Die Bambusstrategie. Katharina Maehrlein
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Bamboo – so nenne ich die Kraft, jeden Tag mit seinen vielfältigen Aufgaben zu meistern, mit Druck, Konflikten, Misserfolgen und Niederlagen fertig zu werden und gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Jeder hat sie in sich! Bei manchen ist sie kleiner, bei anderen größer.
Die gute Nachricht lautet: Bamboo ist leicht trainierbar – und das ist nicht nur im Privatleben nützlich. Auch und gerade im beruflichen Umfeld hilft uns Bamboo, wenn wir zum Beispiel zwischen Vorgesetzten auf der einen und Mitarbeitern auf der anderen Seite stehen, zwischen Schulbehörde und Schülern, zwischen Klinikleitung und Patienten, … Er stärkt uns für hohes Arbeitsaufkommen, Druck von allen Seiten oder sogar Krisen. Er hilft, Ziele zu erreichen und die Erfüllung im Berufsleben (wieder) zu finden. Härteproben lauern überall. Vor allem dann, wenn der Druck gleich von mehreren Seiten auf Menschen einwirkt. Gerade dann ist die Gefahr groß, dass Sie sich selbst aufreiben. Wenn innere Stärke und Durchsetzungskraft fehlen, wenn Sie das Machbare nicht mehr erkennen, entsteht leicht das Gefühl, machtlos zu sein, keinen Einfluss nehmen zu können. Der Blick für den Handlungsspielraum geht verloren. Dann ist der Bamboo in Ihnen ins Koma gefallen und Sie haben Gedanken wie: „Ich kann doch sowieso nichts bewirken. Jemand anderes hat hier das Sagen“, „Mein Engagement ist sinnlos, es wird sowieso nicht honoriert“. Alles scheint irgendwann aussichtslos und sinnlos. Der Weg zur inneren Kündigung oder totalen Resignation ist geebnet und führt weg von der inneren Stärke, die in diesen Situationen besonders gebraucht wird.
Die Bambuspflanze ist hier Vorbild. Ob eine lange Trockenzeit oder schwerer Schnee sie belasten, ob der Wind sie beugt oder sie Hindernisse beim Wachsen überwinden muss: Der Bambus überlebt, weil er alle seine eigenen Kräfte immer wieder gezielt mobilisiert. Und er schafft es auch noch, das ganze Jahr über kraftvolle, grüne Blätter zu entwickeln.
So wie Sie. Sie schaffen das auch! Denn Sie haben wie wir alle einen Bamboo in sich: Ihre innere Widerstandskraft, Ihre Fähigkeit zur Resilienz.
Wenn Sie trotz Druck von allen Seiten Erfolg haben wollen, sollten Sie wie der Bambus im Sturm sein: Biegen statt brechen, Belastungen mit Stärke begegnen und auch noch daran wachsen. Wie der Bambus, der sich nach jedem starken Wind wieder zu voller Größe aufrichtet und weiter wächst.
In diesem Buch finden Sie Tests zur Selbsteinschätzung, Checklisten, Übungen und pragmatische Tipps für Ihren Weg, in Ihrem Inneren so stark und unabhängig zu sein wie ein Bambus und sich in den Stürmen des Arbeits- und Privatlebens gelassen biegen zu können, aber nicht zerbrechen zu müssen. Sie lernen die neuesten Ergebnisse aus der Resilienz- und Glücksforschung kennen und werden sehen, wie sich die Bambusstrategie auf Erkenntnisse der positiven Psychologie stützt.
Lernen Sie mit diesem Buch, wie Sie mehr Mut, Kraft und Stehvermögen entwickeln, um die herausfordernden Situationen im Job standfest zu meistern. Finden Sie Ihren Bamboo und die Stärke, die er Ihnen verleiht, in sich selbst. Bauen Sie ihn auf, um sicher und gelassen agieren zu können. Sie werden danach kraftvoller, widerstandsfähiger, lebensfroher sein.
Die Bambusstrategie hat der jungen Frau im wahrsten Sinne das Leben gerettet. Als sie ihrem Bamboo begegnete, legte sie richtig los. Sie holte erst ihren Schulabschluss nach, machte dann Abitur und startete den zweiten Bildungsweg. Sie trennte sich von ihrem Mann, machte eine Ausbildung zur Ergotherapeutin, arbeitete in ihrem Ausbildungsberuf, studierte danach Psychologie, Soziologie und Publizistik. Schließlich machte sie sich als Kommunikationstrainerin und Coach selbstständig. In den letzten 15 Jahren hat sie über 10.000 Menschen trainiert und gecoacht.
Diese junge Frau – das war ich. Ich freue mich darauf, Sie mit Ihrem Bamboo bekannt zu machen und Sie auf Ihrem Weg zu mehr innerer Stärke, seelischer Widerstandskraft und Zufriedenheit zu begleiten. Denn Bamboo ist Ihre Energiequelle, die Ihre seelische Widerstandskraft speist und damit Ihre Leistungslust und Lebenskraft am Leben erhält.
Wiesbaden, August 2012
Widerstandsfähigkeit entsteht im Trotzdem
„Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen,
tauche ich tiefer, um nach Perlen zu suchen.“
MASCHA KALEKO
Resilienz – unser Überlebensprogramm
Fallbeispiel
Professor G. ist im Sommer 2010 seit rund 20 Jahren ärztlicher Direktor in einer psychiatrischen Klinik, die noch nicht lange Konzern ist. Der neue Geschäftsführer ist BWLer, die Anforderungen an die ärztlichen Führungskräfte haben sich von Aufgaben eines Arztes immer mehr zu denen eines Managers geändert. Professor G. versteht die Welt nicht mehr. Er ist doch Arzt geworden, um mit Patienten zu arbeiten, und nicht, um Manager zu sein. Schon das Wort „Manager“ bringt ihn in Rage.
In den letzten beiden Jahren wurde er gleich zweimal von seinen Mitarbeitern in der jährlichen Befragung schlecht bewertet. Ich werde als erfahrener Coach aus der Wirtschaft eingekauft, um ihn dabei zu unterstützen, eine bessere Führungskraft zu werden. Er soll in Zukunft wie ein Manager aus einem Wirtschaftsunternehmen agieren.
Im Verlauf des Coachingprozesses macht er gewaltige Schritte. So versteht er beispielsweise mit einem Mal, dass Führung Klarheit und Bestimmtheit braucht, um den Mitarbeitern Sicherheit und Orientierung zu bieten. Aber der Geschäftsführung genügt das nicht. Es geht nicht schnell genug und bald wird klar: Professor G. soll gehen.
Nach seiner jahrzehntelangen Betriebszugehörigkeit ist es nicht ganz einfach, Professor G. zu kündigen. Hinter den Kulissen finden Beratungen mit den Konzernanwälten statt, und ich weiß schon vor dem Professor, was die Stunde geschlagen hat.
Er selbst aber will es nicht wahrhaben. „Da müsste ich schon goldene Löffel gestohlen haben. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Mir kann niemand etwas.“ Nach Beendigung der vereinbarten Coachingsitzungen bekommt er die Einladung zu einem Gespräch mit der Geschäftsführung. Ein scheinbar ganz gewöhnliches, turnusgemäßes Mitarbeitergespräch. Einige wenige Tage vor dem Termin dann per Mail die Aufforderung: „Bringen Sie einen Anwalt mit.“
Nach dem Gespräch schreibt er einen Brief an mich: „Man setzt alles daran, mich zu ‚entsorgen’, und bietet mir die Aufhebung meines Arbeitsvertrags in beiderseitigem Einvernehmen und eine Abfindung an, was ich natürlich abgelehnt habe. Daraufhin hat man mich vom Dienst freigestellt und versucht nun, in der nächsten Sitzung des Konzernaufsichtsrats meine Kündigung durchzubekommen. Mit der Begründung: Führungsschwäche. Sollte es dazu kommen, werde ich über meinen Anwalt ein Arbeitsgerichtsverfahren anstrengen, das sich über ein bis zwei Jahre hinziehen kann. Ich bin tief erschüttert, wie mit mir nach 21 Jahren ärztlicher Leitungstätigkeit umgesprungen wird. In der freien Wirtschaft ist ein derartiges Vorgehen dem Vernehmen nach im Umgang mit altgedienten Mitarbeitern, die man nicht mehr haben will, gang und gäbe. Meine Welt ist das nicht. Ich weiß jetzt absolut nicht, wie es bei mir beruflich weitergeht. Ich bin 55 Jahre alt, habe also noch knapp zehn Jahre bis zum Rentenalter. Zum Privatisieren zu jung, andererseits auch schon so alt, dass eine neue Leitungsstelle nicht so einfach zu finden sein wird, vor allem weil ich wegen unserer 16-jährigen Tochter örtlich doch gebunden bin. Zu meinen aktuellen Stressoren kommt noch hinzu, dass die Ehe