteten Hotelhalle, in der sich die vornehme Welt tummelte und wie aus dem Ei gepellte Menschen zwischen Parfumwolken, schrillem Lachen, Geflüster und formvollendeten Begrüßungen hin und her eilten, war es unmöglich, ihn in seinem dicken schwarzen Mantel mit Samtkragen nicht sofort auszumachen.
Das kümmerte ihn nicht. Er blieb außerhalb dieses Treibens. Die Jazzklänge, die aus dem Untergeschoss zu ihm heraufdrangen, brachen sich an ihm wie an einer undurchlässigen Wand.
Als er sich anschickte, eine Treppe hochzusteigen, rief ihm der Liftboy nach, um ihn auf den Fahrstuhl hinzuweisen. Doch er drehte sich nicht einmal um.
Im ersten Stock fragte ihn jemand:
»Wen suchen Sie?«
Die Stimme schien ihn nicht zu erreichen. Er sah die mit rotem Teppich ausgelegten schier endlosen Flure, die einen schwindeln machen konnten, und stieg weiter hinauf.
Im zweiten Stock las er mit den Händen in den Taschen die Ziffern auf den Bronzeschildern. Die Tür von Nummer 17 stand offen. Pagen in gestreiften Westen trugen Koffer hinein.
Der Reisende, der seinen Mantel abgelegt hatte und sehr zart wirkte, sehr schlank in seinem edel changierenden Anzug, rauchte eine Zigarette mit Mundstück und gab dabei Anweisungen.
Nummer 17 war kein Zimmer, sondern eine Suite: Salon, Arbeitszimmer, Schlafzimmer und Bad. Die äußeren Türen öffneten sich auf eine von zwei Gängen gebildete Ecke, wo ein ausladendes rundes Sofa stand, wie eine Bank an einer Kreuzung.
Dorthin setzte sich Maigret, direkt gegenüber der offenen Tür, streckte die Beine aus und knöpfte seinen Mantel auf.
Pietr der Lette sah ihn und fuhr mit seinen Anweisungen fort, ohne Überraschung oder Unmut zu zeigen. Als die Pagen alle Koffer und Taschen abgestellt hatten, ging er selbst zur Tür, um sie zu schließen, beobachtete jedoch den Kommissar noch einen Moment lang, eher er sie ins Schloss zog.
Maigret hatte Zeit, drei Pfeifen zu rauchen und zwei Etagenkellner und ein Zimmermädchen fortzuschicken, die ihn fragten, worauf er warte.
Um Punkt acht Uhr verließ Pietr der Lette die Suite, noch schlanker und noch schmucker als zuvor, in einem klassischen Smoking, dem man den noblen englischen Schneider ansah.
Er trug keinen Hut. Seine hellblonden kurz geschnittenen Haare lichteten sich schon. Sie setzten weit oben an und gaben die etwas fliehende Stirn frei. Auf der Mitte des Schädels war ein heller Fleck rosiger Haut zu erahnen.
Seine Hände waren lang und zart. Am linken Ringfinger trug er einen schweren Siegelring aus Platin mit einem gelben Diamanten.
Wieder rauchte er eine russische Zigarette, die in einem Pappmundstück steckte. Er ging sehr dicht an Maigret vorbei, hielt kurz inne und sah ihn an, als lockte ihn der Gedanke, ihn anzusprechen, und begab sich dann mit besorgter Miene zum Fahrstuhl.
Zehn Minuten später nahm er im Speisesaal Platz, am Tisch von Mr. und Mrs. Mortimer-Levingston, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.
Sie trug Perlen für eine Million Franc um den Hals.
Ihr Gatte hatte am Tag zuvor eines der größten Automobilwerke Frankreichs wieder flottgemacht, wofür er sich selbstverständlich die Aktienmehrheit gesichert hatte.
Die drei plauderten angeregt. Pietr der Lette sprach viel, mit gedämpfter Stimme und leicht vorgebeugt. Er war entspannt und verhielt sich ganz ungezwungen, trotz der dunklen Gestalt Maigrets, die er hinter der gläsernen Trennwand in der Hotelhalle erkennen konnte.
Im Büro verlangte der Kommissar die Liste der Hotelgäste. Dort, wo der Lette unterschrieben hatte, las Maigret, ohne jegliches Erstaunen: Oswald Oppenheim aus Bremen, Reeder.
Zweifellos besaß er einen gültigen Pass und sämtliche Papiere auf diesen Namen, wie er auch solche auf andere Namen besaß.
Und genauso wenig war zu bezweifeln, dass er den Mortimer-Levingstons schon anderswo begegnet war, in Berlin, in Warschau, in London oder in New York.
War er nur in Paris, um sie zu treffen und eine der kolossalen Betrügereien ins Werk zu setzen, auf die er spezialisiert war?
Auf der Karteikarte in Maigrets Tasche stand:
Äußerst geschicktes und gefährliches Individuum von unbestimmter Nationalität, doch nordischer Herkunft, vermutlich Lette oder Este; spricht fließend Russisch, Französisch, Englisch und Deutsch.
Ist sehr gebildet und gilt als Chef einer mächtigen internationalen Bande, die auf Betrug spezialisiert ist.
Aktivitäten dieser Bande wurden in Paris, Amsterdam (Fall van Heuvel), Bern (Fall Vereinigte Reedereien), Warschau (Fall Lipmann) und in diversen anderen europäischen Städten nachgewiesen, wo ihr Vorgehen weniger klar zu identifizieren war.
Pietrs Komplizen scheinen vor allem dem angelsächsischen Raum zu entstammen. Einer von ihnen wurde sehr oft in seiner Gesellschaft gesehen; er reichte einen gefälschten Scheck bei der Berner Kantonalbank ein. Wurde getötet, als die Schweizer Polizei ihn verhaften wollte. Gab sich als Major Howard von der American Legion aus. Es konnte aber bewiesen werden, dass es sich um einen ehemaligen Schnapsschmuggler aus New York handelte, in den Vereinigten Staaten unter dem Beinamen Dicker Fred bekannt.
Pietr