GABALs großer Methodenkoffer. Walter Simon
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Vier-Ohren-Modell
Auf der Basis dieser Überlegungen entwickelte Schulz von Thun sein Vier-Ohren-Modell. Danach sind Menschen mit ihren zwei Ohren sozio-biologisch schlecht ausgerüstet, denn im Grunde benötigen sie vier „Ohren“ – also für jede der vier Arten von Nachrichten eins. Häufig ist ihnen gar nicht bewusst, dass drei Ohren geschlossen sind, während eines weit offen steht. Zudem ist meist nicht bewusst, dass auf diese Weise Kommunikationsweichen gestellt werden.
Für jede Art von Botschaften ein Ohr
Missverständnisse minimieren
Das Wissen, dass jede Nachricht verschiedene Botschaften enthält, sowie die Fähigkeit, Nachrichten „mit allen vier Ohren zu hören“, ermöglichen es, Missverständnisse in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu minimieren.
Sach-Ohr
Das Sach-Ohr prüft die Nachrichten, indem es fragt: „Was bedeutet das?“ Mit diesem Ohr wird der Sachinhalt einer Nachricht wahrgenommen.
Gefahr des Vernachlässigens wichtiger Aspekte
Wenn Empfänger Nachrichten vorwiegend auf dem Sach-Ohr wahrnehmen, vernachlässigen sie andere, ebenfalls wichtige Aspekte der Nachricht. Problematisch wird dies in Diskussionen bzw. in Kommunikationsprozessen, in denen es eigentlich mehr um zwischenmenschliche Differenzen – beispielsweise um Beziehungsprobleme – geht. Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene werden dann durch Sachinhalte überdeckt und können nicht bearbeitet werden
Beispiel
Beispiel: Ein großes Sach-Ohr
Ein Vater sagt zu seinem minderjährigen Sohn, der heimlich raucht: „Rauchen ist ungesund!“ Der Sohn erwidert: „Ich rauche doch nur Lights!“
Selbstoffenbarungs-Ohr
Das Selbstoffenbarungs-Ohr versucht, „hinter die Kulissen zu hören“. Es hinterfragt, warum der Sender die Nachricht gerade auf diese Art und Weise und mit diesem Tonfall sendet. Dieses Ohr ist zuhöraktiv, denn es möchte schnell erkennen, was mit dem anderen Gesprächspartner los ist.
Abwertung verletzender Botschaften
Menschen mit stark ausgeprägten Selbstoffenbarungs-Ohren beziehen auch unfreundliche Äußerungen nicht auf sich, sondern finden eine Erklärung in der Person des Gesprächspartners. Dies hat den Vorteil, dass verletzende Botschaften auf der Beziehungsebene abgewertet werden können.
Gefahr der Immunisierung
Problematisch ist allerdings die mögliche „Immunisierung durch das (ausschließlich) diagnostische Ohr“ (Schulz von Thun). Ein solcher Empfänger bezieht nichts mehr auf sich, nimmt Kritik nicht mehr konstruktiv wahr. Auch auf die Gefahr der Psychologisierung weist Schulz von Thun hin: „Damit ist gemeint: Eine Sachaussage nur danach zu untersuchen und zu ,entlarven‘, welcher psychische Motor als treibende Kraft dahintersteckt (,das sagst du ja nur, weil du …‘) – und zwar ohne das Gesagte sachlich zu würdigen.“
Beispiel
Beispiel: Ein großes Selbstoffenbarungs-Ohr
Ein Mitarbeiter sagt frustriert zu seinem Chef: „Sie sind ein Schinder. Sie kommandieren mich immer nur herum und können mich nicht leiden!“ Der Vorgesetzte erwidert: „Weil Sie die Arbeit nicht schaffen, behaupten Sie, ich könne Sie nicht leiden!“
Aktives Zuhören
Eine wichtige Kommunikationstechnik des Selbstoffenbarungs-Ohrs ist das aktive Zuhören (siehe auch Kapitel B 2 dieses Buches). Der Empfänger hilft dem Sender durch Aufmerksamkeitsreaktionen (Kopfnicken, Bestätigungslaute etc.), ein eventuell in der eigenen Person liegendes Problem zu erkennen und die Kommunikation zu verbessern. Ein großes „Selbstoffenbarungs-Ohr“ birgt aber die Gefahr, sich nur noch auf den anderen zu fixieren und sich selbst zu vernachlässigen.
Auf „Beziehungs-lauer“
Beziehungs-Ohr
Bei manchen Menschen ist das auf die Beziehungsbotschaften ausgerichtete Ohr so überempfindlich, dass sie sachliche Argumente kaum beachten und das Gespräch immer wieder auf die Beziehungsebene verlagern. In beziehungsneutrale Nachrichten werden dann Beziehungsbotschaften hineininterpretiert: Wenn jemand wütend ist, fühlen sie sich beschuldigt, wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht, wenn sie jemand anschaut, fühlen sie sich kritisch gemustert, wenn jemand wegsieht, fühlen sie sich gemieden und abgelehnt. Sie liegen ständig auf der „Beziehungslauer“.
Beispiel
Beispiel: Ein großes Beziehungs-Ohr
Einige Studenten treffen sich in einer Arbeitsgruppe. Hans sagt zum Tutor: „Du siehst heute richtig gut aus!“ Der erwidert betreten: „Ich weiß, sonst sehe ich immer etwas ungepflegt aus.“
Appell-Ohr
Menschen, deren Handlungen zum großen Teil durch das Appell-Ohr ausgelöst werden, wollen es allen recht machen und selbst den unausgesprochenen Erwartungen der Gesprächspartner entsprechen. Bei starker Ausprägung kann dies tendenziell aufdringlich wirken.
Auf „Appell-Sprung“
Ein übergroßes Appellohr haben Empfänger, die bei der kleinsten Andeutung einer Aufgabe aufspringen und diese für jemanden erledigen. Sie wollen den expliziten und impliziten Erwartungen anderer immer und überall entsprechen: „Sie hören auf der Appellseite geradezu ,Gras wachsen‘, sind dauernd auf dem ,Appell-Sprung‘“. (Schulz von Thun)
Beispiel
Beispiel: Ein großes Appell-Ohr
Ein Projektteam bereitet zusammen das Projekt vor. Ein Mitarbeiter fragt: „Gibt es Kaffee?“ Eine Mitarbeiterin springt auf: „Ich mache sofort noch welchen!“
Folgende Abbildung fasst die in diesem Kapitel skizzierten vier Seiten einer Nachricht zusammen.
Kommunikation nach Schulz von Thun
Wer weiß, dass eine einzige Aussage auf vier unterschiedliche Arten verstanden werden kann, hat gute Voraussetzungen, selbst wirksamer zu kommunizieren.
Beispiel
Beispiel: Eine Frage, vier verschiedene Reaktionen
Ein Vorgesetzter fragt eine Mitarbeiterin: „Haben Sie diesen Brief geschrieben? Er ist voller Fehler.“
Hört die Mitarbeiterin diese Frage mit dem Sach-Ohr, dann nimmt sie den Sachverhalt zur Kenntnis und sagt ja oder nein.
Hört sie mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr, stellt die Mitarbeiterin fest, dass sich der Chef ärgert.
Hört die