Die Illusion der Unbesiegbarkeit. Paul Williams
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Es ist das große Verdienst meines geschätzten Freundes Andreas Krebs und seines Ko-Autors Paul Williams, dass sie mit dem vorliegenden Werk ein neues Kapitel für das Drehbuch unternehmerischen Denkens verfasst haben. In »Die Illusion der Unbesiegbarkeit« greifen sie zwei Grundkonstanten menschlichen Wirkens auf, die des Gelingens und die des Scheiterns. Sie haben den Mut, über die Grenzen einer isolierten Fachdisziplin hinauszugehen und Verknüpfungen zu schaffen, die jedem unternehmerisch Tätigen den Zugang zu wertvollen Parallelen und Einsichten eröffnen. Sie stellen unsere Grundfrage in einen neuen Zusammenhang: Warum und unter welchen Bedingungen gewinnen Systeme, werden überlebensstark und können ihren Wirkungskreis ausdehnen? Was löst Wendepunkte aus, was verursacht Niedergang?
Die klassische Führungslehre hält dafür nur einen begrenzten Vorrat an Antworten bereit. Seit dem Erscheinen von Peter Druckers Opus magnum »Concept of the Corporation« im Jahre 1946 hat die Führungslehre unendlich viele Verfeinerungen und Verbesserungen erfahren, dabei aber im Kern den Betrieb als universales Bezugssystem aufrechterhalten. Das vorliegende Buch geht weiter. Es schafft neue Verknüpfungen dort, wo sie aus der Sicht des Erkenntnisinteresses überaus lohnend erscheinen. Es bereichert unser Führungswissen um die historische Perspektive und den Blick auf allgemeine Prinzipien von Aufstieg und Niedergang – ein für moderne Unternehmensführung ebenso spannender wie unverzichtbarer Ansatz. Und es ist ganz sicher kein Zufall, dass Krebs und Williams für ihren übergreifenden Blickwinkel auf das Schicksal der Incas rekurrieren. Denn die südamerikanische Dynastie steht beispielhaft für beides – für Aufstieg und Niedergang.
Der Aufstieg der Incas währte über Jahrhunderte. In heutiges Wording übertragen ist das eine Erfolgsgeschichte, die uns mehr lehren kann als kurzfristige Management-Betrachtungen – und auch der Niedergang der Incas als Folge des Eindringens der spanischen Eroberer und des Bruderzwists zweier Herrscher liefert Erkenntnisse, die unser heutiges Führungswissen wertvoll ergänzen können. In der vorkolumbianischen Zeit verfügten die Incas über Führungs- und Expansionswissen, das dem anderer Völker überlegen war. Hoch entwickelter Ackerbau, ein Netz von Verkehrswegen sowie ein effizientes Nachrichtenwesen waren zentrale Säulen eines Staatswesens, das dank einer wirkungsvollen Mischung aus Verhandlung, Kooperation und Machtausübung seinen Wirkungskreis immer weiter ausdehnen konnte. Auf Unternehmen übertragen würden wir von Internationalisierung, Umsatz- und Marktanteilsgewinnen sprechen.
Der Erfolg der Incas hielt so lange an, wie es ihnen gelang, innerhalb des komplexer werdenden Systems die Einzelinteressen der Mächtigen mit denen anderer Stakeholder auszugleichen und die zerstörerischen Energien, die von innen wirkten, zu domestizieren. Aber diese einem sorgsam austarierten Gleichgewicht der Kräfte entspringende Wachstumsenergie währte nicht ewig. Scheinbar kleine Veränderungen sorgten erst für Destabilisierung und leiteten dann den Untergang ein.
Ohne direkten Bezug zum Unternehmen erkennen wir einige Gesetzlichkeiten von Systemen, die offenbar über den Wandel der Jahrhunderte hinweg gelten: Jeder lange andauernde Erfolg birgt in sich schon den Keim des Scheiterns, weil die verantwortlichen Akteure zunehmend blind werden für neue, ungekannte Bedrohungen. Aufkommende neue Technologien können bewährtes Führungswissen innerhalb kurzer Zeit abwerten und die Schaffung neuen Führungswissens erforderlich machen. Überzogener Egoismus und Nepotismus der Gestalter bringen ein System in die Risikozone und beschleunigen den Niedergang. Der Abstand der Jahrhunderte schafft eine Klarheit, die es erlaubt, Parallelen zur Jetztzeit zu ziehen. Auch heute erleben wir radikale Umbrüche. Für die Incas waren die Reiterei und die Waffen der Spanier ungekannte, disruptiv wirkende Technologien – für uns sind es Digitalisierung und Roboterisierung. Für die Incas waren die Herrschafts- und Kriegstechniken der Spanier die große, Unsicherheit schaffende Veränderung – für uns sind es der Wegfall der Verlässlichkeit in der Politik und ein sich beschleunigender gesellschaftlicher Wertewandel im Kleinen und im Großen. Und: Menschen mit überzogenem Ego und unnötige Konflikte gibt es immer noch – gerade in der Wirtschaft.
Das vorliegende Buch sollte für jeden von uns Anlass sein, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Wir sollten unsere Routinen überprüfen, Bewährtes nicht einfach weiter als Dauerlösung hinnehmen und unsere Wahrnehmung für die innerhalb und außerhalb des Systems wirkenden Kraftfelder schärfen. Nur dann wird es uns gelingen, die Dynamiken zu unseren Gunsten zu nutzen und aus den Veränderungen das zu formen, was wir alle brauchen: einen Aufbruch in ein neues Zeitalter.
Prof. Dr. Peter May
Bonn-Bad Godesberg, im Juni 2017
Eine Peru-Reise mit unerwarteten Folgen
Dies ist kein Buch über die Incas, aber ohne die Incas gäbe es dieses Buch nicht. Es begann ganz harmlos mit einer geschäftlichen Reise von Paul Williams nach Peru. Paul hatte sich im Vorfeld mit Lateinamerika-erfahrenen Freunden besprochen, die dringend rieten, doch mehr von der wunderbaren Kultur des Landes zu erleben als drei Tage Lima Hilton. Ihr Enthusiasmus hatte Folgen: An den Businesstermin schloss sich eine Peru-Reise von sieben Freunden aus vier Nationen an, an der auch Andreas Krebs teilnahm.
Wir waren durchaus vorbereitet auf die indigene Hochkultur des 15. und 16. Jahrhunderts. Doch was uns peruanische Führer auf 3500 Metern Höhe in einer atemberaubenden Landschaft dann erzählten, stimmte uns nachdenklich. In Tipón, einer früheren Agrar- und Forschungsstätte der Incas 30 Kilometer nordöstlich von Cusco, erfuhren wir genauer, wie die Incas in knapp 100 Jahren ein Imperium schufen, das sich fast 5000 Kilometer entlang der Anden vom heutigen Ecuador im Norden bis weit nach Chile hinein im Süden erstreckte. Wie sie dieses Reich mit 200 Ethnien effizient durchorganisierten und zusammenhielten. Wie sie durch kluge Anbautechniken Überschüsse erwirtschafteten, Vorratsspeicher bauten, für Kranke und Familien ohne Ernährer sorgten, und das in einer Zeit, in der in Europa Seuchen und Hungersnöte wüteten. Wie sie anderen Völkern ein Angebot zum »Friendly Takeover« machten und erst zu den Waffen griffen, wenn die Offerte ausgeschlagen wurde. Wie sie die Unterlegenen konsequent integrierten und besetzte Regionen durch Umsiedlung und Entwicklung der Infrastruktur befriedeten.
Eigentlich hatten wir auf dieser Reise Abstand zu unserem Tagesgeschäft als Manager, Aufsichtsräte, Investoren und Coachs gewinnen wollen. Doch plötzlich redeten wir ständig über Management – »Inca-Management«. Wie konnte es sein, dass die Incas, die weder über die Schrift verfügten noch das Rad nutzten (geschweige denn moderne Kommunikationstechnik), ein riesiges Imperium beherrschten, während zahlreiche Firmenzusammenschlüsse heute unter weitaus günstigeren Voraussetzungen scheitern? Wie schafften es die Incas, über viele Jahrzehnte eine akzeptierte Führungselite zu etablieren, während moderne Topmanager sich regelmäßig den Vorwurf der Egomanie und Abgehobenheit gefallen lassen müssen? Warum folgten zahlreiche Völker den »Kindern der Sonne«, während heutige Unternehmenslenker oft vergeblich versuchen, Firmenkonglomerate auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören?
Natürlich lassen sich die Methoden einer strikt hierarchischen Gesellschaft der frühen Neuzeit nicht eins zu eins in die Gegenwart übertragen. Doch eines machten unsere hitzigen Debatten deutlich: Die Incas halten uns einen Spiegel vor. Sie sind uns fremd – und doch verblüffend nah. Die Inca-Elite stand vor ähnlichen Herausforderungen wie Manager von heute: klare Ziele zu formulieren, andere davon zu überzeugen, in einem rauen Umfeld Veränderungen und Innovationen anzustoßen, unterschiedliche Gruppen zu einen, Vorhaben stringent umzusetzen.
Das ist es, worauf es jenseits aller Management-Moden und Buzzwords von »Diversity« bis »Disruption« bis heute ankommt. Genau darum dreht sich dieses Buch: Was ist wirklich entscheidend, wenn Führungskräfte Unternehmen oder Organisationen auf Erfolgskurs halten wollen? Die Incas dienen uns dabei als Initialzündung, treten dann aber in den Hintergrund. Stattdessen schöpfen wir aus unserer eigenen Unternehmenspraxis und aus dem, was uns Gesprächspartner – Topmanager aus unterschiedlichsten Kontexten vom internationalen Konzern über